Feuerwehrmann über das HafenCity-Drama: „Handy-Klingeln werde ich nie vergessen“
Es war selbst für die Feuerwehr, die Tragödien gewohnt ist, kein normaler Einsatz: Auf einer Baustelle in der HafenCity stürzt ein Gerüst in einem Fahrstuhlschacht ein, fünf Arbeiter fallen in die Tiefe, werden von Gerüstteilen begraben und sterben. Ein Retter erzählt in der MOPO, wie es für die Kräfte war, über Stunden Materialen abzutragen und dabei ständig an den Leichen vorbeilaufen zu müssen. Und warum er ein ganz bestimmtes Handy-Klingeln nie wieder vergessen wird.
Es war selbst für die Feuerwehr, die Tragödien gewohnt ist, kein normaler Einsatz: Auf einer Baustelle in der HafenCity stürzt ein Gerüst in einem Fahrstuhlschacht ein, fünf Arbeiter fallen in die Tiefe, werden von Gerüstteilen begraben und sterben. Ein Retter erzählt in der MOPO, wie es für die Kräfte war, über Stunden Materialen abzutragen und dabei ständig an den Leichen vorbeilaufen zu müssen. Und warum er ein ganz bestimmtes Handy-Klingeln nie wieder vergessen wird.
Harald Rieger ist 39 Jahre alt, stellvertretender Wachabteilungsführer der Feuerwache 12 an der Mörkenstraße in Altona. Er hat Maschinenbau studiert und sich vor zehn Jahren seinen Jugendtraum erfüllt: Er wurde Feuerwehrmann.
Erstmal ein ganz typischer Tag
Jener Montag am 30. Oktober war für ihn der erste Tag nach zweieinhalb Wochen Urlaub. Die erste Schicht, frisch erholt. „Ein erstmal ganz typischer Tag“, so Rieger. Wegen zwei Einsätzen hätten die Retter ihre tägliche Sport-Einheit verschieben müssen. Nach dem Frühstück, so gegen 9.20 Uhr, wollten sie die nachholen. Aber um 9.09 gingen dann die Lampen an, der Alarm schrillte: Einsatz in der HafenCity.

Zunächst habe er nicht an etwas Ernstes gedacht, sich dann aber gewundert, dass die Alarmstufen sehr schnell erhöht wurden. Schon auf der Anfahrt wurde seiner Besatzung, für die er als Fahrzeugführer verantwortlich war, per Funk mitgeteilt, dass man einen Bereitstellungsraum für den Rettungsdienst bräuchte. Und: „Wir sollten nicht direkt reinfahren, da alles vor Ort sehr eng sei“, so der 39-Jährige.
Doch dann sagte der Einsatzleiter, dass Rieger und seine Kollegen durchfahren sollten, Manpower werde dringend gebraucht. Im Aufzugsschacht drohten Teile eines Gerüsts, das zuvor eingestürzt war, hinunterzufallen. Schon da war von mehreren potenziellen Todesopfern die Rede. Eine solche Nachricht habe er in seiner Feuerwehr-Zeit nie bekommen. „So einen Einsatz hat man in der Regel nicht.“
„Wie kann so etwas passieren?“
Seine Kollegen und er hätten einfach versucht, „zu retten, was zu retten ist“. An geschockten Bauarbeitern vorbei ging es Richtung Schacht. Mit dabei: Schlingen für eine provisorische Sicherung von quer hängenden Materialien. Aus dem Augenwinkel habe er mitbekommen, dass Rettungskräfte einen schwer verletzten Mann bargen. Ansonsten liefen er und seine Mannschaft sofort in den achten Stock und fingen mit der Sicherung an. Unten im Schacht sah er zwei leblose Körper. Was er dabei dachte? – „Wie kann so etwas passieren?“
Improvisiert und unter hohem Zeitdruck, „mit allem, was wir hatten“, sicherten die Retter die Stockwerke neun, acht und sieben, später bauten sie dicke Kanthölzer zwischen die Stockwerke, damit die Höhenretter sicher arbeiten konnten.
Bis zum dritten Stock stapelten sich heruntergestürzte Gerüstteile. Rieger rannte laut ausgewerteter Fitness-Daten seiner Uhr 84 Stockwerke hoch und herunter, um Teile abzutragen. Er sei körperlich an seine Grenze gekommen.
Ständig klingelte das Handy eines Toten – den Klingelton wird Rieger nie vergessen
Für den Familienvater schlimm: Während des Einsatzes klingelte ständig das Handy eines verstorbenen und noch in dem Schacht liegenden Bauarbeiters. Das sei sehr bedrückend gewesen. „Man stellt sich dann die Frage: Hat der Mann Kinder? Eine Familie? Wie wird es dem Anrufer gehen, wenn er die Todesnachricht erhält? Man darf das nicht zu nah an sich rankommen lassen, aber wir sind alle Menschen mit einer Seele, auch die, die uniformiert sind.“ Den Klingelton werde er wohl nie vergessen. Und wenn er ihn wieder höre, dann kämen mit Sicherheit die Szenen zurück. Eine Abgrenzung sei da schwierig.
Schon während des Einsatzes ging er mit seinen jüngeren Kollegen ins Gespräch, fragte, ob es ihnen gut ginge. Alle sagten, dass alles in Ordnung sei. „Na klar, haben sie alle schon Leichen gesehen, aber im Zweifel nicht in so einem Zustand.“ Ehrlicheres Feedback bekomme Rieger meist eher im Vier-Augen-Gespräch. Das gehe für viele besser als in der Gruppe. Bei Bedarf stünden auch besonders geschulte Feuerwehrkollegen und Psychologen zur Verfügung. Niemand müsse alleine mit seinen Sorgen sein.
„Wir rennen da rein, wo andere rauslaufen“
Auf der Fahrt zurück zur Wache, nach unüblichen sechs Stunden Einsatz, sei die Stimmung relativ normal gewesen, „vielleicht etwas ruhiger als sonst“. Rieger habe bereits da reflektiert, sich gefragt, ob alles gut gelaufen ist, ob er etwas hätte besser machen können. Sein Fazit: „Ich denke, unter diesen schwierigen Voraussetzungen hätten wir nicht mehr machen können.“
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Vier Menschen bargen die Kräfte an jenem Montag, einen fünften erst am nächsten Tag. Vier waren bereits tot, einer starb letztlich im Krankenhaus. Ob ihn die Leichen, an denen er vorbeirannte, überhaupt der ganze Einsatz, mitnehmen werde, wisse er nicht. Dasselbe hatte er sich nach einem Einsatz als 18-Jähriger gefragt, als er als freiwilliger Helfer eine Unfallstelle ausleuchtete und mitansehen musste, wie Körperteile eines von einem Zug überfahrenen Mannes weggetragen wurden.
„Werde ich nachts schweißgebadet aufwachen und diesen Toten in meinen Träumen sehen? Man weiß das nicht, ich kann aber bislang sagen: ,Nein, die Sache hat mich nicht nachhaltig in Träumen beschäftigt, auch nicht der Einsatz in der HafenCity‘. Aber wenn du darüber sprichst, dann stockt dir die Stimme, es fließt auch mal eine Träne. Es ist schwer, sich komplett davon abzugrenzen.“ Was ihn dennoch motiviere? Rieger: „Ich bin Feuerwehrmann. Wir haben das Retter-Gen; wir rennen da rein, wo andere rauslaufen.“