Recherche vor Amoktat: Die Google-Panne der Polizei
Immer wieder muss sich Polizeipräsident Ralf Meyer im Hamburger Rathaus dieselbe Frage stellen lassen: Hat es seitens der Waffenbehörde Fehler im Umgang mit dem späteren Amokschützen Philipp F. gegeben? Bei der Pressekonferenz fünf Tage nach der Tat, der sieben Zeugen Jehovas zum Opfer fielen, sagt er wiederholt: nein. Trotz offenbar deutlicher Hinweise, die die Beamten übersehen haben. Im Mittelpunkt: ein Buch voll mit kruden Thesen und ein anonymer Tippgeber, der die Sicherheitsbehörden vor F.s möglicher Erkrankung gewarnt hat. Ein Kriminologe wirft den Sicherheitsbehörden Versäumnisse vor.
Immer wieder muss sich Polizeipräsident Ralf Martin Meyer im Hamburger Rathaus dieselbe Frage stellen lassen: Hat es seitens der Waffenbehörde Fehler im Umgang mit dem späteren Amokschützen Philipp F. gegeben? Bei der Pressekonferenz fünf Tage nach der Tat, der sieben Zeugen Jehovas zum Opfer fielen, sagt er wiederholt: nein. Trotz offenbar deutlicher Hinweise, die die Beamten übersehen haben. Im Mittelpunkt: ein Buch voll mit kruden Thesen und ein anonymer Tippgeber, der die Sicherheitsbehörden vor F.s möglicher Erkrankung gewarnt hat. Ein Kriminologe wirft den Sicherheitsbehörden Versäumnisse vor.
Rückblick: Ende Oktober erscheint Philipp F. persönlich bei der Waffenbehörde und beantragt eine Waffenbesitzkarte. Er steht erst in der Wartezone, füllt dann mit dem Sachbearbeiter das Formular aus. Im Gespräch werden vom Beamten keine Auffälligkeiten festgestellt, so Meyer, „sonst hätte es einen Vermerk gegeben“. F. gibt alle erforderlichen Dokumente ab.
Keine Auffälligkeiten bei Philipp F.
Es kommt zur Prüfung seiner Vita. Darin ist auch der Verfassungsschutz involviert. Doch weder dort, noch bei der Staatsanwaltschaft liegt etwas gegen den Mann vor. Am 6. Dezember ist die Karte fertig, am 13. lässt er seine Waffe eintragen. Auch hier stellen die Beamten laut Meyer keine „Auffälligkeiten“ fest.
Am 24. Januar geht dann ein anonymes Schreiben bei der Waffenbehörde ein, in dem auf eine mögliche psychische Erkrankung F.s hingewiesen wird – und auf ein von ihm verfasstes Buch. Der Titel des Buches wird nicht genannt.
Es folgen Recherchen der Waffenbehörde. Dabei stoßen die Beamten auf die Webseite des Mannes, auf der er sich als Geschäftsmann ausgibt. Nach dem Buch suchen die Beamten bei Google; sie geben F.s Namen und „Buch“ ein. Keine Treffer. Meyer begründet dies mit dem damaligen Algorithmus der Suchmaschine. Man habe das Buch ohnehin nicht ohne Weiteres finden können, das hätten auch Experten der Polizei nachgewiesen.

Das Buch – das Ende Dezember bei „Amazon“ angeboten wurde und in dem F. frauenfeindliche und antisemitische Ansichten äußert und Hitler als Werkzeug Christi bezeichnet – wurde allerdings auf besagter Webseite des Mannes und auf seinen Social-Media-Kanälen beworben. Meyer sagt, dass man dort nicht auf das Buch gestoßen sei, Vorgänge aber noch einmal prüfe. Man habe Philipp F. auch nicht bei einer Kontrolle in seiner Wohnung im Februar auf das Buch angesprochen, weil der Tippgeber darum gebeten habe, es wie eine Routinekontrolle aussehen zu lassen. Vielleicht habe er nicht gewollt, dass F. auf ihn schließen könnte.
Bei der Kontrolle habe sich F. offen und freundlich gegeben, seinen in einem Kleiderschrank versteckten Waffensafe bereitwillig gezeigt. Es gab keine Beanstandungen, so Meyer, nur eine Patrone habe auf dem Safe gelegen, wofür er sich entschuldigt habe. Die Beamten beließen es bei einer mündlichen Verwarnung.
Es habe, nach der Recherche und Kontrolle, kein Anhaltspunkt vorgelegen, weitere Maßnahmen, wie das Erstellen eines psychologischen Gutachtens, zu begründen. Die Beamten der Waffenbehörde hätten nach „bestem Gewissen“ gehandelt. Ihnen sei nach heutigem Stand nichts vorzuwerfen.
Meyer: „Haben alles getan, was rechtlich möglich ist“
Anonyme Briefe, die laut Meyer oft bei der Waffenbehörde eingehen – zum Beispiel, um jemanden zu denunzieren – hätten rechtlich gesehen keine Grundlage, könnten allenfalls als Indiz gesehen werden. Hätte man das Buch nach dem Tipp, den man „sehr ernst“ genommen habe, gefunden, dann hätte dies weitere rechtliche Schritte begründet. „Ich sage nicht, dass wir alles richtig gemacht haben, ich sage nur, dass wir alles getan haben, was rechtlich möglich ist.“
Christian Pfeiffer, Kriminologe, erkennt im Gespräch mit der MOPO bei der Google-Suche und beim Handeln der Sicherheitsbehörden Fehler. Bei der Kontrolle hätten Psychologen zugegen sein müssen, da der anonyme Hinweis auf mögliche Gewaltanwendung hinwies. Und: „Für den Zeitraum dieser Überprüfung hätte dem Mann die Waffe abgenommen werden müssen“, sagt Pfeiffer. Er fordert bessere Strukturen und die Einführung von Polizei-Psychiatern.

Für Deniz Celik, Innen-Experte der Linken, sind die Rechtfertigungsversuche der Innenbehörde nicht überzeugend. Es stehe die Frage im Raum, ob die Tat hätte verhindert werden können, wenn die Behörde anständig recherchiert hätte. Sein Pendant von der CDU, Dennis Gladiator, sagt, dass eine „einfache Internetrecherche“ ausgereicht hätte, um auf das Buch zu kommen. Auch, dass F. nicht auf das Buch angesprochen wurde, sei „skandalös“.
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Innensenator Andy Grote (SPD) spricht sich für eine Anpassung des Waffenrechts aus. Er fordert künftig die Vorlage eines psychologischen Gutachtens, das beim Antrag einer Waffenbesitzkarte vorliegen muss. Eine Änderung würde zu mehr Sicherheit führen, sagt er. Außerdem wolle man den Austausch der Behörden deutschlandweit verbessern.
Munitionslagerung: Es gibt keine Beschränkungen
Philipp F. habe den Großteil seiner Munition im Internet gekauft, so ein leitender Ermittler des Staatsschutzes. In der Wohnung lagen 60 Magazine, bei der Kontrolle im Februar waren es drei. Eine Munitions-Beschränkung bzw. -Obergrenze sieht das Waffenrecht nicht vor.

Insgesamt wurden sieben Menschen bei der Amoktat getötet, neun weitere verletzt. Eine Person schwebt noch in Lebensgefahr; es soll Schwierigkeiten bei der Blutversorgung geben. Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen ab.