Rache für toten Bruder: Messerangriff nach Badeunfall – Urteil gefallen
Ein 15-Jähriger verliert beim Baden in der Elbe in Blankenese sein Leben. Ein Freund (16), der dabei war und noch versucht haben soll, ihn zu retten, wird keine 24 Stunden später, am 19. Juni 2021, vom Bruder des Ertrunkenen in Harburg mit einem Messer in den Rücken gestochen und lebensgefährlich verletzt. Eine Tat im Affekt oder versuchter Mord? Nun hat das Hamburger Landgericht ein Urteil gefällt.
Selciuc S. hörte der Staatsanwältin ruhig zu, bis sie ihre Forderung bekannt gab. Der junge Mann riss die Augen weit auf, ließ dann ungläubig den Kopf hängen. Seine Mutter rief ihm von den Zuschauerrängen aus tröstende Worte zu.
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Ein 15-Jähriger verliert beim Baden in der Elbe in Blankenese sein Leben. Ein Freund (16), der dabei war und noch versucht haben soll, ihn zu retten, wird keine 24 Stunden später, am 19. Juni 2021, vom Bruder des Ertrunkenen in Harburg mit einem Messer in den Rücken gestochen und lebensgefährlich verletzt. Eine Tat im Affekt oder versuchter Mord? Nun hat das Hamburger Landgericht ein Urteil gefällt.
Selciuc S. hörte der Staatsanwältin ruhig zu, bis sie ihre Forderung bekannt gab: sieben Jahre Haft. Der junge Mann riss die Augen weit auf, ließ dann ungläubig den Kopf hängen. Seine Mutter rief ihm von den Zuschauerrängen aus tröstende Worte zu.
Messerangriff nach Bade-Unfall in Hamburg: So lautet das Urteil
Das Gericht bestätigte die Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte den 19-Jährigen nach Jugendstrafrecht wegen versuchten Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung. Von der ursprünglich diskutierten Einweisung in eine Psychiatrie nahm das Gericht Abstand. Ein Gutachten hatte dem Angeklagten Schizophrenie attestiert, was dieser jedoch bestreitet. Die Verteidigung hatte „nicht mehr als drei Jahre“ gefordert.
Für die Staatsanwaltschaft war es „kein kurzfristiger Entschluss“, den 16-Jährigen im Juni des vergangenen Jahres anzugreifen, sondern „ein über mehrere Stunden geplantes Geschehen“. S. habe sich rächen wollen, sagte die Staatsanwältin. Er habe im Prozess mehrfach gesagt, „dass er sich der türkischen Rache-Aktion als Familienmitglied nicht entziehen dürfe“. Der Angeklagte entstammt einer türkisch-rumänischen Familie.
Seine Aussagen seien im Laufe des Prozesses zu wechselhaft gewesen. „Mal sagte er, er hätte geglaubt, ihn nicht getroffen zu haben, dann sagte er, es wäre nur einmal gewesen“, führte die Staatsanwältin aus. „Das Verletzungsmuster zeigt eindeutig: Für den Angeklagten muss es spürbar gewesen sein, dass er getroffen hat.“
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Das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung besagt, dass das Opfer vier Mal von der Klinge getroffen wurde; alle Stichwunden waren im Bereich des Oberkörpers, alle lebensgefährlich. Der damals 16-Jährige wurde mehrfach operiert und leidet noch heute unter den Folgen des Angriffs, den er laut Staatsanwaltschaft nicht hätte kommen sehen können.
Die Verteidigung widersprach. Und auch der Angeklagte selbst stellte die Situation anders dar, sagte, er habe mit dem Angeklagten am Abend des Unfalls gesprochen, sich von ihm in der Folge – auch am Tattag – respektlos und unkorrekt behandelt gefühlt. So soll das Opfer sich neue Sachen und einen Döner gekauft haben, „so, als wäre gar nichts gewesen“, hatte der Angeklagte zu Beginn des Prozesses gesagt.
Verteidigung: Angeklagter befand sich in psychischem Ausnahmezustand
Die Tat hatte der junge Mann von Anfang an eingeräumt und sich beim Opfer entschuldigt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung stritten über eine mögliche psychische Erkrankung des Angeklagten, interpretierten Gutachten unterschiedlich. In einer Sache waren sie sich einig: S. befand sich zur Zeit der Tat in einem psychischen Ausnahmezustand. Doch während die Staatsanwaltschaft glaubt, er hätte die Tat so oder so begangen, legten die Verteidiger des Angeklagten dar, dass es S. auch wegen seiner geschädigten Persönlichkeitsstruktur „nicht möglich war, die Tatabfolge aktiv wahrnehmen zu können“. Drogenkonsum und frühere Delikte zeigten nicht seine Kaltblütigkeit, sondern seien das Ergebnis seiner „schrecklichen“ Biografie und seines Lebensweges.
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„Der Fall schien einfach und klar, ist er aber nicht“, eröffnete Sven Hüners, Anwalt des Angeklagten, sein Plädoyer. „Wut, Sorgen und Trauer sind normale Gefühle, wenn jemand stirbt, den man liebte“. Er blickt neben sich, sieht S. an. „Der natürlichste Gang junger Menschen ist dann der Gang zu den Eltern. Doch den hatte der Angeklagte nicht.“ Er sei alleine gewesen, habe keine Erziehung genossen, seine Eltern hätten ihn rauchen und die Schule schwänzen lassen. Ob S. eine Wahl gehabt habe? Der Anwalt sagt: „Er hat die falsche Wahl getroffen und braucht Hilfe. Geben wir ihm endlich wirklich eine Wahl.“