Unfall in der HafenCity: Das Protokoll einer Katastrophe
Vier Arbeiter verlieren bei einem schrecklichen Unfall auf einer Baustelle in der HafenCity ihr Leben. Ein fünfter liegt mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus. Noch immer dauern die Arbeiten der Feuerwehr an. Die Polizei hat Ermittlungen zur Ursache aufgenommen – Kollegen der Verunglückten haben bereits einen Verdacht. Und die Bau-Gewerkschaft blickt mit Sorge auf die Arbeitssicherheit, fordert deutlich mehr Kontrollen – und zwar unangemeldete.
Vier Arbeiter verlieren bei einem schrecklichen Unfall auf einer Baustelle in der HafenCity ihr Leben. Ein fünfter liegt mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus. Noch immer dauern die Arbeiten der Feuerwehr an. Die Polizei hat Ermittlungen zur Ursache aufgenommen – Kollegen der Verunglückten haben bereits einen Verdacht. Und die Bau-Gewerkschaft blickt mit Sorge auf die Arbeitssicherheit, fordert deutlich mehr Kontrollen – und zwar unangemeldete.
Was war passiert?
Um 9.09 Uhr am Montagmorgen ging in der Leitstelle der Feuerwehr der erste Notruf ein, andere folgten im Sekundentakt. Auf einer Baustelle an der Chicagostraße war ein Gerüst innerhalb eines Fahrstuhlschachtes in sich zusammengefallen.
Fünf Arbeiter, die zu dem Zeitpunkt auf dem Gerüst Mauerarbeiten ausführten, fielen aus dem neunten Stock in die Tiefe – und wurden unter Gerüstteilen und Baumaterialien begraben.
Wie funktionierte die Bergung?
Die Feuerwehr, in der Spitze mit 150 Kräften vor Ort, sicherte den Schacht und das Gebäude. Höhenretter seilten sich unter Einsatz des eigenen Lebens vom oberen Ende des Schachts ab, trugen Gerüstteile und Baumaterialien ab, die sich vom Untergeschoss bis ins dritte Stockwerk türmten – wie ein „Riesen-Mikado“, so ein Sprecher der Feuerwehr.
Die Retter bargen am Montag drei tote Arbeiter, die Leiche des vierten konnte erst am Dienstagabend aus den Trümmern gezogen werden. Nur einer der Männer konnte lebendig aus dem Schacht gerettet werden, in dem der Bautrupp gearbeitet hatte.

Für die weiteren Arbeiten, die sich auch am Dienstag hingezogen haben, wurden Industriekletterer eingesetzt. Auch Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes (THW) unterstützten den Einsatz.
Wie ist der Ermittlungsstand der Polizei?
Die Spezialisten des LKA 45 hatten nur wenige Stunden nach dem Unfall zusammen mit dem Amt für Arbeitsschutz erste Ermittlungen aufgenommen. Richtig mit der Arbeit beginnen können die Beamten aber erst, wenn der Schacht geräumt ist. Hilfe bekommen sie von Experten der staatlichen Bauaufsicht. Offiziell ist die Ursache noch unklar, wie ein Polizeisprecher sagte.
Das könnte Sie auch interessieren: Durchbruch im Mordfall des jungen Boxers? Jetzt gibt es konkrete neue Spuren
Aus Kreisen der Bauarbeiter gibt es allerdings bereits eine Vermutung: Auf dem Gerüst seien viel zu viele Materialien gelagert worden, mehr als das Gerüst nach den Vorschriften hätte tragen dürfen. Das sei keine Seltenheit. Durch die Überlast sei wohl auch ein Lastenaufzug, der am Gerüst befestigt war, abgerissen – alles fiel ineinander zusammen.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) kennt diese Probleme. Und fordert daher mehr Personal für Kontrollen und mehr unangemeldete Überprüfungen: „Wir wünschen uns, dass man nicht auf eine Beschwerde von Arbeitern wartet, sondern proaktiv auf die Baustellen geht“, so André Grundmann, Regionalleiter für Hamburg, zur MOPO.
Wenn die Frage aufkomme, wer für Arbeitsschutz zuständig sei, sagt Grundmann: „In den Spiegel gucken. Man ist selber dafür verantwortlich.“ Es könne nicht sein, dass man Angst vor unangenehmen Reaktionen des Arbeitgebers hat. Dies dürfe nicht zur Folge haben, dass man auf Sicherheit verzichtet „und sein eigenes Leben und das anderer aufs Spiel setzt“.
Er blickt auch mit Sorge auf die Baustellen-Umstände in der HafenCity: „Diese Gerüste werden immer im Mauerwerk verankert. Durch Fahrlässigkeit kann es passieren, dass eine Ebene bricht, aber nicht über acht oder neun Etagen.“
Wie geht es dem verletzten Bauarbeiter?
Nach MOPO-Informationen befindet sich der Verletzte nach einer Not-OP noch immer in einem kritischen Zustand. Er liegt auf der Intensivstation der Asklepios-Klinik in St. Georg. Die behandelnden Ärzte sprechen weiter von „akuter Lebensgefahr“.
Der Schwerverletzte und zwei der Todesopfer sollen laut Polizei aus Albanien kommen. Bei den anderen Toten stehe die Feststellung der Personalien noch aus. Es gebe aber keine Hinweise, dass es sich um Bulgaren handele, sagt ein Sprecher. Die Polizei revidierte damit Angaben der Stadtentwicklungsbehörde, die bei den Betroffenen von Bulgaren sprach.
Wie viele Arbeiter sind auf der Baustelle beschäftigt?
Am Tag des Unfalls haben etwa 700 Menschen auf dem Baustellen-Areal gearbeitet. Sie sind von Einsatzkräften in Sicherheit gebracht worden. Regulär sind 1400 Menschen dort beschäftigt; viele hatten sich wegen des Feiertags aber freigenommen.
Was wird dort gebaut?
Auf dem 14 Hektar umfassenden Areal an der Chicagostraße entstehen ein riesiges Shopping-Center, Wohnungen, Büros, ein Kreuzfahrtterminal, ein unterirdischer Busbahnhof sowie Hotels. Der nördliche Teil ist seit 2019 fertig. Das Immobilienunternehmen Unibail-Rodamco-Westfield investiert eigenen Angaben nach mehr als eine Milliarde Euro in die insgesamt rund 260.000 Quadratmeter entstehende oberirdische Bruttogrundfläche.
Wegen der Bergungsarbeiten und der andauernden Polizei-Ermittlungen sind die Bauarbeiten auf dem Gelände bis auf Weiteres gestoppt worden.
Gab es bereits andere Baustellen-Unfälle in der HafenCity?
Ja, und zwar einige. Im April 2020 waren zwei Arbeiter an der Zweibrückenstraße von herabfallenden Bauteilen schwer verletzt worden. Ein Paket aus 30 Schalbrettern, die von einem Kran versetzt wurden, riss. Im Januar 2022 stürzte ein Mann von einer Plattform an der Überseeallee aus mehrere Meter in den Tod. Im November desselben Jahres stürzte ein Mann ebenfalls in die Tiefe – und zwar auch an der Chicagostraße. Der Mann überlebte knapp.
Vor wenigen Wochen waren dann vier Arbeiter auf einer Baustelle an den Elbbrücken – unweit der HafenCity – teils lebensbedrohlich verletzt worden. Ein Baugerüst knickte ein und riss die Arbeiter fünf Meter in die Tiefe. Die Männer sollen damit beschäftigt gewesen sein, an der Eisenbahnbrücke ein Gerüst zu demontieren. Da zum Unfallzeitpunkt gerade Ebbe herrschte und der Fluss kein Wasser führte, fielen die Bauarbeiter auf das steinige Flussbett.