Menschenjagd in Hamburg: Eltern suchen im Netz nach vermeintlichem Mitschnacker
Die Fotos zeigen einen bärtigen Mann mit Mütze. Mal ist er im Profil zu sehen, mal von vorn. In allen Fällen sind sie offensichtlich heimlich gemacht worden, eins sogar von der anderen Straßenseite. Das Social-Media-Urteil ist bereits gefallen: Der Mann ist eine Gefahr für Kinder, ein sogenannter Mitschnacker, „ein Monster“, heißt es in Chat-Gruppen. Dabei ist der Mann ein mittelloser Obdachloser – und offenbar unschuldig. Und vielleicht nun für immer gebrandmarkt. Warum diese Form der Selbstjustiz so gefährlich ist, was die Polizei Betroffenen rät.
Die Fotos zeigen einen bärtigen Mann mit Mütze. Mal ist er im Profil zu sehen, mal von vorn. In allen Fällen sind sie offensichtlich heimlich gemacht worden, eins sogar von der anderen Straßenseite. Das Social-Media-Urteil ist bereits gefallen: Der Mann ist eine Gefahr für Kinder, ein sogenannter Mitschnacker, „ein Monster“, heißt es in Chat-Gruppen. Dabei ist der Mann, ein mittelloser Obdachloser, offenbar unschuldig. Und vielleicht nun für immer gebrandmarkt. Warum diese Form der Selbstjustiz so gefährlich ist, was die Polizei Betroffenen rät.
Ein Spielplatz in Schnelsen. Kinder toben, raufen und spielen Fangen. In der Nähe hat Pavel F. (Name geändert) seinen Schlafplatz; versteckt hinter Zweigen und Ästen in einem Gebüsch, kaum zu erkennen – wenn man dort nicht spielt. Es ist Anfang der Woche, als die Panik sich ausbreitet. Und sich das Leben für den Obdachlosen vermutlich für immer verändert.
Vermeintlicher Mitschnacker: Fotos werden zahlreich geteilt
Fotos, die die Woche über in zahlreichen WhatsApp- und Facebook-Gruppen kursieren, zeigen nämlich ihn, den Obdachlosen. Er habe es auf einen Jungen abgesehen, einen Siebenjährigen, heißt es dort etwa. Er wolle den Jungen mitnehmen, sich an ihm vergehen.
„Bitte achtet auf eure Kinder!“ oder „Zeigt das Bild euren Kindern und warnt sie“, ist in den Chats zu lesen. Und noch vieles mehr. Fotos des Mannes und die Warnhinweise verbreiten sich rasend schnell.
Auch eine Kita in Schnelsen informiert Eltern: Dank aufmerksamer Personen sei „Schlimmeres“ verhindert worden. „Die Sicherheit und das Wohlbefinden Ihrer Kinder haben für uns höchste Priorität“, schreibt die Kita-Leitung. Auf MOPO-Nachfrage war sie bisher nicht zu erreichen.
Mitschnacker in Hamburg? Polizei kann keine Straftat feststellen
Der Beschuldigte wird von der Polizei überprüft, sein Umfeld befragt, die Zeugen gehört. Das Ergebnis: Eine Straftat können die Beamten nicht feststellen. Auch sonst ist der Mann strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten.
Nach MOPO-Informationen soll der Obdachlose von den Kindern ständig gehänselt worden sein. Am besagten Tag soll er einen Jungen am Arm gepackt und beiseite geschubst haben, nachdem dieser ihn wiederholt beleidigt haben soll. Das könnten Eltern, die die Situation miterlebten, falsch interpretiert haben.
Auf jeden Fall hat die Polizei keine Ermittlungen gegen den Mann eingeleitet. Wo er sich momentan aufhält, ist nicht bekannt. Der Sozialbehörde sind der Mann und der Fall nicht bekannt. Sie sagt aber auf Nachfrage, dass der Betroffene jederzeit eines ihrer Angebote in Anspruch nehmen könne. Ein kleiner Trost für den Mann, dessen Gesicht wohl für immer im Internet zu finden sein wird – beschuldigt als „Kinderschänder“ oder „Mitschnacker“.
Hamburger Polizei verurteilt Social-Media-Selbstjustiz
Die Polizei verurteilt die Form der Social-Media-Selbstjustiz und kritisiert das Verbreiten von Fotos in Chat-Gruppen scharf: „Das Veröffentlichen von Fotos ohne die Einwilligung der darauf abgelichteten Person verstößt gegen das Kunsturhebergesetz und ist strafbar“, sagt ein Sprecher. Grundsätzlich müsse der oder die Fotografierte immer mit der Aufnahme einverstanden sein.
Wer trotzdem Fotos von sich im Internet finde, dem rät die Polizei Screenshots zu machen und Anzeige zu erstatten. Bei Bedarf helfe auch ein Anwalt. Wenn Fotos Betoffene beleidigen oder verletzen, könne es sich auch um Cybermobbing handeln – ein rechtlich gesehen härter zu bestrafender Tatbestand.
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Was die Polizei zu dem Thema Selbstjustiz klarstellt: „Die Abwehr von Gefahren ist die Aufgabe der Polizei“, so der Sprecher weiter. Dazu zähle auch die Verfolgung von Straftaten. Die Beamten träfen im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle Maßnahmen, die für den Schutz der öffentlichen Sicherheit erforderlich seien. „Darüber hinaus sind insbesondere für das Veröffentlichen von Bildern zum Zwecke der Strafverfolgung hohe Hürden in Form eines Richtervorbehalts gesetzt.“ Datenschutz sei ein wichtiges Thema dabei.
In Bezug auf das Ansprechen von Kindern setzt die Polizei vor allem auf Prävention und Sensibilisierung der Kinder. Die Beamten sind regelmäßig in Schulen und beraten, auch in Einzelgesprächen. Zudem gehört die Thematik zum Unterrichtsinhalt vieler 5. Klassen.