„Entgegen öffentlicher Wahrnehmung“: Zahl der Messerattacken in Hamburg überrascht
Corona, Pandemie, Ausgangssperren: 2020 und 2021 waren geprägt von stark veränderten Lebensumständen. Im vergangenen Jahr lief dann vieles wieder wie üblich. Doch welchen Einfluss hatte dieser Schritt zurück in die Normalität auf die Straftaten in Hamburg? Das Ergebnis, das am Mittwoch bei der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vorgestellt wurde: Die Fälle stiegen 2022 wieder an – es gab aber auch überraschende Erkenntnisse. Ein Überblick.
Corona, Pandemie, Ausgangssperren: 2020 und 2021 waren geprägt von stark veränderten Lebensumständen. Im vergangenen Jahr lief dann vieles wieder wie üblich. Doch welchen Einfluss hatte dieser Schritt zurück in die Normalität auf die Straftaten in Hamburg? Das Ergebnis der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS): Die Fälle stiegen 2022 wieder an. Es gab aber auch überraschende Erkenntnisse.
Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 211.239 Straftat-Fälle bei der Polizei geführt. Die Beamten und die Innenbehörde um Senator Andy Grote (SPD) haben alle am Mittwoch veröffentlichten Zahlen nicht nur mit dem Vorjahr, sondern auch mit den Zahlen von 2019 verglichen – dem Jahr vor Corona. In Anbetracht dessen ließ sich seitens der Behörde festhalten, dass die Zahl der Gesamtkriminalität sich wieder auf Vor-Corona-Niveau bewege: 2019 waren es 210.832 Fälle, 2021 nur 186.403.
Straftaten in Hamburg: Aufklärungsquote 46,2 Prozent
Die Aufklärungsquote bei Straftaten betrug 46,2 Prozent. In den beiden Pandemie-Jahren und 2019 bewegte sich die Zahl im 47-Prozent-Bereich – trotzdem ist die Quote „einer der höchsten der vergangenen zehn Jahre“, so Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.
Hamburg: Weniger Taschendiebstahl als vor Corona
Die Zahlen bei Diebstahl sind so gut wie in allen Bereichen im Vergleich zum Pandemie-Jahr 2021 angestiegen, teils um knapp 70 Prozent (Taschendiebstahl). Die Polizei führt vor allem Letzteres darauf zurück, dass wieder mehr Menschen in der Stadt unterwegs seien, sich so auch wieder mehr Tatgelegenheiten ergeben haben. Im Vergleich zu 2019 nahm der Taschendiebstahl aber um 764 Fälle bzw. sieben Prozent ab (2022: 10.958 Verfahren).

Weiter steigend ist der Trend dagegen bei Fahrraddiebstählen: Diese würden immer häufiger und professioneller gestohlen, sagt Meyer. Die Täter seien organisiert und würden die Ware oft schnell über die Grenzen bringen. 14.737 Verfahren führte die Polizei 2022, ein Anstieg um drei Prozent zum Vorjahr – von 2020 auf 2021 betrug der Anstieg sogar 21 Prozent.
Betrugsfälle in Hamburg: Deutliche Anstiege
Beim Deliktsfeld Betrug verzeichneten die Beamten einen Anstieg in vielen Bereichen – sogar bei welchen, die „jahrelang keine Rolle mehr gespielt haben“, so Grote. Er meint damit das Thema Tankbetrug. Dort gab es einen Anstieg um 38 Prozent (insgesamt 2265 Verfahren), 618 Fälle mehr als noch 2019.
Doch auch beim Warenbetrug verzeichnete die Polizei – gerade auf längere Sicht gesehen – deutliche Anstiege. Ein Vergleich: Betrugsdelikte machen mit 29.806 Fällen rund 14 Prozent der Gesamtkriminalität aus. Gerade im Internet, das mit am häufigsten benutzte Tatmittel in diesem Bereich, werden Menschen übers Ohr gehauen, zahlen Geld für Dinge, die niemals bei ihnen ankommen.

Deutlich mehr Fälle registrierten die Beamten auch bei Betrugsdelikten übers Telefon: 1084 „Schockanrufe“ wurden 2022 von der Polizei bearbeitet, 254 mehr als im Vorjahr. Zwar waren die Täter in nur 50 Fällen erfolgreich, trotzdem entstand ein Schaden von fast zwei Millionen Euro. Ziel, wie auch bei den Fake-Nachrichten über Messengerdienste, sind meist ältere Menschen, die schamlos ausgenommen werden. Meyer rät: „Die beste Prävention ist ein gesundes Misstrauen.“
Gewaltkriminalität: Trend geht nach oben
Insgesamt ist auch bei der Gewaltkriminalität ein Trend nach oben zu beobachten: Im vergangenen Jahr wurden 7583 Fälle registriert – im Jahr davor waren es 6799, 2019 7186. Vor allem im Bereich der gefährlichen Körperverletzungen erfasste die Polizei einen Anstieg. Gerade die Innenstadt und der Bereich rund um den Hauptbahnhof seien Gewalt-Schwerpunkte.
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Dazu sei eine Vielzahl von Beamten Opfer von Gewalt geworden, sagte Jan Hieber, Leiter des Landeskriminalamtes. Eine Entwicklung, die er nicht toleriere. Demnach habe es 2597 Fälle gegeben – ein Anstieg um zwölf Prozent.

Eine überraschende Erkenntnis: Laut Polizei spielten Schusswaffen und Messer eine geringere Rolle als in Vorjahren, „entgegen der öffentlichen Wahrnehmung“, so Hieber. In 72 Fällen wurde demnach eine Schusswaffe als Drohmittel eingesetzt, sieben Fälle weniger als 2021 und 19 weniger im Vergleich zu 2019. Auch Messer seien deutlich weniger eingesetzt worden.
Raub in Hamburg: Fallzahl geht leicht zurück
Die Raubdelikte liegen vier Prozent unter dem Wert des Jahres 2019. Im Vergleich zum Vorjahr nahmen sie aber um ein Fünftel zu. Insgesamt wurden 1756 Fälle im vergangenen Jahr erfasst – jeder zweite gilt als aufgeklärt.
Tötungsdelikte in Hamburg auf „historischem Tiefstand“
Elf vollendete und 24 versuchte Tötungsdelikte wurden 2022 bearbeitet – ein „historischer Tiefstand“, so Grote. Das sei der niedrigste Wert seit Beginn der Statistik im Jahr 1971. Alle Fälle seien dabei auch aufgeklärt worden. 23 Opfer waren männlich, zwölf weiblich. Neun Frauen wurden von ihrem Ex-Partner getötet.
Sexual-Straftaten und Kinderpornografie
Bei den Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und Übergriffen gab es im Vergleich zu 2019 (+7,8 Prozent) und 2021 (+15,8) deutliche Anstiege. Den höchsten Anstieg aller Delikte verzeichnete die Polizei aber bei den Delikten im Bereich der Kinderpornografie: Hier gab es ein Plus von 400 Prozent (1014 Fälle; 2019 waren es 200). Aber: Die Ermittler führen die Zunahme auf veränderte und strengere Meldewege zurück. Dazu kämen Hinweise aus den USA. Meyer: „Das alles führte zu einer erheblichen Aufhellung des Dunkelfeldes.“
Drogendelikte in Hamburg: Zahl steigt stetig
15.185 Rauschgiftdelikte wurden im vergangenen Jahr von Ermittlern bearbeitet. Die Zahlen in dem Bereich steigen stetig, sind aber auch auf verstärkte Kontrollen zurückzuführen, gerade im Innenstadt-Bereich. Laut Polizei werden auch immer häufiger harte Drogen wie Heroin, Kokain und Crack konsumiert. Letzteres soll vor allem in St. Georg bei Einsätzen sichergestellt worden sein.

Handel und Schmuggel blieben auf einem ähnlichen Niveau, im Vergleich zu 2021 gab es einen leichten Rückgang von nicht einmal einem Prozent. Die meisten „Encrochat“-Verfahren wurden statistisch schon in Vorjahren erfasst. Da viele Fälle aus 2022 noch nicht abgeschlossen sind, konnten diese in der Statistik nicht berücksichtigt werden. Die Polizei stellte bei Drogenrazzien- und Einsätzen Vermögen und Wertgegenstände im Wert von sieben Millionen Euro sicher.
Einbrüche und Schwarzfahren in Hamburg
Die Zahl der Einbrüche geht weiter zurück, insgesamt gab es 2506 Fälle – im Vergleich zu 2019 ein Rückgang von 42 Prozent, im Vergleich zu 2015 sogar einer von 75 Prozent. Meyer: „Das ist mit die niedrigste Zahl seit Einführung der Statistik.“
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Zudem registrierten die Polizisten eine positive Entwicklung im Bereich der Beförderungserschleichung. Bedeutet: Es waren mehr Menschen mit gültigen Fahrscheinen in Bussen und Bahnen als zuvor. Meyer begründet dies mit der Einführung des Neun-Euro-Tickets, das sich „die meisten Menschen leisten konnten“.
Das sagen Gewerkschaften zur Kriminalstatistik
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt vor „falschen und zweifelhaften Vorbildern“, die ihren Reichtum und ihre Macht offen zur Schau stellen würden: Viele junge Menschen scheinen zu glauben, so GdP-Vize Lars Osburg, dass der Drogenhandel derart lukrativ sei, um schnell Geld zu verdienen. „Damit wird ein Lebensweg, der auf Bildung und Rechtschaffenheit beruht, massiv diskreditiert.“ Die Statistik zeige, dass es da „dringenden Handlungsbedarf“ gebe.

Kritik kommt derweil vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): Man solle sich nicht von den sinkenden Zahlen blenden lassen, so Jan Reinecke. „Man sollte stattdessen die seit langem bestehenden strukturellen Defizite bei der Kriminalpolizei angehen.“ Er zielt auf Zehntausende unbearbeitete Fälle innerhalb der Kripo. Und fragt: „Wie kann es zu solchen Rückstellungen denn kommen?“ Seine Forderung: Ein „tragfähiges Personalkonzept“.
PKS: Reaktionen aus der Hamburger Politik
Sören Schumacher, Innenexperte der SPD, findet es gut, dass die Zahl der Straftaten seit 2019 stabil geblieben sei, „obwohl die Einwohnerzahl heute deutlich höher liegt“. Die Sicherheitsbehörden leisteten eine „ganz hervorragende Arbeit“. Daher habe die SPD auch in den vergangenen Jahren „viel in die innere Sicherheit investiert“.
Sein CDU-Pendant, Dennis Gladiator, stellt sich dagegen die Frage, „ob es sich hierbei nicht nur um die Spitze des Eisbergs handelt“. Er meint die bereits von Reinecke monierten Aktenhalden bei der Kripo und sagt, dass es daher erheblich mehr Straftaten sein müssten, denen Hamburger im vergangenen Jahr zum Opfer fielen. Nach wie vor seien die Ermittler „heillos überlastet“.
Gladiator fordert bessere Arbeitsbedingungen, vor allem im Bereich der IT. Er nimmt Grote in der Pflicht: „Die Ermittler müssen bei der Verfolgung der Straftaten mit den Tätern auf Augenhöhe sein.“

Grote selber sprach bei der Präsentation von einer insgesamt positiven Entwicklung, die das Sicherheitsgefühl in der Stadt „nicht unerheblich“ berühre. Er kündigte an, weiter in die Leistungsfähigkeit der Polizei zu investieren und sprach allen Beamten, die „Tag und Nacht für uns im Einsatz sind“, seinen Dank aus.