Großrazzia auf St. Pauli: Wie Bordell-Chefs enorme Summen am Fiskus vorbeischieben
Mittwoch um 6 Uhr auf dem Kiez: Von Party ist auf der Reeperbahn zu dieser Zeit wenig zu sehen. Dafür stürmen im Morgengrauen maskierte Beamte Bordelle, Geschäftsräume und Wohnungen. Der Verdacht: Eine Bande aus dem Rotlicht-Milieu soll den Fiskus mit einem ominösen Steuergeflecht um Hunderttausende von Euro geprellt haben.
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Mittwoch um 6 Uhr auf dem Kiez: Von Party ist auf der Reeperbahn zu dieser Zeit wenig zu sehen. Dafür stürmen im Morgengrauen maskierte Beamte Bordelle, Geschäftsräume und Wohnungen. Der Verdacht: Eine Bande aus dem Rotlicht-Milieu soll den Fiskus mit einem ominösen Steuergeflecht um Hunderttausende von Euro geprellt haben.
Mannschaftsbusse der Polizei parken an der Reeperbahn, ganz in der Nähe der weltberühmten Davidwache. Die Beamten müssen von dort nur einmal um die Ecke: An der Herbertstraße filzen sie ein Bordell, an der Davidstraße eine Mischung aus Absteige und Bar, in der sich Huren an kälteren Tagen gerne einmal aufwärmen.
Hamburg: Wie Bordell-Chefs Geld am Fiskus vorbeischieben
Das „Geschäft“ befindet sich im selben Gebäude wie das „The Other Place“, die Stammkneipe der berüchtigten „Hells Angels“. Ein Geschäftsinhaber aus derselben Straße sagt, dass niemand genau wisse, was da abgehe. „Aber die haben überall ihre Finger im Spiel. Überall, wo man Geld verdienen kann. Das ist mal sicher.“
Insgesamt 46 Durchsuchungsbeschlüsse vollstrecken die Polizisten, die von Beamten der Steuerfahndung begleitet werden, an diesem Morgen, auch in Schleswig-Holstein. Und im Ausland: Nach MOPO-Informationen wird ein Privathaus in Kärnten (Österreich) gefilzt – der Inhaber soll an mehreren Bordellen in Deutschland beteiligt sein, darunter auch ein berühmter Puff an der Reeperbahn.
Bei den Razzien wird niemand festgenommen, aber viele mutmaßliche Beweismittel sichergestellt: Akten, Unterlagen, Ordner und Computer sowie USB-Sticks. Vor allem auf dem Kiez werden die Maßnahmen durch Spezialkräfte der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) gesichert. Sie sind maskiert und schwer bewaffnet.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Gruppe bestehend aus zehn Personen, denen sie gemeinschaftliche bandenmäßige Hinterziehung von Umsatzsteuer vorwirft. Sprecherin Liddy Oechtering bestätigt, dass es um einen „hohen sechsstelligen Hinterziehungsbetrag“ gehe – wie die MOPO erfuhr, sollen es mehr als 500.000 Euro sein.
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Die Staatsanwaltschaft beantwortet tiefergehende Fragen zu den Ermittlungen aufgrund des Steuergeheimnisses nicht. Nach MOPO-Informationen geht es aber vorrangig um das Ausstellen fiktiver Rechnungen – im Rotlicht gang und gäbe.
Es werden Rechnungen für Leistungen ausgestellt, die es nie gegeben hat. Mit der Fake-Quittung können sich Beteiligte dann die Mehrwertsteuer erstatten lassen. Oft werden die Rechnungen von Unterfirmen und Strohmännern geschrieben, wo innerhalb weniger Wochen mehrfach Geschäftsführer und Firmenname gewechselt werden. Die wahren Drahtzieher bleiben so unerkannt – verdienen aber, über Jahre gesehen, steuerfrei Millionen.
Kiez: Mit teurem Champagner den Fiskus tricksen
Viele Bordell-Betreiber tricksen auch beim Inventar. Ein Beispiel: teurer Champagner. Auch dieser wird mit falschen Rechnungen eingekauft. Wenn dann Fiskus-Mitarbeiter kommen und fehlende Flaschen feststellen, begründen das die Chefs meistens damit, dass im wuseligen Betrieb an Wochenende Flaschen kaputt gehen oder geklaut werden. Auch fiktive Betten werden gekauft, die bei Kontrollen dann nicht mehr da sind, weil sie beim Sex angeblich kaputt gegangen seien.
Gemauschelt wird zudem beim Verhältnis zwischen Bordell-Chef und Prostituierten: Viele kassieren von den Frauen zwar Miete, geben das bei der Steuer aber nicht an. Die Betreiber verdienen viel Geld – die Huren zahlen Tagessätze zwischen 100 und 200 Euro. Beklagt wird sich darüber nicht, denn die Frauen sind auf Plätze, an denen sie ihre Dienste anbieten können, angewiesen.
Aufgefallen sind die Steuer-Irritationen Anfang des Jahres. Seitdem werden sie genau überprüft. Für die Beamten heißt es jetzt, ein Geflecht aus undurchsichtigen Geschäftsstrukturen zu entziffern, um den wahren Hintermännern belastbare Vorwürfe machen zu können.