Gewalt und Drogen: Nachts wird der Kiez zum Pulverfass
Sie waren nur eine Nacht in Hamburg. Zwischenstopp, bevor es für die drei Flugbegleiter weitergehen sollte. Doch ihre Partynacht auf dem Kiez endete mit einem brutalen Angriff, als sie vor der Tür eines Clubs rauchen wollten. Da schlug eine Frau einem der Flugbegleiter eine Flasche ins Gesicht und verpasste ihm eine tiefe Wunde. Einfach so. Im Vorbeigehen. Weil das Opfer sie blöd angeguckt hätte. Traurige Routine für die Beamten der Davidwache. Jedes Wochenende haben sie mehrere solche gefährlichen Körperverletzungen mit Glasflaschen. „Die Verrohung auf dem Kiez nimmt immer weiter zu“, sagt Andreas Prüß (53). Die MOPO begleitete den Bürgernahen Beamten und seine Kollegen bei ihrer Streife am Wochenende – und erlebte ein explosives Gemisch aus Drogen, Gewalt und Respektlosigkeit.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Sie waren nur eine Nacht in Hamburg. Zwischenstopp, bevor es für die drei Flugbegleiter weitergehen sollte. Doch ihre Partynacht auf dem Kiez endete mit einem brutalen Angriff, als sie vor der Tür eines Clubs rauchen wollten. Da schlug eine Frau einem der Flugbegleiter eine Flasche ins Gesicht und verpasste ihm eine tiefe Wunde. Einfach so. Im Vorbeigehen. Weil das Opfer sie blöd angeguckt hätte. Traurige Routine für die Beamten der Davidwache. Jedes Wochenende haben sie mehrere solche gefährlichen Körperverletzungen mit Glasflaschen. „Die Verrohung auf dem Kiez nimmt immer weiter zu“, sagt Andreas Prüß (53). Die MOPO begleitete den Bürgernahen Beamten und seine Kollegen bei ihrer Streife am Wochenende – und erlebte ein explosives Gemisch aus Drogen, Gewalt und Respektlosigkeit.
Mit einem Kaffee sitzt Andreas Prüß an seinem Schreibtisch im ersten Stock der Davidwache. Es ist Freitagabend, 23 Uhr. Der Kiez füllt sich. Normalerweise ist der Bürgernahe Beamte, der auf Wunsch seines Vaters erst einmal eine Ausbildung zum Landwirt machte, tagsüber unterwegs. Unterhält sich mit Anwohnern, Sozialeinrichtungen, Geschäftstreibenden und Obdachlosen. Kümmert sich um ihre Sorgen. „Zu 50 Prozent bin ich Sozialarbeiter.“ Zweimal im Monat allerdings fährt er die 70 Kilometer von seinem Heimatdorf in Schleswig-Holstein zur Davidwache und geht nachts mit auf Streife.
„Heute dominieren Wodka-Bombe, Kioske und Dönerläden. Es ist sehr schwierig“
Auf den Kiez kam Andreas Prüß vor viereinhalb Jahren. Weil er es wollte. Eigentlich keine lange Zeit. Doch in den paar Jahren hat sich das Viertel massiv gewandelt. „Der Kiez verändert sich dramatisch. Heute dominieren Wodka-Bombe, Kioske und Dönerläden. Es ist sehr schwierig.“ Besonders die Gewalt mit Glasflaschen macht dem Beamten Sorgen. „Früher wurde sich aus irgendwelchen Gründen geprügelt. Heute guckt jemand falsch, oder es wird unterstellt, dass die Freundin angestarrt wurde und schon wird zugeschlagen oder zugetreten. Häufig sind Flaschen im Spiel.“ In den seltensten Fällen sind die Täter noch vor Ort, wenn die Polizei kommt.
Ein weiteres Problem mit den Glasflaschen: Besonders, wenn es wärmer wird und die Kleidung luftiger, passieren viele Unfälle. „Nachts liegen überall Scherben herum. Wenn die Leute getrunken haben, fallen sie rein. Aufgeschnittene Knie, Hände und Füße kommen häufig vor.“
Das könnte Sie auch interessieren: Rocker, Gangster, Dealer: Wer die Macht auf dem Kiez hat
Die beiden Kollegen stehen in der Tür. „Los?“, fragt einer. Die Beamten machen sich auf den Weg zur S-Bahnstation Reeperbahn. Schon auf der Treppe bitten sie zwei Männer, ihre Bierflaschen wegzuwerfen. „Aber die haben wir gerade erst hier gekauft“, sagt einer der Männer und zeigt in Richtung des Kiosks im Bahnhof. Nach 22 Uhr ist der Verkauf verboten. Andreas Prüß ermahnt den Verkäufer. Nicht das erste Mal. Der zeigt unschuldig seine Plastikbecher. Glasflaschen verkaufe er um diese Uhrzeit nicht.
Vor der Tür spricht Kollege Stefan Krause zwei weitere Männer an. „Hier gilt Glasflaschenverbot. Bitte entsorgen.“ „Wo steht das?“, will einer wissen. Der Beamte zeigt über sich. Sehr ungünstig, das Verbotsschild ist an der falschen Seite angebracht. Man sieht es nur, wenn man zum Gleis geht. Allerdings hat die Bahn gerade erst neue Schilder auf den Bahnsteigen montiert. Die sind allerdings so weit über den Köpfen, dass man sie nicht wahrnimmt.
Andreas Prüß macht sich für Piktogramme auf dem Boden stark. „Die Leute gucken nicht nach oben.“ Doch die Mühlen beim Bezirk mahlen offenbar langsam. Etwa 18 Verbotsschilder gibt es auf dem Kiez. Wie viele es momentan genau sind, weiß der Beamte nicht. Sie werden regelmäßig geklaut. „Die hängen in etwa drei bis vier Metern Höhe offenbar etwas außerhalb des Blickfelds. Häufig lehnen die Leute unter dem Schild und trinken aus Flaschen.“
Weiter geht es entlang der Reeperbahn. Vorbei am „Burger & Noodlehouse“. Gerade erst hat das Restaurant umgebaut. Aus einem Fenster heraus wird nun Alkohol verkauft. „Vodka Energy“ steht in großen Buchstaben auf der Leuchtreklame. „Die Kioske und Wodka-Läden sind unsere Einsatzschwerpunkte. Der Alkoholkonsum ist enorm. 4,1 Promille sind keine Seltenheit. Das war früher anders“, sagt Andreas Prüß. Nicht der einzige neue „Kiosk“. Ein weiterer soll in Kürze am Beatles-Platz hinzukommen.
Mann gestoppt: Zehn Tütchen Marihuana in der Unterhose
Die Partygänger, die nicht mal Geld für Alkohol vom Kiosk haben, bunkern ihre mitgebrachten Flaschen hinter der Großen Freiheit im Pestalozzi-Viertel. „In Hecken und Gebüschen verstecken sie ihre Taschen und kommen immer wieder, um zu trinken“, sagt der Beamte. Er dreht sich um. Seine Kollegen haben vier Männer gestoppt. „Einmal die Ausweise bitte.“ Die Männer schütteln die Köpfe, haben sie nicht dabei. Ein schmächtiger Typ mit beigefarbenem Kapuzenpulli und Cap wirkt unruhig. Bei näherer Betrachtung sehen die Beamten eine große Ausbeulung im Schritt. Durchsuchung. Zehn Tütchen Marihuana im Zipper-Beutel hat er in der Unterhose. Die Beamten rufen Verstärkung, denn in der Davidwache kann der Mann nicht durchsucht werden. Die Zellen sind wegen Bauarbeiten gesperrt. Er wird zur Wache an der Lerchenstraße gebracht.
An der nächsten Ecke pinkelt ein Mann gegen die Hauswand. „Was wollt ihr von mir? Das machen doch alle“, sagt er völlig uneinsichtig. Von der anderen Straßenseite brüllt ein Partygänger: „Ja, klar. Die Polizei, dein Freund und Helfer.“ Der Bürgernahe Beamte schüttelt den Kopf. Das kennt er schon. Der Respekt vor den Beamten schrumpft zusehends.
Das könnte Sie auch interessieren: Kiez-Stripperin: „Gäste können Arschlöcher sein“ – sie verlor ein Ohr auf der Bühne
Auch sexuelle Belästigungen gibt es immer häufiger. Besonders auf der Großen Freiheit. Jedes Wochenende mehrere Fälle. Im Vorbeigehen von hinten durch die Beine in den Schritt fassen, den Hintern oder die Brüste antatschen. Auch in dieser Nacht alarmiert eine junge Frau die Polizei. Auf der Großen Freiheit hat ihr ein Mann mehrfach an den Hintern gefasst und sie an sich gedrückt. Als die Beamten eintreffen, ist der Täter weg.
Pöbelei nach Flaschenangriff: „Seid ihr bescheuert? Ich bin das Opfer“
Ein Kollege bittet über Funk um Verstärkung. Angriff mit Flasche an der Talstraße. Auf dem Weg dahin sehen die Beamten zwei Männer in einem Hinterhof. Vor ihnen ein Handy mit Koks auf dem Display. Sie stellen das weiße Pulver sicher, finden bei einem der Männer noch fünf weiße Pillen. Personalienaufnahme. Weiter geht es zum Flaschenangriff. Schon von weitem hört man einen Mann brüllen. „Seid ihr bescheuert? Ich bin das Opfer. Warum versteht ihr das nicht?“ Zwei Beamte halten den pöbelnden Mann auf dem Gehweg fest. „Beruhig dich jetzt mal“, sagt ein Polizist. „Ich bin ruhig“ brüllt der Mann und flucht weiter. Als die Polizisten ihm Handschellen anlegen, flippt er komplett aus. „Ich bin das Opfer. Nur weil ich ein Kanake bin, werde ich hier so behandelt.“
Sein Freund, ein ängstlich dreinblickender Kerl, berichtet den Beamten, dass sein Kumpel im Puff war. „Danach waren seine Kopfhörer weg. Und er hat uns beschuldigt, sie geklaut zu haben.“ Die Männer stritten sich. „Er ist auf einmal mit einer Flasche auf uns los.“ Als sie davonliefen, warf er die mitgebrachte Whiskyflasche, verfehlte die Männer jedoch. „Es gab einen lauten Knall. Überall waren Scherben“, sagt eine Zeugin. Die Blondine mit dem strengen Zopf arbeitet auf dem Kiez. „Nur noch junges Partyvolk hier. Die können sich alle nicht benehmen. Vor 30 Jahren war das noch herrlich hier.“ Sie trauert der alten Zeit hinterher. Und dürfte nicht die Einzige sein.