Eskalierender Drogenkrieg auf Hamburgs Straßen: „Die Angst fährt mit“
Tödliche Schüsse in einer Shisha-Bar in Hohenfelde, Kugelhagel in Tonndorf: Immer häufiger kommt es in letzter Zeit zu schweren Auseinandersetzungen, bei denen mittlerweile sogar vollautomatische Waffen eingesetzt werden. Der Drogenkrieg auf Hamburgs Straßen scheint zu eskalieren, Machtverhältnisse verschieben sich. Polizei-Gewerkschaften warnen vor Personalmangel und sich weiter intensivierender Gewalt. Bei vielen Kollegen würde bereits jetzt die Angst im Streifenwagen mitfahren, wie eine Beamtin der MOPO berichtet.
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Tödliche Schüsse in einer Shisha-Bar in Hohenfelde, Kugelhagel in Tonndorf: Immer häufiger kommt es in letzter Zeit zu schweren Auseinandersetzungen, bei denen mittlerweile sogar vollautomatische Waffen eingesetzt werden. Der Drogenkrieg auf Hamburgs Straßen scheint zu eskalieren, Machtverhältnisse verschieben sich. Polizei-Gewerkschaften warnen vor Personalmangel und sich weiter intensivierender Gewalt. Bei vielen Kollegen würde bereits jetzt die Angst im Streifenwagen mitfahren, wie eine Beamtin der MOPO berichtet.
Jana S. (Name geändert) ist 23 Jahre alt und Polizeihauptmeisterin. Sie lernt als junge Polizistin eine neue Form der Gewalt kennen. Worüber andere aus Zeitungen erfahren, das erlebt sie hautnah.
Hamburger Polizistin über Milieu-Gewalt: „Die Angst fährt mit“
Bei ihr und ihren Kollegen nehme das mulmige Gefühl zu, wenn sie im Streifendienst unterwegs seien, sagt sie. „Man muss immer mehr davon ausgehen, dass Waffen, die häufig leicht zu beschaffen sind, auch gegen Beamte eingesetzt werden oder man von Querschlägern getroffen wird.“
Mit zunehmender Sorge betrachtet auch Horst Niens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die immer öfter vorkommenden Schießereien im Milieu. „Nun werden schon Uzis eingesetzt, die Auseinandersetzungen haben eine neue Qualität erreicht“, so der Streifenpolizist. „Und das ist erschreckend.“
Der damals 27-jährige Terry S. wurde im Sommer vergangenen Jahres in einer Hohenfelder Shisha-Bar von Kugeln aus einer Uzi hingerichtet. In der Nacht zu Dienstag dann standen Kaisar R. (26) und sein Beifahrer (30) in Tonndorf im Kugelhagel. Auch hier lässt sich anhand des Musters der Einschlaglöcher deutlich erkennen, dass eine vollautomatische Waffe benutzt wurde.
Die Luft sei daher nicht mehr nur auf dem Kiez „bleihaltig“. In nahezu jedem Stadtteil habe es laut Niens bereits Vorfälle mit Waffengebrauch gegeben. Häufig in Harburg rund um die Wilstorfer Straße, fast immer gehe es um Drogen – wie bei den Fällen in Hohenfelde und Tonndorf.
„Die Polizisten sind zwar relativ gut mit schusssicheren Westen versorgt, doch die schützen nur den Oberkörper“, erklärt Niens. „Gegen die Vielzahl der Salven aus Schnellfeuerwaffen sind sie beinahe wirkungslos.“
Diese Sondereinheit unterstützt den Streifendienst
Für grobe und in ihrer Gefahr schlecht einzuschätzende Einsätze ist bei der Polizei eine Unterstützungsstreife (USE) eingeführt worden. Zwei Busse mit je vier Beamten der Bereitschaftspolizei, die täglich bei speziellen Lagen gerufen werden können. Die Kräfte sind schwer bewaffnet und darauf trainiert, aufgeheizte Situationen zu beruhigen. „Diese robust ausgestattete Sondereinheit unterstützt die Peterwagenbesatzungen sehr schnell und schließt die Zeitlücke bis zum Eintreffen der Spezialeinheiten“, so Polizeisprecher Florian Abbenseth.
Im Zweifel kann der Hilferuf, um die USE zu alarmieren, trotzdem zu spät kommen. Daher wachse auch die Sorge bei vielen Streifenpolizisten, sagt Jana S. „Die größte Sorge ist, dass zum Beispiel ein normaler Einsatz außer Kontrolle gerät, weil plötzlich eine Schusswaffe vom Gegenüber gezogen und auf Polizisten gerichtet wird.“ Auf so etwas könne man nicht schnell genug reagieren, geschweige denn Unterstützung anfordern.
Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) blickt ebenfalls mit Sorge auf die Entwicklung innerhalb der organisierten Kriminalität: Im Zuge der „EncroChat“-Ermittlungen habe man quasi bei jeder Durchsuchung auch Waffen gefunden, teils Kriegswaffen und vollautomatische Waffen. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie anfangen, diese auch zu nutzen“, so der BDK-Landesvorsitzende zur MOPO.
Seit der Entschlüsselung von „EncroChat“, einer Messenger-Plattform, über die Kriminelle über ihre Geschäfte kommunizierten, ist das Milieu in Hamburg aufgerüttelt. Mächtige Strippenzieher sitzen im Knast. Das hat ein Machtvakuum geschaffen. Und es sorgt für Revierkämpfe, die offenbar immer kaltblütiger ausgetragen werden.
Man habe es mit einer Generation an Tätern zu tun, die nicht mehr – wie früher – an die Ruhe des Marktes denken. Reinecke: „Diese Täter setzen schwere Waffen ein, um ihre Gegner tot zu schießen.“ Früher sei das schlecht für das Geschäft gewesen. „Heute interessiert das die Beteiligten nicht mehr.“
Der BDK bemängelt dazu das fehlende Personal innerhalb des Landeskriminalamtes (LKA). Dort würden sich aktuell beinahe 10.000 unbearbeitete, angezeigte Fälle türmen, so Reinecke. Die Ermittler an vielen Dienststellen kämen gar nicht mehr hinterher. „Kriminalität wird hier verwaltet, aber nicht gelöst.“
BDK: „Organisierte Kriminalität wagt sich aus der Deckung“
Gerade Fälle im Bereich der organisierten Kriminalität (OK) würden nicht vom Bürger angezeigt, da müsse sich die Kriminalpolizei aktiv und permanent kümmern. „Wenn die OK-Bekämpfung, wie in den letzten Jahren geschehen, immens zusammengespart wird, dann wundert es niemanden, wenn die organisierte Kriminalität Oberhand gewinnt und sich aus der Deckung wagt“, findet Reinecke.
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Die Polizei hält dagegen. Sprecher Abbenseth sagt dazu: „Unsere OK-Abteilung setzt mit ihren Erfolgen Maßstäbe und seit Beginn der ‚EncroChat‘-Ermittlungen wurden bis Ende des vergangenen Jahres allein in Hamburg fast 260 mutmaßliche Dealer verhaftet und damit vom Markt genommen.“ Daniel Schaefer von der Innenbehörde ergänzt: „Wer diese Erfolge in Abrede stellt, der diskreditiert auch die Erfolge der eigenen, sehr engagierten Kollegen im LKA.“