Mord am Michel: Die letzten Augenblicke von Jose R.
Sein Neffe beschreibt die letzten Augenblicke des Mannes: Jose Manuel Goncalves R. soll am Sonntagabend im Portugiesen-Viertel in der Neustadt, in der Nähe des späteren Fundorts, ein Konzert besucht haben; ein traditioneller Gig, bei dem Songs einen sehr melancholischen und gesellschaftskritischen Unterton haben.
Im Anschluss wollte er sich, so die Schilderungen seines Neffen, einen Drink mit seinem Bruder in der Bar gönnen, in der dieser arbeitet. Doch der hatte kurzfristig abgesagt, weil er sich nicht gut fühlte. „Er lebt jetzt in schrecklicher Schuld, da er glaubt, dass er seinen Tod hätte verhindern können, wenn er nur für seinen Bruder da gewesen wäre“, schreibt Joao.
R. hätte daraufhin seine Frau angerufen und ihr gesagt, dass er nun nach Hause kommen würde. Und dass er von einem Mann belästigt beziehungsweise verfolgt werde.
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Jose Manuel Goncalves R., der Mann, dessen Leiche am frühen Montagmorgen von einem Passanten auf einer Wiese am Hamburger Michel gefunden wurde, ist ermordet worden. Davon gehen die Ermittler der Polizei aus. Dem 62-Jährigen, der gegen 3 Uhr auf dem Rücken neben einem Baum liegend vorgefunden worden war, soll ein Messer „wuchtig in den Hals gestochen worden sein“, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft mit. Es geht um Mord und Raub, Habgier ganz offenbar. Weggefährten erinnern sich an den liebevollen Familienvater, der einen Tick für Zwei-Euro-Münzen hatte. Seine Familie will nicht, „dass das Verbrechen gesichtslos bleibt“.
Es ist ein bewegender Nachruf des ältesten Neffen, Joao V. „Für uns ist es immer noch hart zu realisieren, dass das passiert ist“, schreibt er in einem Brief an die MOPO. Mit jeder Zeile ist der enorme Stolz zu vernehmen, den er für seinen Onkel hegt. Der 62-Jährige sei ein Seemann durch und durch gewesen, habe jahrelang auf Fischerschiffen unter deutscher Flagge gearbeitet, die meiste Zeit als Koch. „Mein Onkel hat mit 14, 15 Jahren schon angefangen, zu arbeiten, und auf vieles verzichtet. Auch, um später seinen zwei Töchtern ein schönes Leben zu ermöglichen.“
Hamburg: Mann wurde am Michel mit Messer ermordet
Sein Onkel sei „sehr stolz“ auf seine Mädchen gewesen; die eine hätte die Universität in Portugal – die Heimat der Familie – erfolgreich abgeschlossen, die andere – die Jüngere – sei gerade mit ihrem Studium gestartet. Joao: „Er hat dem Wohl seiner Familie alles untergeordnet, immer hart gearbeitet und war Alleinverdiener.“ Trotz der großen Distanz sei R. stets „sehr präsent innerhalb der Familie gewesen“. Doch warum musste der 62-Jährige sterben?
Sein Neffe beschreibt die letzten Augenblicke des Mannes so: Jose Manuel Goncalves R. soll am Sonntagabend im Portugiesen-Viertel in der Neustadt, in der Nähe des späteren Fundorts, ein Konzert besucht haben; ein traditioneller Gig, bei dem Songs einen sehr melancholischen und gesellschaftskritischen Unterton haben. Im Anschluss wollte er sich, so die Schilderungen seines Neffen, einen Drink mit seinem Bruder in der Bar gönnen, in der dieser arbeitet. Doch der hatte kurzfristig abgesagt, weil er sich nicht gut fühlte. „Er lebt jetzt in schrecklicher Schuld, da er glaubt, dass er seinen Tod hätte verhindern können, wenn er nur für seinen Bruder da gewesen wäre“, schreibt Joao.
Der Tod des Portugiesen – ein schief gelaufener Raub?
R. hätte daraufhin seine Frau angerufen und ihr gesagt, dass er nun nach Hause kommen würde. Und dass er von einem Mann belästigt beziehungsweise verfolgt werde. Ein Arbeiter, der neu in Hamburg ist, und sich öfter in der Bar des Bruders des Verstorbenen aufgehalten haben soll. „Mein Onkel trug etwas Bargeld bei sich, von dem er seinen Töchtern etwas kaufen wollte. Sie haben demnächst Geburtstag“, so Joao. Der Tod des Onkels – ein schief gelaufener Raub?
Am Tag danach meldet die Polizei eine Festnahme. Der Tatverdächtige, ein 46-jähriger Italiener, sitzt zu der Zeit schon in U-Haft. Er war in der Tatnacht mit dem 62-Jährigen in derselben Bar, verfolgte ihn laut Staatsanwaltschaft. „Er wollte ihm einen höheren Bargeldbetrag abnehmen“, bestätigte die Sprecherin die Schilderungen von Joao. „Der Beschuldigte handelte aus Habgier, mit Heimtücke und um eine andere Tat – den Raub – zu ermöglichen.“ Er wurde in einem Hotel festgenommen und schweigt bisher. Die Mordkommission ermittele und werte nun Beweismittel aus.
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Am Morgen des Leichenfundes, es ist gegen 3 Uhr, ist der Himmel bedeckt, während Mordermittler ihrer Arbeit in weißen Overalls nachgehen. Mit Klebestreifen nehmen sie Proben vom Äußeren des Toten. Später wird noch die Feuerwehr gerufen, um Blutspuren wegzuspülen. Nur wenige Menschen gehen an den Absperrungen vorbei oder bleiben für einen Moment am Tatort stehen. Viertelstündlich schlägt die Kirchturmuhr. Um 10 Uhr spielt der Michel-Türmer seinen täglichen Choral unterhalb der Turmuhr. Die Trompetenklänge wirken feierlich und traurig zugleich.
Gedrückte Stimmung ist unter den gewerbetreibenden Portugiesen im Viertel auch am Mittwoch zu vernehmen. Die Bar an der Karpfangerstraße, in der R. gelegentlich arbeitete und sich was dazuverdiente, ist zu. Nach der Schicht soll er dort immer mit einem befreundeten Koch zwei Sagres-Bier getrunken und stets ein Faible für neue Zwei-Euro-Münzen gehegt haben. „Er hat sie gesammelt“, so eine Betreiberin, „sich immer sehr penibel die Rückseiten der Münzen angeschaut.“ Er sei Nichtraucher gewesen, habe seinem Freund aber jeden Tag Zigaretten mitgebracht.
An jener Stelle, an der der Portugiese tot aufgefunden worden war, zieren nun Blumensträuße und Kerzen den Wiesenrand. Niemand, da sind sich alle sicher, werde diesen „aufrichtigen und netten Menschen“ jemals vergessen.
Neffe des Getöteten: Du bist nicht allein im Park gestorben
Joao V. beendet seinen Nachruf mit den Worten seines Bruders, dem Patenkind des verstorbenen R.: „Es ist hart, nicht fair und grausam. Wir haben einen Vater, einen Ehemann, einen Sohn, einen Onkel, einen Freund verloren – über allem einfach einen puren und höflichen Menschen. Stets freundlich und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Du bist nicht allein in dem Park gestorben. Wir sind sind immer bei dir und wirst immer in unseren Herzen sein.“