„Denen ist alles egal“: Immer mehr gefährliche Autorennen in Hamburg
Es sind nicht einmal immer die absoluten PS-Protzkarren, mit denen Rennen in Hamburg gefahren werden. Oft reicht ein fahrbarer Untersatz, ein Blick an der Ampel – und dann wird aufs Gaspedal gedrückt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Zahlen, die der exklusiv MOPO vorliegen, zeigen, dass die Bereitschaft, lebensgefährliche Rennen zu fahren, offenbar zunimmt. Ein Szene-Insider sagt: „Es geht nur um den Rausch. Alles andere ist denen egal.“
Es sind nicht einmal immer die absoluten PS-Protzkarren, mit denen Rennen in Hamburg gefahren werden. Oft reicht ein fahrbarer Untersatz, ein Blick an der Ampel – und dann wird aufs Gaspedal gedrückt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Zahlen, die der MOPO exklusiv vorliegen, zeigen, dass die Bereitschaft, lebensgefährliche Rennen zu fahren, offenbar zunimmt. Ein Szene-Insider sagt: „Es geht nur um den Rausch. Alles andere ist denen egal.“
23.38 Uhr, Holstenstraße, Ende Mai: Zwei 19-Jährige – der eine sitzt in einer Mercedes A-Klasse, der andere im VW Touareg – rasen durch Altona, überholen, schneiden Autos im dichten Verkehr. Ihre Tachos zeigen mindestens 100 km/h an – erlaubt sind 50. Eine zivile Streife hält sie an, beide sind noch in der Probezeit. Ihre Führerscheine: weg.
Eine Woche früher an der Rentzelstraße (Rotherbaum): Ein 28-Jähriger verliert die Kontrolle über seinen Mercedes AMG GT R Coupé (Neupreis: ab 166.000 Euro, knapp 600 PS), nachdem er laut Zeugen „extrem“ beschleunigt habe. Er prallt mit dem Wagen gegen einen geparkten Citroen, dann gegen einen Kantstein, rammt mehrere Schilder und Schutzbügel. Schließlich hebt der AMG ab und bleib auf dem Gehweg auf dem Dach liegen; kurz zuvor hatten da noch Gäste vor einem Restaurant gegessen. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt. Der Schaden: 200.000 Euro.
An einem Rennen müssen nicht zwei Autos beteiligt sein
Die Fälle zeigen: Rechtlich gesehen müssen nicht zwei oder mehrere Autos an einem Rennen teilnehmen. Die Justiz wertet auch sogenannte Einzelrennen als Rennen, wenn sich ein Fahrer „mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“, sagt ein Polizeisprecher. So wie im Fall Rentzelstraße.
Seit Jahren nehmen die Fälle im Bereich der verbotenen Kraftfahrzeugrennen zu: So stieg die Zahl der Delikte von 90 (2021) auf 104 im vergangenen Jahr an. Bis Ende Juli des laufenden Jahres leitete die Polizei 78 Verfahren ein – der aktuelle Trend könnte zu einer erneuten Steigerung führen. Bei jedem fünften Unfall in Hamburg war zu hohes Tempo in Kombination mit unangemessenem Sicherheitsabstand ursächlich.

Nach Einschätzung der Experten der Verkehrsdirektion (VD) gibt es keine Brennpunkte, an denen sich Menschen in Hamburg zu Rennen verabreden. Sie würden sich oftmals spontan ergeben, zum Beispiel an der Ampel. Treffen, bei denen man sich gezielt zum Rennen verabredet, seien Einzelfälle. Raser, die häufig aus der sogenannten Autoposer-Szene kommen, mit quietschenden Reifen und Motorenlärm auffallen, sind oft junge Männer; laut Polizei kommen sie aus allen Bevölkerungsschichten.
Jan W. hat an der Aral-Tankstelle am Wilhelm-Ivan-Ring in Allermöhe gearbeitet, einem bekannten Treff für PS-Fans. Jährlich treffen sich hier zu Ostern am „Carfreitag“ hunderte Autoliebhaber, zeigen ihre teils aufgemotzten Wagen. Häufig kommt es in der Nähe des Treffens auch zu Rennen, zuletzt soll ein Lamborghini beteiligt gewesen sein.
W., der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt, dass die meisten hier friedlich sind, einige aber in ganz Hamburg Rennen fahren. Eine eingeschworene Einheit, der es einzig und allein um den Rausch gehe. „Umso schneller und wagemutiger umso besser. Die denken nicht an Unfälle, Polizei, Verletzte oder Tote, die denken nur an sich. Alles andere ist denen egal.“
So reagiert die Polizei auf die Raserei in Hamburg
Die Polizei reagierte schon 2017 auf die Raser-Entwicklung, bildete eine Sonderkommission (Soko) mit dem Namen „Autoposer“. Mittlerweile ist die Einheit eine feste Dienstgruppe innerhalb der Verkehrsdirektion, zuständig für „die zielgerichtete Überwachung von aggressivem und posendem Fahrverhalten“. Dabei kontrollieren die Beamten auch, ob die Fahrzeuge technisch korrekt und nicht – wie es oftmals vorkommt – auf illegale Weise frisiert sind. Die Gruppe wird täglich von Kräften der verschiedenen Verkehrsstaffeln und von Beamten örtlicher Wachen unterstützt.

Allein bis Ende Juli hat die Dienstgruppe 1269 Fahrzeuge gefilzt, dabei 25 Lärmverstöße festgestellt, 68 Verfahren eingeleitet, 399 Mal die Weiterfahrt untersagt, 274 Autos sichergestellt. Das geht aus Zahlen hervor, die der MOPO vorliegen. Seit 2017 wurden insgesamt 6146 Fahrzeuge kontrolliert.
Auch der ADAC warnt vor illegalen Rennen – und hat einen Tipp
Neben der Polizei warnt auch der ADAC vor den Gefahren illegaler Rennen auf öffentlichen Straßen. Fahrer setzten sich selbst, aber auch Unbeteiligte einem hohen Risiko aus, so ein Sprecher. Der Club befürwortet die Maßnahmen der Polizei: „Das Risiko, erwischt zu werden, muss hoch sein, um eine abschreckende Wirkung zu erzeugen“, so der Sprecher weiter. „Nur durch konsequente Kontrollen können Täter ermittelt und entsprechend sanktioniert werden.“
Der ADAC hat aber auch einen Tipp für PS-Liebhaber: „Am besten und sichersten ist es, sich auf einer der vielen offiziellen Rennstrecken einzubuchen und dort gegeneinander zu fahren. Das macht auch Spaß, man gefährdet keine anderen Personen und ist zudem noch legal.“