Das hat sich ein Jahr nach der Amoktat bei den Zeugen Jehovas verändert
Vor einem Jahr erschoss Philipp F. im Gemeindehaus der Zeugen Jehovas an der Deelböge (Alsterdorf) sieben Menschen, darunter eine Frau und ihr ungeborenes Kind. Dann richtete er sich selbst. Eine ungeheuerliche Tat. Die Waffenbehörde geriet stark in die Kritik, in der Politik sprach man sich für eine Verschärfung des Waffengesetzes aus. Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten verändert?
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Vor einem Jahr erschoss Philipp F. im Gemeindehaus der Zeugen Jehovas an der Deelböge (Alsterdorf) sieben Menschen, darunter eine Frau und ihr ungeborenes Kind. Dann richtete er sich selbst. Eine ungeheuerliche Tat. Die Waffenbehörde geriet stark in die Kritik, in der Politik sprach man sich für eine Verschärfung des Waffengesetzes aus. Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten verändert?
Bereits kurz nach der Tat stellte sich heraus, dass Hinweisen auf eine mögliche psychische Erkrankung bei F. nicht oder nur unvollständig nachgegangen worden war: Mitarbeiter der Waffenbehörde kontrollierten ihn zwar, stellten in seiner Wohnung aber nichts Auffälliges fest. Ein Buch mit kruden Thesen, das F. veröffentlicht hatte, sei nicht im Internet auffindbar gewesen. Die anfänglichen Hinweise, die von F.s Familie selbst kamen, wurden als abgearbeitet zu den Akten gelegt.
Nach Amoktat: mehr Stellen für die Waffenbehörde
Bei der Ausstellung der Waffenbesitzkarte, die es Philipp F. ermöglichte, die Tatwaffe – eine Heckler&Koch P30L – und Munition legal zu erwerben, gab es auch Ungereimtheiten. Es wurde nach der Tat gegen drei Mitglieder eines Schießstandes in der City ermittelt, die F. das Sachkundezeugnis ausgestellt hatten. Das Verfahren ist mittlerweile eingestellt worden.
Polizei und Innenbehörde haben nach der Tat einen Plan erarbeitet, um solche Taten möglichst im Vorwege zu verhindern. Er ist bereits zu großen Teilen umgesetzt: Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Waffenbehörde personell verstärkt; die Zahl der Mitarbeiter stieg von 27 auf 33. Diese durchliefen schon wenige Wochen nach der Tat eine spezielle Fortbildung bei der Leitstelle des Nationalen Waffenregisters.
Generell wurde zusätzlich die Schulung zum Erkennen von Anzeichen psychischer Auffälligkeiten optimiert. Bei der Risikobewertung werde nun immer auch das Landeskriminalamt (LKA) verbindlich eingebunden, so ein Sprecher zur MOPO. Die Experten bewerteten die Hinweise und berichteten anschließend an die Waffenbehörde.
Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Waffenbehörde
Es wurden zudem klare Compliance-Regeln festgelegt, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Die Regel lautet: kein dienstliches Handeln bei privater Betroffenheit. Hintergrund sind noch andauernde Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde, der einen Hinweis auf die Gefahr durch F. weder dokumentiert noch weitergegeben haben soll. Es kam heraus, dass er nebenberuflich als Schießlehrer in besagtem City-Schießstand arbeitete, den F. regelmäßig besuchte.
Weiter in Planung ist der Aufbau eines Kompetenzzentrums im LKA, das die Risikobewertung verbessern und ausweiten soll: Dafür sind bereits drei Kriminalpsychologen sowie drei Recherche-Mitarbeiter eingestellt worden, die unter anderem eingehende Informationen bündeln und auswerten sollen. Künftig sollen zudem Hinweise anderer Behörden über einen sogenannten „Single Point of Contact“ (SPOC) direkt der Polizei gemeldet werden können. Dafür sind ebenfalls zwei neue Stellen geplant; die Auswahl der Mitarbeiter ist bereits abgeschlossen. So sollen die Behörden besser und direkter miteinander vernetzt werden. Der Start des Kompetenzzentrums ist für den Sommer geplant.
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Schon jetzt hat die Waffenbehörde ihre Maßnahmen intensiviert: Seit der Amoktat seien laut Polizei 166 Hinweise eingegangen, „die alle überprüft wurden“, sagte eine Sprecherin. Davon hätten 48 Hinweise dazu geführt, dass eine „waffenrechtliche Unzuverlässigkeit“ bzw. Mängel an der persönlichen Eignung festgestellt und begründet wurden. Zudem seien verstärkt Kontrollen bei Waffenbesitzern durchgeführt worden. Hinzu kommen diverse gezielte Schwerpunkteinsätze.
In Zahlen bedeutet das: Wurden 2022 in Hamburg 569 Personen nach Hinweisen aufgesucht, waren es vergangenes Jahr 2026 – eine Steigerung um 400 Prozent. Bei 79 Personen gab es Beanstandungen. Im laufenden Jahr wurden bis Anfang März bereits 633 Menschen aufgesucht und kontrolliert.
In der Schwebe hängt dagegen immer noch die Verschärfung des deutschen Waffenrechts. Die Regierungsparteien der Ampelkoalition streiten weiter über die Umsetzung. In Hamburg hatte sich Innensenator Andy Grote (SPD) wiederholt für eine schnelle Umsetzung stark gemacht. Ähnlich sieht das Polizeipräsident Falk Schnabel: Um das Risiko von Straftaten wie der Amoktat zu minimieren, seien auch gesetzgeberische Schritte erforderlich. „Unser Ziel muss und wird es immer sein, das Risiko einer vergleichbaren Tat in Zukunft bestmöglich zu reduzieren.“