Cannabis-Legalisierung: „Dealer-Banden werden Markt nicht kampflos aufgeben“
Drogenbanden überschwemmen Deutschland und Europa immer stärker mit Kokain – ein Milliardengeschäft. Um den Drahtziehern auf der Spur zu bleiben, müssen die Ermittler deren Kommunikation überwachen, sagt Experte Christian Zahel (60), der leitende Kriminaldirektor des Landeskriminalamts Niedersachsen. Auch zur Cannabis-Legalisierung hat er eine klare Meinung.
Kokain verspricht Milliardengewinne, die Täter werden immer professioneller. Um den Drahtziehern auf der Spur zu bleiben, müssen die Ermittler deren Kommunikation überwachen, sagt Experte Christian Zahel (60), der leitende Kriminaldirektor des Landeskriminalamts Niedersachsen. Auch zur Cannabis-Legalisierung hat er eine klare Meinung.
Drogenbanden überschwemmen Deutschland und Europa nach Expertenmeinung immer stärker mit Kokain. Seit Jahren sei „der Einfuhrdruck gerade bei Kokain, aber auch bei Cannabis nach Europa insgesamt sehr, sehr hoch“, sagte der leitende Kriminaldirektor des Landeskriminalamts Niedersachsen, Christian Zahel. Das zeige sich auch an sichergestellten Drogen, deren Menge sich in Europa in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt habe. Er geht davon aus, dass die Behörden weltweit jedes Jahr mehr als 50 Prozent des produzierten Kokains sicherstellen.
Konfiszierte Drogen-Menge hat sich in zehn Jahren verdoppelt
Frage: Herr Zahel, wie ist die Lage für die Ermittler in Sachen Kokainhandel?
Antwort: Leider ist schon seit vielen Jahren festzustellen, dass der Einfuhrdruck gerade bei Kokain, aber auch bei Cannabis nach Europa insgesamt sehr, sehr hoch ist. Und das hat sich auch für Deutschland und Niedersachsen bestätigt. Das zeigt sich an wachsenden Anbauflächen in den Ursprungsländern, das zeigt sich an immer größeren Sicherstellungsmengen in den Seehäfen, aber eben auch über die größer werdenden Strukturen und Netzwerke in Niedersachsen.

Lässt sich der Zuwachs beziffern?
Beispielsweise in Kolumbien ist die Anbaufläche von 2013 bis 2016 um 76 Prozent gewachsen – allein in diesen vier Jahren. Vergleichbar ist es auch in Afghanistan beim Anbau von Schlafmohn. Und genauso zeigt es sich an den Rauschgiftmengen, die in Europa und in Deutschland sichergestellt wurden. Die Mengen steigen von Jahr zu Jahr – das zeigte sich auch an den 16 Tonnen Kokain im Seehafen von Hamburg, die größte Menge, die jemals in Deutschland oder in Europa sichergestellt werden konnte. Die Menge der Sicherstellungen in Europa hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.
Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?
Rauschgifthandel ist einfach das Schmiermittel der organisierten Kriminalität, man macht damit Gewinne in Milliardenhöhe. Schätzungen für die EU-Staaten gehen von 30, 35, 40 Milliarden Euro pro Jahr aus. Daran wollen viele mitverdienen, daher haben Erfolge der Polizei und auch der internationalen Sicherheitsbehörden oft keine langfristigen Wirkungen. Relativ schnell sind neue Täterstrukturen wieder da. Wir stellen fest, dass die Täter sich immer mehr vernetzen, immer mehr zusammenarbeiten. Fast alle Gruppierungen im Rauschgifthandel schließen sich zusammen, arbeiten gewerbsmäßig und nähern sich an die Abläufe im Welthandel an – sie machen das genauso arbeitsteilig und versuchen, möglichst unauffällig zu agieren. Auch gibt es Rückzugsgebiete, wo die Millionengewinne verprasst werden – dort treffen sich die Reichen dieser Welt und auch die Kriminellen und Oligarchen.
Das heißt, die Drogenhändler und Drogenbanden werden immer professioneller. Was kann denn die Polizei tun, um da mitzuhalten?
Den Sicherheitsbehörden in Europa sind tiefe Einblicke in diese Szene gelungen, die vor einigen Jahren gar nicht möglich waren. Kryptierte Kommunikationsmittel, die für den weltweiten Schmuggel notwendig sind, wurden offengelegt – und mit diesen Informationen arbeiten wir seit über zwei Jahren. Wir haben Einblick gewonnen in Art und Umfang der Rauschgifte, über die Strukturen, über die Bewaffnung, über das Geld, das da fließt, weil die Täter geglaubt haben, dass die Sicherheitsbehörden die verschlüsselte Kommunikation nicht entschlüsseln können. Die Erkenntnisse und der Umgang mit den Daten haben deutlich gemacht, dass es auch künftig möglich sein muss, dass die Sicherheitsbehörden solche Kommunikation überwachen.
Die Drogenbanden dürften auf die Maßnahmen reagieren.
Die wandern von einem Anbieter zum nächsten. Aber bei diesen abgeschotteten Geschäften mit ihrer Logistik und bei den Werten, um die es geht, muss man aktuell kommunizieren. Und es muss möglich sein, dass die Sicherheitsbehörden diese digitale Kommunikation im rechtlich zulässigen Rahmen überwachen. Das ist natürlich ein Hase-und-Igel-Spiel.
Welche Bedeutung hat die sogenannte Gewinnabschöpfung?
Wenn Millionengewinne erzielt werden, muss man versuchen, an die Triebfeder des Drogenhandels zu kommen, nämlich den Gewinn. An der Stelle haben sich die polizeilichen Zahlen deutlich verbessert, auch durch rechtliche Möglichkeiten, die vor zwei oder drei Jahren gesetzlich umgesetzt worden sind. So hat sich beispielsweise die Gesamtsumme, die die Polizei in Niedersachsen abgeschöpft hat, in den letzten Jahren verdoppelt – wir haben mittlerweile namhafte zweistellige Millionenbeträge erreicht.
Erleichtert oder erschwert die Digitalisierung die Ermittlungen?
Über das Internet sind Märkte entstanden. Wir haben das Darknet, wir haben entsprechende Internetplattformen, wo man die Ware anonym anbieten kann. Die Bereiche, in denen die Sicherheitsbehörden aktiv werden müssen, sind immer größer geworden. Wir müssen uns darauf einstellen, wir müssen unsere Leute qualifizieren, wir müssen die Technik ausrüsten und das Recht muss entsprechend mitziehen. Positiv ist, wie sich die Sicherheitsbehörden weiterentwickeln. Ein Beispiel ist der Fall in Hamburg, als das LKA Niedersachsen mit amerikanischen Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet hat, ebenso mit den Behörden in Paraguay. Außerdem mit spanischen, niederländischen und belgischen Sicherheitsbehörden, mit Europol und Interpol.
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Lässt sich einschätzen, wie viel Kokain die Behörden sicherstellen können?
Natürlich ist das schwierig. Aber die Fachleute gehen davon aus, dass es gelingt, jedes Jahr mehr als 50 Prozent des produzierten Kokains sicherzustellen. Das geschieht teils schon in den Herstellungsländern, in Ecuador sind letztes Jahr 210 Tonnen sichergestellt worden. Aber nehmen wir mal das Bedrohungspotenzial von Kokain: Ein Gramm Kokain sind fünf Konsumentenrationen – und wir reden von Tonnen, die in Deutschland sichergestellt worden sind. Da kann man sich vorstellen, wie die Leute Kokain konsumieren und sich damit erpressbar machen.
Wie beurteilen Sie die geplante Legalisierung von Cannabis?
Wir stellen fest, dass die kriminellen Strukturen nicht nur dem Kokainhandel, sondern auch dem Handel von Cannabisprodukten dienen. Bei der Legalisierung von weichen Drogen habe ich die Sorge, dass die Banden diesen Bereich nicht kampflos verlassen werden, sondern intelligent genug sind, potent genug sind, Wege und Lösungen zu finden, illegale Ware zu deutlich günstigeren Preisen weiter anzubieten. Zurzeit ist es für die Polizei relativ einfach und klar, wenn jemand mit Cannabisprodukten angetroffen wird: Das ist illegal. Künftig wird das schwieriger. An die Annahme, dass die Polizei mit der Legalisierung entlastet wird, kann ich nicht wirklich glauben.
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Was schlagen Sie vor?
Man müsste bei der Legalisierung wirklich schauen, wie man es altersmäßig begrenzt, weil die Auswirkungen bei Jugendlichen und Heranwachsenden neuronal schlimmer sind als bei Erwachsenen – also die Abgabe auf Personen älter als 21 Jahre beschränken. Das ist aber wirklich ein schwieriges Feld. Die Niederländer haben es mit der Öffnung vor 40 Jahren ausprobiert, dann hatten sie Drogentourismus bei den weichen Drogen in Amsterdam und in der Grenzregion. Warum soll so etwas nicht auch in Deutschland passieren? Ich wünschte mir da eine ehrliche Debatte, bei der die Erfahrungen der Ermittler berücksichtigt werden. Und wenn eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland erfolgen soll, hätte ich erwartet, dass es ein regionales Pilotprojekt in einer Großstadt gibt, um die Auswirkungen zu prüfen.