Versagen und Verstrickungen: Polizei ermittelt nach Amoktat gegen eigenen Beamten
Sieben Menschen tötete Philipp F. im Gemeindehaus der Zeugen Jehovas an der Deelböge, danach richtete er sich selbst, umzingelt von Polizeibeamten. In den Wochen nach der Amoktat von Alsterdorf wurden mehrere Fehler seitens der Behörden bekannt. Nun gibt es erneut Bewegung in dem Fall: Die Polizei hat ein Verfahren gegen einen ihrer eigenen Beamten eingeleitet – er soll von der potenziellen Gefahr, die von F. ausging, gewusst haben.
Sieben Menschen tötete Philipp F. im Gemeindehaus der Zeugen Jehovas an der Deelböge, danach richtete er sich selbst, umzingelt von Polizeibeamten. In den Wochen nach der Amoktat von Alsterdorf wurden mehrere Fehler seitens der Behörden bekannt. Nun gibt es erneut Bewegung in dem Fall: Die Polizei hat ein Verfahren gegen einen ihrer eigenen Beamten eingeleitet – er soll von der potenziellen Gefahr, die von F. ausging, gewusst haben.
Ein Schießlehrer des „Hanseatic Gun Clubs“ – des Vereins, in dem F. das Schießen lernte – soll sich an einen Beamten der Waffenbehörde gewandt haben: Ein Verwandter des späteren Amokschützen habe ihm von dessen möglicher psychischer Erkrankung und Aggressivität erzählt. Die Männer kennen sich – wie die „Zeit“ berichtet, soll der Beamte in dem Club ebenfalls als Schießlehrer gearbeitet haben, ehe er in die Waffenbehörde kam.
Hinweise auf Amokschützen: Warum schwieg der Beamte?
Der Beamte der Waffenbehörde soll den Verdacht entweder fahrlässig ignoriert oder bewusst nicht dokumentiert haben. Warum er schwieg, ist unklar.
Aufschluss sollen nun die Ermittlungen bringen. Die Polizei bestätigt, dass gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Er sei mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben in der Waffenbehörde entbunden, so Sprecher Holger Vehren. „Der Beamte wird auf eine noch mit der Personalabteilung abzustimmende Funktion umgesetzt.“
Polizeipräsident Ralf Martin Meyer hatte bereits wenige Tage nach dem Amoklauf im März Verwaltungsermittlungen angeordnet, um zu prüfen, ob es innerhalb der Polizei zu Verfehlungen kam. Näheres zum Disziplinarverfahren gab die Polizei mit Hinblick auf die Ermittlungen nicht bekannt. Geprüft wird unter anderem, wie umfangreich der Hinweis des Schießlehrers an den Polizisten der Waffenbehörde war.

Die Staatsanwaltschaft prüft den Vorgang, ist aber in das eigentliche Disziplinarverfahren nicht involviert, wie eine Sprecherin auf Nachfrage sagte. Ein Ermittlungsverfahren sei bisher nicht eingeleitet worden.
Für Dennis Gladiator, Innenexperte der Hamburger CDU, ist klar: Sollten sich die neuerlichen Hinweise bestätigen, seien die Aussagen von Innensenator Andy Grote (SPD), dass diese Tat wohl nicht hätte verhindert werden können, nicht mehr haltbar. „Grote stellt damit erneut unter Beweis, dass er seinen Aufgaben als oberster Dienstherr der Polizei in dieser Stadt nicht gewachsen ist“, sagt Gladiator. „Sein zum Eigenschutz gebautes Kartenhaus fällt in sich zusammen.“
Es müsse jetzt alles getan werden, so der CDU-Politiker weiter, um die Details vollständig aufzuklären, auch um sicherzustellen, dass derartige Taten künftig verhindert werden können. „Dafür braucht Hamburg vor allem einen neuen Innensenator“, sagt Gladiator.

Ähnliches fordert Deniz Celik von der Linksfraktion. Ihn mache es fassungslos, dass Grote in der letzten Sitzung des Innenausschusses über die neuen Vorwürfe geschwiegen, ein Fehlverhalten stattdessen erneut dementiert hat. „Statt einer transparenten Aufarbeitung möglicher Versäumnisse erleben wir eine Salami-Taktik, wo die Wahrheit scheibchenweise herausgerückt wird“, kritisiert Celik. „Es verfestigt sich immer mehr der Eindruck, dass die Waffenbehörde zahlreiche Hinweise im Hinblick auf den Täter ignoriert und dadurch womöglich versäumt hat, den Amoklauf zu verhindern.“ Waffenbehörde und Grote gäben ein „desolates Bild“ ab. Auch Celik fordert politische Konsequenzen.

Schon im Jahr 2021 wandte sich der Vater des späteren Schützen an den Sozialpsychiatrischen Dienst, sein Sohn würde Stimmen hören und sich umbringen wollen. F. war zwischenzeitlich in seiner Heimat in Bayern in Behandlung, habe sich dann aber entschieden, sich selbst heilen zu wollen, sagte LKA-Chef Jan Hieber.
Im Januar dieses Jahres soll ein Verwandter dann den „Hanseatic Gun Club“ über die Wesensänderung von F. informiert haben. In dem Club legte F. seine Sportschützenprüfung ab und bestellte die Tatwaffe, eine Pistole der Marke Heckler & Koch.

Ebenfalls im Januar ging bei der Waffenbehörde ein anonymes Hinweisschreiben ein, in dem es um eben jene Wesensänderung ging und außerdem auf ein Buch hingewiesen wurde, in dem F. seine krude Weltansicht darstellte. Der Polizist, gegen den nun ermittelt wird, soll den zuvor vom Schießlehrer erhaltenen Hinweis nicht erwähnt haben.
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Trotzdem kam es zur Kontrolle. Ein Besuch bei Philipp F. blieb aber ergebnislos; der Mann soll seine Waffe und die Munition fachgerecht gelagert haben – bis auf eine Patrone, die auf dem Safe lag. Das von ihm geschriebene Buch ignorierte die Waffenbehörde. Wenige Wochen später kam es in Alsterdorf zu der Amoktat.