Warum ist der Kampf für Kiffer, Erben und Autofahrer liberale Politik, Herr FDP-Chef?
Krieg und Krisen bestimmen unsere Zeit. Was gestern schlecht war, ist heute gut – und andersrum. Die Parteien positionieren sich neu, suchen nach Identität. Die FDP ist aktuell oft der Buh-Mann der Republik: Angefeindet, teils verhasst, kämpft sie gegen staatliche Vorgaben, Bevormundung und für die Freiheit des Einzelnen. Die MOPO hat Hamburgs FDP-Vorsitzendem Michael Kruse ein turbulentes Gespräch über Kiffen, grüne Besserwisser, liberale Herzlosigkeit und fehlende Chancengleichheit geführt – und gefragt: Warum ist ausgerechnet der Kampf für Kiffer, Erben und Autobahnraser liberale Politik – und was hat die FDP gegen Radfahrer?
MOPO: Herr Kruse, in einem Satz: Was ist heute liberal?
Kruse: Den einzelnen Menschen zu seiner vollen Entfaltung bringen.
Krieg und Krisen bestimmen unsere Zeit. Was gestern schlecht war, ist heute gut – und andersrum. Die Parteien positionieren sich neu, suchen nach Identität. Die FDP ist aktuell oft der Buh-Mann der Republik: Angefeindet, teils verhasst, kämpft sie gegen staatliche Vorgaben, Bevormundung und für die Freiheit des Einzelnen. Die MOPO hat Hamburgs FDP-Vorsitzendem Michael Kruse ein turbulentes Gespräch über Kiffen, grüne Besserwisser, liberale Herzlosigkeit und fehlende Chancengleichheit geführt – und gefragt: Warum ist ausgerechnet der Kampf für Kiffer, Erben und Autobahnraser liberale Politik – und was hat die FDP gegen Radfahrer?
MOPO: Herr Kruse, in einem Satz: Was ist heute liberal?
Kruse: Den einzelnen Menschen zu seiner vollen Entfaltung bringen.
Gehört dazu auch, mit 200 Sachen über die Autobahn zu fahren?
Das muss man nicht machen, aber man darf es.
Um das Tempolimit wird ein Kulturkampf geführt. Wo ist beim Rasen der liberale Aspekt?
Dass der einzelne Mensch sich möglichst frei entscheiden darf, wenn er damit nicht die Freiräume anderer einschränkt.
Tut man das nicht, wenn man mit 200 Sachen an anderen vorbei zischt? Viele haben da schlicht Angst.
Deshalb muss ja niemand 200 fahren. Jeder kann selbst entscheiden, ob diese Geschwindigkeit gerade angemessen ist. Jenseits der Debatte um das Tempolimit ist die Frage, wieviel entscheiden Menschen selbst und wieviel wird für sie entschieden. Und da setzt der Liberalismus konsequent auf das Individuum und seine Entscheidungskompetenz.
Kann es sein, dass die Deutschen lieber gesagt bekommen, was sie zu tun und zu denken haben?
Für die allermeisten Menschen trifft das nicht zu. Vielleicht kann die Morgenpost aber dazu eine Umfrage unter der Leserschaft machen.
„Niemand ruft bei mir an und will mehr Steuern zahlen“
Ich frage wegen der jüngsten Wahlergebnisse der FDP.
An mich als Freien Demokraten wenden sich vor allem die Menschen, die sagen: Ich möchte mehr Entscheidungsspielraum und ich möchte, dass ihr euch dafür einsetzt.
Unser Grundgesetz ist im Grunde ein liberales Manifest, in dem es primär darum geht, die Freiheit des Individuums gegenüber dem Staat und den anderen Individuen zu verteidigen …
Weise Menschen, die das formuliert haben.
… warum krebst die FDP dann bei 5 Prozent rum? Was ist da schiefgelaufen?
Wir befinden uns in einer herausfordernden Koalition mit zwei Parteien, die ganz unterschiedliche Ansätze haben. Die denken Politik von der Gruppe, vom Kollektiv aus, wir vom Einzelnen. Nehmen wir die Debatte um Steuererhöhungen: Vor dem Hintergrund der Inflation ruft bei mir niemand an und sagt, er würde gerne noch mehr Steuern zahlen. Die Leute fragen, wie sie ihr Leben finanzieren können. Deshalb gucken wir auf den Einzelnen.
Die Reichen könnten schon mehr abgeben.
Diejenigen, die diese Gesellschaft maßgeblich tragen, haben schon einen sehr hohen Steuersatz, und der Spitzensteuersatz greift schon sehr früh. Ich war gerade in London zu einem Vortrag und habe mir die Steuersätze erklären lassen. Und siehe da: In Großbritannien sind diese wesentlich niedriger und den Menschen geht es sehr gut.
„Hätte es 2011 Fridays for Future gegeben, wären wir nicht aus der Atomkraft ausgestiegen“
Naja, der Oberschicht geht es gut, aber das Sozialsystem existiert kaum noch und das Gesundheitssystem ist zum Teil kollabiert.
Wir haben in Deutschland mit die höchsten Steuern weltweit und trotzdem haben wir vergleichbare Probleme. Weitere Erhöhungen bei der Lohnsteuer wären ein fatales Signal. Gerade erst hat die Bundesregierung übrigens versucht, hohe Krisengewinne bei Energieunternehmen abzuschöpfen. Das hat sehr schlecht funktioniert.
Andere Länder haben das deutlich besser hinbekommen.
Nehmen Sie die Mineralölkonzerne. Keines der großen Unternehmen versteuert seine Gewinne noch in Deutschland. Es gibt einen internationalen Wettbewerb, den muss man berücksichtigen. Unsere Aufgabe als Politik ist es, durch gute Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Preise sinken. Der Grund für unsere Abhängigkeit von Russland waren dramatisch falsche Entscheidungen der Vorgängerregierung. Wir dürfen jetzt nicht noch weitere Kapazitäten aus dem Markt nehmen. Dafür sollten die Kernkraftwerke weiterlaufen, die ja auch noch weitgehend CO2-freien Strom produzieren.
Warum gelingt es ihnen nicht, ihre Koalitionspartner davon zu überzeugen, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen und dafür Kohlekraftwerke abzuschalten. Haben die am Ende recht, dass die Atommeiler verzichtbar sind?
Warum die Grünen lieber Kohle ans Netz bringen, müssen Sie dort fragen. Ich meine, die klügere Ausstiegsreihenfolge wäre eine andere.
Nach Fukushima hat die FDP mit der CDU den Atomausstieg endgültig besiegelt.
Ich bin sicher: Wenn es 2011 schon „Fridays for Future“ gegeben hätte, würden wir erst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft aussteigen.
Würden Sie neue Atomkraftwerke bauen, wenn sie könnten?
Nein, weil jetzt das Ziel sein muss, die Freiheitsenergien, also die erneuerbaren Energien, schnellstmöglich auszubauen und das Netz intelligent zu machen, sodass wir ohne Fossile auskommen.
Sind Solar- und Windkraft liberale Energien, weil sie keiner zentralen Kontrolle unterworfen sind?
Ich glaube, keine Energieform hat eine politische Farbe. Wir brauchen Unabhängigkeit und Souveränität in der Energieversorgung, vor allem von Ländern, die unsere Werte nicht teilen.
Was hat die FDP gegen Radfahrer?
Vor zehn Jahren hat die FDP mit der CDU die weltweit führende Solarindustrie in Deutschland abgewürgt, jetzt sind wir auch hier von China abhängig. Hat die FDP da versagt?
Die Solarproduktion ist abgewandert, weil China viel günstiger produziert. Wir sind einfach in vielen Bereichen nicht wettbewerbsfähig. Für mich ist jetzt entscheidend, was wir tun, um bei der nächsten Generation von Solarpaneelen, die gerade in Deutschland entwickelt wird, die Produktion hier aufbauen zu können. Bei Innovationen sind wir in Deutschland Weltspitze, aber nicht dabei, diese dann in großer Zahl zu produzieren.
Ich muss Sie nochmal was zum Verkehrsbereich fragen, nichts wird ja in Deutschland emotionaler diskutiert.
Ich dachte, es soll hier darum gehen, was heutzutage liberal ist.
Exakt. Was hat die FDP eigentlich gegen Radfahrer?
Wie kommen Sie darauf?
Jeder Parkplatz scheint ihrer Partei wichtiger zu sein als ein neuer Radweg. Immer heißt es: Der Autoverkehr darf nicht eingeschränkt werden.
Wie lautet jetzt die Frage?
Was haben Sie gegen Radfahrer?
Wenn Sie unser Programm und die Entscheidungen der letzten Monate und Jahre verfolgt hätten, wäre Ihnen sicher aufgefallen, dass wir sehr für einen guten Verkehrsmix in dieser Stadt und auch überall sonst sind. Was wir nicht wollen, ist ein Kulturkampf gegen das Auto. Als Liberale wollen wir, dass jeder frei entscheidet, welches Verkehrsmittel er nimmt.
Haben Sie ein Auto?
Ich bin mit meinem E-Auto zu ihnen gekommen, das war die schnellste Alternative.
Ich bin kürzlich von hier mit dem Rad nach Alsterdorf gefahren und der Radweg ist eine Katastrophe.
Die SPD regiert diese Stadt seit zwölf Jahren, seit acht Jahren mit den Grünen. Wenn der Zustand der Radwege schlecht ist: Klagen bitte an die und nicht an uns.
Gibt es liberale Verkehrsmittel und illiberale?
Es gibt viele gute Verkehrsmittel.
Warum klebt ihnen dann das Etikett Autofahrerpartei so groß auf der Stirn?
Weil wir uns nicht auf der Straße festkleben.
„Die Grünen sind nicht unser Hauptgegner“
Andere Frage: Ist kiffen liberal?
Es ist liberal, ab einem gewissen Alter selbst zu entscheiden, wie man mit seiner Gesundheit und Freizeit umgeht.
Müssten Sie dann nicht auch für die Freigabe weiterer Drogen sein? LSD, Ecstasy, Kokain.
Es geht um Cannabis. Wir wollen Cannabis aus der Grauzone rausholen, wollen dafür sorgen, dass es einen sicheren Umgang ohne schädliche Beimischungen gibt, wollen einen kontrollierten Markt schaffen und so auch Einnahmen für die Drogenprävention generieren.
Bei dem Thema kämpfen Sie gemeinsam mit den Grünen. Warum sind die sonst immer ihr Hauptgegner? Dabei sind die, wenn es um Liberalität geht, ihnen im Vergleich ja durchaus am nächsten von allen anderen Parteien.
Das finde ich eine spannende Einschätzung.
Während der Koalitionsverhandlungen hatten Sie sich geradezu liebgewonnen. Und jetzt verhaken oder beschimpfen Sie sich dauernd.
Die Grünen sind nicht unser Hauptgegner, sondern die Parteien an den Rändern des politischen Spektrums, Rechtsaußen und Linksaußen. Die sind gefährlich. Demokraten sind dagegen Wettbewerber mit legitimen Ideen. Die Grünen haben vielfach einen anderen Ansatz als wir. Die wollen stark von oben herab entscheiden, wir das Individuum stärken. Was die Grünen einmal für richtig erachtet haben, soll von allen als Wahrheit anerkannt werden. Diese Ausschließlichkeit gibt es im Liberalismus nicht. Da ist immer auch Platz, dass man sich vielleicht irrt, dass andere Meinungen richtig sein können. Diese Unterschiede, auch im Staatsverständnis, führen zu vielen Diskussionen in der Koalition.
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Glauben Sie denn, dass man die großen Probleme der Menschheit ernsthaft damit in den Griff kriegt, dass der Einzelne am Ende hoffentlich irgendwie die für alle richtige Entscheidung trifft?
Ich denke, dass man die großen Probleme der Menschheit nur in den Griff bekommt, wenn man den großen Teil der Menschheit mitnimmt. Was sagen Sie denn den Menschen in armen, aber stark wachsenden Ländern, zum Beispiel in Afrika, oder Asien, was die größten Probleme der Menschheit sind? Die wollen wachsenden Wohlstand, das ist ihr Thema Nummer 1, brauchen Energie, technische Lösungen für Abfallmanagement und so weiter. Denen jetzt zu sagen, dass sie erstmal den Klimawandel in den Fokus nehmen sollen und ihre Armut nicht so wichtig ist, wird nicht funktionieren. Es geht also nur mit vielen Menschen und damit, die drängenden Probleme der Menschen auch anzuerkennen. Die Vorstellung, dass man aus Deutschland heraus die Welt zu einem besseren Ort machen kann, weil man die Weisheit mit Löffeln gegessen hat, das wird nicht gelingen.
„In Hamburg kommt es viel zu sehr darauf an, aus welchem Stadtteil man kommt“
Sind Arme eigentlich selbst schuld an ihrer Situation, aus liberaler Sicht?
Ich kann mit der Frage nichts anfangen. Armut hat viele Gründe. Entscheidend ist, dass wir ein System haben, dass dich immer auffängt und dafür sorgt, dass du es wieder auf eigene Beine schaffst.
Der FDP hängt ein herzloses Image an, auch aufgrund vieler Äußerungen führender Liberaler. Selbst schuld also oder gehört das zum liberal sein dazu?
Der Liberalismus setzt darauf, Menschen in die Lage zu versetzen, ihr Leben bestmöglich selbst zu gestalten. Deshalb ist uns Bildung so wichtig, sie ist die Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Herzlosigkeit ist nicht Teil unseres Programms. Wir sind für soziale Marktwirtschaft und nicht für Raubtierkapitalismus. Deshalb ist uns auch das Bürgergeld so wichtig. Wer in Armut gerät braucht Unterstützung, um da wieder rauszukommen.
Eine der größten Ungerechtigkeiten in diesem Land ist der Unterschied zwischen Erben und Nicht-Erben. In Hamburg können Sie ohne Erbe quasi keine Immobilie mehr finanzieren. Wäre es nicht auch aus liberaler Sicht gut, Leute, die ohne eigene Leistung Vermögen erhalten, stärker zu besteuern, allein wegen der Chancengleichheit, die ihnen doch so wichtig ist?
Die Tatsache, dass viele Menschen etwas zu vererben haben, ist ja erst mal etwas sehr Positives. Die haben sich nämlich etwas aufgebaut. Der Reflex, das an seine Kinder weiterzugeben, damit sie es besser haben, ist eine große Motivation, überhaupt etwas zu schaffen. Die Geschichte dieses Landes nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine beispiellose Geschichte dafür, wie Wohlstand gemehrt worden ist und wie nicht permanent darüber diskutiert wurde, wie man Wohlstand den einen wegnimmt und den anderen gibt. Die Wohlstandsmehrung muss das Hauptziel sein, nicht die Schlacht darum, wie man denen, die sich etwas aufgebaut haben, wieder was abnimmt.
In der Realität profitiert nur ein Teil der Gesellschaft davon. Ist große Ungleichheit für Sie unabwendbar?
Für mich ist entscheidend, ob diejenigen, die von Haus aus nicht so viel haben, es trotzdem schaffen können. Das muss die Gesellschaft mit Ja beantworten können. Dafür ist Bildung der Schlüssel. Es gibt viele Menschen, die sich hochgearbeitet haben, die aus schwierigen Verhältnissen kommen. Ist das anstrengend? Ja. Das Leben ist verdammt anstrengend. Aber diese Durchlässigkeit des Systems will ich, die macht das System produktiv, und nicht endlose Debatten, wem man was wegnimmt. Können es Menschen nach oben schaffen, wenn sie wollen? Das ist die entscheidende Frage.
Würden Sie uneingeschränkt Ja sagen?
Nein, weil es zum Beispiel in Hamburg heute sehr darauf ankommt, in welchem Stadtteil ich geboren werde, auf welche Schule ich komme, wie gut meine Kita ist. Da hat der Staat die Pflicht, jungen Menschen gute Rahmenbedingungen zu schaffen, die persönliches Wachstum ermöglichen.