Tschentschers Erbin? Allzweckwaffe Leonhard erklimmt die SPD-Karriereleiter
Melanie Leonhard ist da, wo die SPD sie braucht. Gestern als Sozialsenatorin, heute als SPD-Vorsitzende, morgen an der Spitze der Wirtschaftsbehörde. Und übermorgen als Hamburgs Erste Bürgermeisterin?
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Melanie Leonhard ist da, wo die SPD sie braucht. Gestern als Sozialsenatorin, heute als SPD-Vorsitzende, morgen an der Spitze der Wirtschaftsbehörde. Und übermorgen als Hamburgs Erste Bürgermeisterin?
Nun also Melanie Leonhard. Als die MOPO an dieser Stelle vergangene Woche als erstes Medium schrieb, dass der parteilose Wirtschaftssenator Michael Westhagemann sehr bald durch die amtierende Sozialsenatorin ersetzt werden könnte, löste diese Nachricht in der politischen Landschaft ungläubiges Staunen aus. Inzwischen ist Leonhard auf dem Sprung in die Behörde am Alten Steinweg – begleitet von Vorschusslorbeeren von allen Seiten. Und das, obwohl die 45-jährige Sozialdemokratin mit Wirtschaftspolitik bislang nur am Rande zu tun hatte.
Jobwechsel im Senat: Leonhard, die Parteisoldatin
Der Amtswechsel kommt überraschend. Leonhard war weder des Bürgermeisters erste Wahl für diesen Posten, noch wollte sie unbedingt dieses Amt. Peter Tschentscher (SPD) suchte über Wochen nach einer Frau aus der Wirtschaft als Nachfolgerin für den gesundheitlich angeschlagenen Westhagemann. Als er nicht fündig wurde, musste er Leonard erst überzeugen, den Job zu wechseln. Denn das Sozialressort, das Leonhard bislang führt, ist die Behörde mit den meisten Mitarbeiter:innen und dem größten Haushalt, es gilt im internen Behördenranking als weit wichtiger als das kleine Wirtschaftsressort.
Doch da der Hafen kriselt, es für die Schlickverklappung noch keine Lösung gibt und die Modernisierung der Wirtschaft, aber auch die Wasserstofftechnologie dringend vorangebracht werden müssen, braucht Tschentscher jemanden, auf den er sich blind verlassen kann. Und Leonhard versteht sich auch als Parteisoldatin, die dort anpackt, wo sie gebraucht wird.
Krise kann sie. Als sie 2015 die Nachfolge von Sozialsenator Detlef Scheele übernahm, kamen so viele Flüchtlinge wie nie nach Hamburg, mussten in Baumärkten und Zeltlagern untergebracht werden. Leonhard bekam die Probleme mit Ausdauer in den Griff. Später steuerte sie Hamburg geräuscharm durch die Corona-Pandemie.
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Nur einmal hat sich die in Marmstorf lebende Politikerin einem Ruf der Partei verweigert. Als Olaf Scholz 2018 nach Berlin wechselte, war Leonhard als Bürgermeisterin im Gespräch. Mit den Worten „Neben dem Kindersitz ist kein Platz für einen Personenschützer“ lehnte die Mutter eines Sohnes die Scholz-Nachfolge ab. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Elf Jahre jünger als Tschentscher gilt sie noch immer als die Frau, die eines Tages Hamburgs Erste Bürgermeisterin werden könnte. So wie sie jetzt die erste Frau wird, die die Wirtschaftsbehörde führt.
Dabei galt Leonhards politisches Interesse neben der Stadtentwicklung bislang vor allem sozialen Themen. Was auch an ihren proletarisch-katholischen Wurzeln liegt. Ihre Familie stammt aus Rheinland-Pfalz, wo Katholikin zu sein zum guten Ton gehört. Ihr Vater war Arbeiter, die Mutter Angestellte. Aufgewachsen ist sie in Wilhelmsburg, wo es viele soziale Probleme gibt. Nach dem Sozialen Jahr wollte sie Krankenschwester werden, bevor sie sich für eine universitäre Laufbahn entschied. Auch um zu beweisen, was für sie als Frau auch ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund möglich ist.
Leonhard: „Durchsetzungsstark“ und „gut vernetzt“
Doch Leonhard hat auch enge Beziehungen zur Wirtschaft. Zu ihrer Behörde gehört der Bereich Arbeitsmarkt. Es gibt vielfältige Kontakte zu Kammern und Unternehmensverbänden, wenn es um Themen wie Fachkräftemangel oder die Eingliederung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt geht.
2015 – mit nur 38 Jahren – wurde Leonhard das jüngste Senatsmitglied. Drei Jahre später stieg sie zur Hamburger SPD-Chefin auf. „Dass nun die SPD-Landesvorsitzende das Amt der Wirtschaftssenatorin übernehmen soll, werte ich als klares Zeichen, dass Hamburg als Industriestandort wieder Priorität haben muss“, sagte der Chef des Hamburger Industrieverbandes, Matthias Boxberger. Man brauche eine „durchsetzungsstarke Leitung des Wirtschaftsressorts“.
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„Durchsetzungsstark“ ist eine der Eigenschaften, die ihr diejenigen zuschreiben, die Leonhard gut kennen. Daneben werden ihr noch die Attribute „gut vernetzt, verlässlich, kompetent und pragmatisch“ zugeordnet. Was immer Leonhard bislang anpackte, die Opposition fand wenig zu meckern. „Wenn ich etwas mache, mache ich es richtig“, sagt Leonhard über Leonhard. Und niemand mag ihr da widersprechen.