Sicherheitspolitik in Hamburg: Darum kann die SPD nur verlieren
Nachdem die CDU vor einigen Wochen die Debatte um die Sicherheit am Hauptbahnhof erfolgreich angestoßen hat, stellt sie derzeit Anfrage nach Anfrage zur Kriminalitätsentwicklung in Hamburg – gierig nach Zahlen, die möglichst erschreckend klingen. Erstmals seit Jahren glaubt die Partei einen Ansatzpunkt zu haben, eine SPD vor sich hertreiben zu können, die bislang jede CDU-Kritik an sich abprallen ließ. Die Sozialdemokraten um Bürgermeister Peter Tschentscher reagieren.
Nachdem die CDU vor einigen Wochen die Debatte um die Sicherheit am Hauptbahnhof erfolgreich angestoßen hat, stellt sie derzeit Anfrage nach Anfrage zur Kriminalitätsentwicklung in Hamburg – gierig nach Zahlen, die möglichst erschreckend klingen. Erstmals seit Jahren glaubt die Partei einen Ansatzpunkt zu haben, eine SPD vor sich hertreiben zu können, die bislang jede CDU-Kritik an sich abprallen ließ. Die Sozialdemokraten um Bürgermeister Peter Tschentscher reagieren.
Die Antworten auf die vielen Kleinen CDU-Anfragen zeigen in einigen Bereichen einen deutlichen Anstieg der Kriminalität: Die Zahl der Messerattacken erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent, die der Schießereien gar um 30 Prozent.
Die SPD sucht nun händeringend nach einer Gegenstrategie bei einem Thema, bei dem sie eigentlich nur verlieren kann. Als die CDU im Juni erstmals in die Offensive ging, da wiegelte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zunächst noch intuitiv ab. Die Zahlenspielereien der CDU bezeichnete er als „Fake News“ – vor allem weil CDU-Fraktionschef Dennis Thering aktuelle Kriminalitätsraten auch mit denen der Corona-Zeit verglich, in denen das öffentliche Leben pausierte. Dass die Straßenkriminalität niedrig ist, wenn niemand sich auf der Straße aufhält, mag ebenso wenig verwundern, wie die Tatsache, dass die Deliktzahlen nun im Vergleich zu 2020, 2021 und auch Anfang 2022 wieder hochschnellen.

Aber auch Tschentscher musste anerkennen, dass einige Fallzahlen heute über dem Vor-Corona-Stand liegen. Deshalb korrigierte er seinen Abwehr-Kurs schnell – und erklärte den Hauptbahnhof zur Chefsache, die SPD kurzerhand zur „Sicherheitspartei“ und übte sich in Aktionismus. Fast täglich beschließt der SPD-geführte Senat seitdem neue Maßnahmen. Verstärkte Polizeikontrollen, mehr Videoüberwachung sowie ein Alkohol- und auch Waffenverbot rund um das Bahnhofsgelände, sollen für mehr objektive und subjektive Sicherheit sorgen
Verwundert kommentierte CDU-Chef Thering den „plötzlichen Sinneswandel“ des Bürgermeisters mit den Worten: „Seit Wochen beschwert sich Tschentscher über unsere Kritik an der steigenden Kriminalität. Jetzt sieht er auf einmal doch akuten Handlungsbedarf.“ Das hat einen sehr schlichten Grund: Die SPD befürchtet, die innere Sicherheit könnte das bestimmende Wahlkampfthema bei den Bezirkswahlen 2024 und bei den Bürgerschaftswahlen 2025 werden. Damit es hier keine Angriffsfläche gibt, reiten Tschentscher und Co. nun Attacke.
Innere Sicherheit: Riskanter Kurs für die SPD
Es ist ein riskanter Kurs. Fast alle Analysen vergangener Landtagswahlen zeigen: Je mehr die Themen Sicherheit und Kriminalität den Wahlkampf prägen, umso mehr profitiert davon die CDU und mitunter auch die AfD. Das weiß auch Tschentscher, der das Thema am liebsten ganz aus dem Wahlkampf raushalten würde. Ob das allerdings gelingen wird, ist fraglich. Während Thering das Thema am Köcheln hält, ist die Lage für Tschentscher schwierig. Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit.
Erinnerungen an den Wahlsieg von Schill
Denn die aufkommende Debatte erinnert an den Wahlkampf 2001, als der bis dahin unbekannte Amtsrichter Ronald Schill in die Politik einstieg und Hamburg kurzerhand zur „Kriminalitätshauptstadt“ erklärte, ein Begriff, den Thering („Verbrechenshauptstadt“) nur leicht abgewandelt hat. Auch Schill richtete seinen Fokus auf die Situation rund um den Hauptbahnhof, forderte mehr Polizei und die Vertreibung der dortigen Drogenszene.
Getrieben von Schills Polemik ersetzte die SPD kurzerhand den braven Innensenator Hartmut Wrocklage durch den Macher Olaf Scholz, der die SPD-Innenpolitik auf rechts drehte, mit Schill zu konkurrieren versuchte. So führte er den Brechmitteleinsatz gegen mutmaßliche Dealer ein, was die rot-grüne Koalition fast zum Platzen brachte und einen Tatverdächtigen sein Leben kostete.
Das Ende der Geschichte ist bekannt: Viele Hamburger:innen wählten lieber das Original als die Kopie, die Schill-Partei erreichte aus dem Stand 19,4 Prozent der Stimmen. Die SPD fand sich nach 44 Jahren erstmals auf der Oppositionsbank wieder. Ein Trauma, dass sich bei vielen Sozis tief eingebrannt hat.
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So ist nun guter Rat teuer: Je mehr die SPD auf das Thema innere Sicherheit einschwenkt, umso mehr wird der Wahlkampf für sie zum Auswärtsspiel. Tut sie es nicht, werden CDU und AfD versuchen, sie wie einen Nasenbär am Ring durch die Manege zu führen. Tschentscher und seine SPD befinden sich in einer Zwickmühle.