• Schulsenator Ties Rabe (SPD) im Gespräch mit MOPO-Redakteur Mike Schlink (r.).
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Schulstart trotz Corona: Muss ich mein Kind zum Unterricht schicken, Herr Rabe?

Die ersten Abi-Prüfungen sind durch, ab Montag startet in Hamburg dann zum Teil der Unterricht wieder. Dann müssen die Schüler der 9, 10 und 13. Klasse der Stadtteilschulen, der 10. Und 12. Klasse der Gymnasien sowie Berufsschüler wieder zur Schule. Die MOPO sprach mit Senator Ties Rabe (SPD) über Infektionsschutz und Prüfungen trotz Corona.

MOPO: Herr Rabe, viele Experten fordern eine generelle Öffnung der Schulen, um eine Herdenimmunität herzustellen. Warum dürfen Hamburgs Schüler trotzdem nur stückweise wieder zur Schule?

Ties Rabe: Über diese Frage entscheiden nicht die Hamburger allein. Darüber spricht die Bundeskanzlerin mit allen 16 Ministerpräsidenten, beraten durch Ärzte und Virologen. Auf dieser Grundlage wurde nun entschieden, vorsichtig anzufangen. Ich sehe aber mit Verwunderung, dass es in der Wissenschaft unterschiedliche Meinungen gibt. Die einen sagen, das ist schon zu viel. Die anderen sagen, das ist zu wenig. Ich würde mich als Politiker freuen, wenn die Wissenschaftler sich mal einig werden könnten.

Muss mein Kind denn wieder in den Unterricht kommen?

Eindeutig ja. Auch der Fernunterricht zu Hause ist Teil der Schulpflicht. Wenn wir die Schulen öffnen, können Schüler nicht sagen, sie haben keine Lust. Allerdings sind wir wegen der Corona-Krise großzügiger, so dass Schüler, die kranke Eltern haben, nicht sofort zur Schule gehen können.

Reicht dazu eine Entschuldigung der Eltern?

Ja, genau wie früher auch. Wenn ich als Kind Grippe hatte, hat meine Mutter die Entschuldigung geschrieben. Das wird auch jetzt akzeptiert.

Müssen auch Lehrer, die zur Risikogruppe gehören, wieder zur Schule?

Wer über 60 Jahre alt ist, muss nicht zwingend im Klassenverbund unterrichten, weil hier größere Anzeichen für ein Risiko vorliegen. Und auch jüngere Lehrer, die wegen einer chronischen Krankheit besonders gefährdet sind, sind ausgenommen. Das heißt nicht, dass sie gar nichts machen. Sie können von zu Hause aus Unterricht gestalten und Verwaltungsaufgaben übernehmen.

Wie wird der Infektionsschutz in den Schulen sichergestellt?

Wissenschaftlern zufolge wird der gewährleistet, wenn der Abstand groß genug ist. Dafür haben wir gesorgt, indem wir nur sehr kleine Lerngruppen in die Klassen lassen, während sonst 30 bis 35 Kinder sitzen, sitzen da jetzt – wie in den Abiturprüfungen – nur noch acht oder zehn. Das soll auch gelten, wenn wir den Unterricht neu beginnen. Wir empfehlen außerdem, dass in der Pause Masken verwendet werden.

Warum müssen die Abi-Prüfungen überhaupt stattfinden?

Wir haben Angst, dass das Abschlusszeugnis nicht anerkannt wird, wenn die Prüfungen ausfallen. Wer in Hamburg sein Abitur ohne Abschlussprüfung macht, hat ein Drittel der gesamten Leistung eigentlich nicht erbracht. Es ist gut möglich, dass dann ein Land wie Hessen sagt: „Bei uns mussten die Schüler das alles machen! An unseren Unis studierst du nicht, das ist kein Abitur.“ Diese Anerkennungsfragen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.  

Was ist mit normalen Klausuren, die wegen Corona ausgefallen sind? Müssen die jetzt geballt nachgeholt werden?

Nein. Es ist zwar so, dass wir in den Lehrplänen eine bestimmte Zahl von Klassenarbeiten beschreiben. Aber unter dieser Situation muss das nicht alles eins zu eins so umgesetzt werden. Die Schüler müssen nicht in den verbleibenden fünf Wochen zwei Klausuren hintereinander in einem Fach schreiben.

Was ist, wenn ich die ersten Klausuren in diesem Schuljahr vergeigt habe? Habe ich dann überhaupt noch die Möglichkeit, das auszugleichen?

Man muss sich ja fragen, was man denn nun will. Will ich eine Erleichterung schaffen, dann sage ich, es darf durchaus die eine Klassenarbeit ausgelassen werden. Außerdem bilden die Lehrer ja ohnehin aus einer Mixtur von Beteiligung im Unterricht, von Hausaufgaben, von Konzentration, von Klassenarbeiten.

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Insofern glaube ich schon, dass eine Klassenarbeit hier nicht die Gewichtung haben wird, dass man sich um seine Note sorgen machen muss. Ich setze darauf, dass die Lehrer vernünftig sind bei der Zensurengebung. Und die viele Gespräche in den Schulen zeigen auch: Die Lehrer sind netter als man denkt. Die sagen doch auch: „Da ist Unterricht ausgefallen, da wollen wir mal Fünfe gerade sein lassen und im Zweifel für den Schüler urteilen“. Und die werden da nicht beinhart irgendwelche Sechsen verteilen.

Werden erstmal nur die Hauptfächer in den Schulen unterrichtet oder direkt alles?

Wir wünschen uns zwar, dass Mathe, Englisch und Deutsch eine besondere Rolle spielen. Wir sagen aber nicht, dass nur diese Fächer unterrichtet werden sollen, sondern alle – bis auf Sport. Beim Sport ist das Risiko doch zu groß, dass man sich sehr nahe kommt. Deswegen kann Sportunterricht nicht stattfinden.

Wie sieht’s mit Theater-Unterricht aus? Dort kommt man sich auch oft nah.

Da müssen Lehrer gucken, dass man das vermeidet. Aber wir haben in der Abwägung gesagt: Bevor wir den ganzen Theater-Unterricht verbieten, bitten wir doch lieber, dass die Lehrer den Unterricht mit ihren Schülern so gestalten, dass der Abstand eingehalten wird.

Es werden weiterhin auch viele Schüler zu Hause unterrichtet werden – und nicht alle Eltern haben das Einkommen, um PCs zur Verfügung zu stellen. Wie schafft die Behörde Abhilfe?

Die Lehrer sind gebeten, den Unterricht auch mit Arbeitsblättern sicherzustellen, die ausgedruckt und zu Hause angeliefert werden. Zweitens wollen wir helfen, weil wir sehen, dass es nicht richtig ist, dass Kinder, deren Eltern nicht viel Geld haben, solche Geräte nicht haben. Jetzt erst sind vom Bund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt worden. Wenn das jetzt schnell umgesetzt wird, kann Hamburg damit 30.000 bis 35.000 Laptops und Tablets kaufen, die wir dann jenen Schülern zur Verfügung stellen können, die zu Hause keine haben.

Anderes Thema: Werden eigentlich auch die Klassenfahrten nach den Sommerferien abgesagt?

Das ist schwierig zu prognostizieren. Aber wir sind sicher, dass bis zu den Herbstferien keine Klassenreisen stattfinden können. Wenn wir hören, dass sogar das Münchner Oktoberfest abgesagt worden ist, dann ist das auch ein Fingerzeig dafür, wie in Deutschland insgesamt der Fortgang der Krise bewertet wird. Und dann macht es keinen Sinn, wenn das Oktoberfest nicht stattfindet, aber Hamburgs Schüler in Großgruppen über den Münchner Rathausplatz ziehen. In Bayern sind sogar alle Klassenreisen für das kommende Schuljahr abgesagt worden – so weit gehen wir noch nicht.

Sie sind gegen eine Verkürzung der Sommerferien. Warum?

Wir haben den Bürgern in der Krise extrem viel zugemutet. Arbeitslosigkeit, Homeoffice, das unter schwierigen Bedingungen stattfindet. Die Kinder haben keine Kita-Betreuung mehr, keine Schule mehr. Da ist im Alltag der Bürger vieles durcheinander und aus den Fugen geraten. Da sind große Belastungen aufgetreten. Politik muss ein Gefühl dafür entwickeln, dass die Bürger in dieser Lage nicht draußen auf der Terrasse liegen und es sich gutgehen lassen, sondern dass da schwierige Situationen entstehen. Deswegen bin ich dagegen, jetzt noch die Sommerferien zu canceln und zu sagen, das machen wir jetzt auch noch alles anders. Ich finde, auch mit Blick auf die angespannte Lage in viele Elternhäusern, haben sie sich die Sommerferien auch verdient. Wer freiwillig in den Sommerferien lernen will, der ist herzlich willkommen. Wir bereiten dazu Angebote vor.

Was ist mit den Maiferien? Kaum geht die Schule wieder richtig los, finden schon wieder Ferien statt. Fallen die zum Lernen aus?

Natürlich hätte man sich einen schöneren Ablauf gewünscht. Aber auch hier muss das gleiche sagen wie bei den Sommerferien. Es ist ja nicht so, dass die meisten gar nicht wissen, was man jetzt machen soll. Sondern da freuen sich viele drauf, auch wenn man vielleicht nicht weit weg fahren kann.

Wird es auch nach der Krise verstärkt Homeschooling geben? Das war bislang ja sehr verpöhnt, dabei ist es jetzt die einzige Möglichkeit gewesen, Schüler überhaupt noch zu unterrichten.

Ich glaube schon, dass bestimmte Schüler gut zu Hause lernen können – aber nicht alle. Und ich denke es ist wichtig, eine Lernerfahrung zu haben in einer Gruppe, wo man miteinander redet, wo es gute Lehrkräfte gibt, die einem Rückenwind geben und helfen. Das wird aus meiner Überzeugung heraus kein Computer ersetzen. Und wenn wir weiter so tun, als ob das ginge, dann müssen wir auch überlegen, ob dann nicht auch Kinder entstehen, die nicht wissen, wie man mit anderen Kindern umgeht – weil sie die kaum noch erleben. Ich sage ganz offen: Der Fernunterricht, den wir haben, der muss noch besser werden. Da geht auch noch eine Menge. Aber so zu tun, als ob das das Modell der Zukunft ist, und wir den normalen Unterricht, die Gesprächssituation, die Situation im Klassenraum ersetzen könnten, diesen Glauben habe ich nicht.

Was passiert eigentlich, wenn Lehrer aktuell versuchen, Schüler zu Hause zu kontaktieren, jedoch nicht erreichen. Gehen da direkt die Alarmglocken an?

Das ist ein Thema, dass mir große Sorgen macht. Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Wir hatten vor Jahren den schrecklichen Fall eines kleinen Mädchens, das von den Eltern im Kinderzimmer eingesperrt wurde und dort verhungert ist, weil es keine Überprüfungen gab. Schule ist ein Garant, das zu verhindern. Wer nicht zur Schule kommt, da fasst die Schule nach, zur Not wird auch mit den Eltern telefoniert und nachgehakt. Das ist etwas Wichtiges. Und natürlich ist bei einer Viertelmillion Schülern alles an Lebenswirklichkeit dabei. Da gibt es Schüler, die haben vier Kinderzimmer und da gibt es Schüler, die zu viert in einem Kinderzimmer sind. In dieser Lebenswirklichkeit ist Schule ein Ankerpunkt für Verlässlichkeit und für Schüler eine Anlaufstelle. Das fällt weg und das ist ganz bitter.

Was tun Sie dagegen?

Wir müssen gucken, dass das nicht so lange dauert. Und natürlich bitten wir die Lehrer jetzt, einmal in der Woche mindestens jeden Schüler zu kontaktieren. Nicht per mail, sondern per Telefon oder Skype, um den Kontakt aufrecht zu erhalten. Wo das nicht gelingt, schicken wir Jugendämter und auch unser eigenen Bildungs- und Beratungszentren zum Hausbesuch hin und gucken, ob alles in Ordnung ist.

Gab es bereits solche Fälle?

Ja, also dass wir die Schüler dann finden und das einer aufmacht ist jedes Mal der Fall gewesen zum Glück. Aber dass die sich da eine Woche nicht melden passiert durchaus.

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