Hamburgs Linke zwischen Abrechnung und Aufbruch – Parteitag mit absurden Momenten
Nein, mit störungsfreien und unaufgeregten Veranstaltungen haben sie es wirklich nicht. Wenn ein Redner gewaltsam von der Bühne entfernt wird und in der knapp bemessenen Zehn-Minuten-Befragung der Kandidat:innen die Fragesteller erst einmal Brecht-Zitate zum Besten geben, dann kann man sich sicher sein, dass man auf einem Parteitag der Linken gelandet ist.
Am Wochenende trafen sich die Hamburger Linken mal wieder im Wilhelmsburger Bürgerhaus, um ein neues Spitzenduo zu wählen und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Und ja, es ging tatsächlich auch um Inhalte.
Linke in Hamburg gespalten – folgt jetzt die Versöhnung?
- Deutsch (Deutschland)
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Nein, mit störungsfreien und unaufgeregten Veranstaltungen haben sie es wirklich nicht. Wenn ein Redner gewaltsam von der Bühne entfernt wird und in der knapp bemessenen Zehn-Minuten-Befragung der Kandidat:innen die Fragesteller erst einmal Brecht-Zitate zum Besten geben, dann kann man sich sicher sein, dass man auf einem Parteitag der Linken gelandet ist.
Am Wochenende trafen sich die Hamburger Linken mal wieder im Wilhelmsburger Bürgerhaus, um ein neues Spitzenduo zu wählen und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Und ja, es ging tatsächlich auch um Inhalte.
Linke in Hamburg gespalten – folgt jetzt die Versöhnung?
Das war auch bitter nötig, denn die Linke steckt nicht nur bundesweit in einer tiefen Krise, sondern steht auch in Hamburg vor allem vor inneren Herausforderungen.
Zuletzt sorgte der scheidende Linken-Chef Keyvan Taheri mit Rassismusvorwürfen gegen den eigenen von ihm geführten Landesvorstand für Aufmerksamkeit. Er und seine ebenfalls scheidende Co-Chefin Żaklin Nastić mussten sich beim Parteitag viel Kritik für ihre Führung anhören.
Ganz anders machen will es nun das neugewählte Parteispitzenduo bestehend aus Sabine Ritter (54) und Thomas Iwan (36). Beide bekamen am Samstag knapp über 70 Prozent der Delegiertenstimmen und stehen für einen moderaten, pragmatischen Kurs, der auch von der Mehrheit der Bürgerschaftsfraktion getragen wird.
Kandidatin sorgt für Empörung – und Handgemenge
Ritter setzte sich gegen zwei Gegenkandidatinnen durch, von denen die eine für den negativen Höhepunkt des Wochenendes sorgte. Das umstrittene Parteimitglied Bijan Tavassoli hatte erklärt, kein Mann mehr zu sein, sondern eine Frau, und folglich für den weiblichen Landesvorsitzendenplatz kandidiert.
Tavassoli war allerdings selbst gar nicht anwesend, laut eigener Aussage wegen einer Corona- und wahrscheinlichen Affenpocken-Infektion. Stattdessen trug ein Mann mit Kapuzenpullover und Maske die Bewerbungsrede stellvertretend vor und las einen abstrusen Text ab. Darin forderte Tavassoli unter anderem ein Verbot aller Bücher von Harry-Potter-Schöpferin J. K. Rowling, die Legalisierung von Crystal Meth und beleidigte diverse Parteimitglieder.
Nachdem das Tagungspräsiduum erfolglos verbal intervenierte, kam es zu Handgreiflichkeiten auf und neben der Bühne, als der Tavassoli-Vertreter vom Rednerpult entfernt wurde. Für finales Kopfschütteln sorgte Tavassoli dann, als er später über eine Parteikollegin mitteilen ließ, dass die vorgetragene Rede gar nicht von ihm stamme. Sonderlich überzeugend war der Auftritt in jedem Fall nicht, lediglich ein Parteimitglied stimmte am Ende für Tavassoli als neue Parteichefin.
Das sagen die neuen Linke-Chef:innen zu ihren Aufgaben
Alles in einem ein Zwischenfall, mit dem sich die neue Parteispitze nicht weiter aufhalten dürfte. Auch wenn Sabine Ritter ahnt, was nun auf sie zukommen könnte. Bereits bei ihrer Bewerbungsrede hatte sie darauf verwiesen, dass sie oft gefragt werde, warum sie sich das überhaupt antue. „Die Frage ist berechtigt. Die Linke erscheint derzeit weder von außen noch von innen als attraktive Arbeitsumgebung“, so Ritter. Das soll sich nun unter ihrer Führung ändern. Auch wenn es „schreckliche“ Momente auf dem Parteitag gegeben habe, ginge nun vom beschlossenen Leitantrag und dem neugewählten Personaltableau eine „Aufbruchsstimmung“ aus, so die neue Chefin zur MOPO.
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Auch Co-Chef Thomas Iwan ist „müde aber hoffnungsvoll“ nach dem Parteitag-Marathon. Als ersten Schritt wolle man versuchen, parteiintern „größtmögliche Einigkeit” herzustellen. Wie das gelingen soll? „Zuhören, allein im Landesvorstand sitzen 21 Menschen und damit verschiedene Strömungen, Bezirke und auch der Jugendverband“, so Iwan zur MOPO. Gleichzeitig müsse man aber sofort engagiert hinsichtlich des „heißen Herbstes“ und anstehender „Sozialproteste“ und „als Linke in Hamburg ansprechbar und sichtbar“ sein. Man dürfe sich nicht nur aufs Versöhnen konzentrieren und dabei die politisch-inhaltliche Arbeit vernachlässigen.
Linke fordern höheren Mindest lohn und Mietendeckel
Die politisch-inhaltliche Arbeit wurde passenderweise auf dem Parteitag unterfüttert. Die Linke beschloss in ihrem Hauptleitantrag „Die Linke Hamburg im Aufbruch für eine solidarische Zukunft“ unter anderem die Forderung nach einem hamburgspezifischen Mindestlohn in Höhe von mindestens 15,50 Euro, die Fortführung des 9-Euro-Tickets, einen Mietdendeckel für die SAGA, die Verhinderung von Strom- und Gassperren für Haushalte oder auch Tempo 30 als Richtgeschwindigkeit in der Stadt.
Am Ende geht somit dann tatsächlich so etwas wie Aufbruch vom Parteitag aus – den hat die Linke aber auch bitter nötig.