Meuthen weg – Ruck nach rechts bei Hamburgs AfD?
Am Ende der Beweisaufnahme tritt in diesem Prozess noch einmal die Stadtprominenz ins Rampenlicht. Da ist Harald Rösler (71), ehemaliger Chef des Bezirksamtes Hamburg Nord und Hauptangeklagter im sogenannten „Rolling-Stones-Verfahren“. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue und Bestechlichkeit vor. Und da ist vor allem der letzte Zeuge dieses Korruptionsprozesses im Hamburger Strafjustizgebäude, Karsten Jahnke, Grandseigneur der Hamburger Konzertveranstalter, und mittlerweile 84 Jahre alt.
Dass inzwischen eine Anti-Korruptionsrichtlinie die nächste jagt, Behördenbedienstete höchstens eine Tasse Kaffee oder einen Kugelschreiber als Geschenk annehmen dürfen, all das scheint an den beiden Männern vorbei gegangen zu sein.
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Nach dem Parteiaustritt des bisherigen Chefs Jörg Meuthen werden auch in der Hamburger AfD die Karten neu gemischt. Die Gegner:innen der Parteiführung liegen auf der Lauer, die Parteiführung blendet das aber aus.
Meuthen weg – Ruck nach rechts? Mit dem Parteiaustritt des bisherigen AfD-Parteichefs Jörg Meuthen verschwand vergangene Woche das Aushängeschild des neoliberal-konservativen Parteiflügels von der politischen Bühne. Ohne ihr bürgerliches Feigenblatt droht der AfD bundesweit ein weiterer Rechtsruck, warnen zahlreiche Sozialwissenschaftler:innen. Das Personal des formal aufgelösten „Flügels“, die nationalistisch-völkische Strömung der Partei um Björn Höcke und Alexander Gauland, das den Holocaust bagatellisiert und offen gegen Flüchtlinge hetzt, könnte nun endgültig die Macht in der Partei übernehmen. Andere Parteikenner:innen kommen zu der Einschätzung, das sei trotz Meuthen schon längst geschehen.
Dirk Nockemann: Hamburgs AfD eine geschlossene Einheit.
Und in Hamburg? „Ungeachtet dieses Rücktritts setzt die Hamburger AfD unbeirrt und kämpferisch ihren überzeugenden bürgerlich-konservativen Kurs fort“, inszeniert Fraktionschef Dirk Nockemann die Elb-AfD weiterhin als geschlossene Einheit. Das Hamburger Bündnis gegen Rechts kommt da zu einer grundlegend anderen Einschätzung. Nockemann und sein Stellvertreter Alexander Wolf hätten Meuthen lange als „Feigenblatt für ihre Strategie der Selbstverharmlosung“ benutzt. Nach dessen Rückzug werde sich auch die Hamburger AfD „weiter nach Rechtsaußen bewegen“.
Denn auch in Hamburg gibt es genügend Parteimitglieder, die der völkisch-nationalistischen Parteiströmung nahestehen. Etwa 40 solcher Personen machte der Hamburger Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2020 aus, musste aber nach einem Gerichtsurteil ergänzend anmerken, dass die AfD diese hohe Zahl energisch bestreitet. Noch 2019 hatte Nockemann selbst betont: Fünf bis zehn Prozent der damals 620 Hamburger Parteimitglieder – also gut 30 bis 60 – hätten Sympathien für Höcke und den Flügel. Dabei sind Wolf und Nockemann selbst weit von der bürgerlichen Mitte entfernt: Nockemann brachte es als führender Kopf der Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill 2003 bis zum Hamburger Innensenator, Wolf gehörte lange den ultrarechten Republikanern an und gab ein Liederbuch mit völkischen Texten heraus.
Bekannteste Anhänger:innen der völkisch nationalistischen Strömung in der Hamburger AfD sind die Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen und Nicole Jordan, Bezirksabgeordnete in Hamburg Mitte, die sich selbst als „dem Flügel sehr nah“ bezeichnet. Der Autor Andreas Speit, einer der besten Kenner der rechten Szene, recherchierte im vergangenen Jahr, dass das Duo zusammen mit einigen Mitstreiter:innen einen Putsch gegen die Parteiführung geplant haben soll, der dann aber im Sande verlief. Auch gute Kontakte einzelner Hamburger AfD-Fraktionsmitarbeiter zur vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremistischen Identitären Bewegung waren in der Vergangenheit immer wieder Thema in den Medien, nicht aber in Partei. „Die AfD-Fraktion schweigt, anders als früher, zu rechten Umtrieben im Landesverband“, kommentiert da das Bündnis gegen Rechts.
„Es gibt im Moment keinen Anlass, die innerparteiliche Machtfrage in Hamburg zu stellen“, erklärt Andreas Speit, und weist darauf hin, dass weder innerparteiliche Personalentscheidungen noch Parlamentswahlen in nächster Zeit anständen, es also nichts zu verteilen gebe. So kann Nockemanns „Weiter so“ noch eine Zeitlang funktionieren. Anders als Meuthen würden er und Wolf die Umtriebe der Rechtsextremisten „nicht zum Thema machen und den Konflikt auch nicht offen austragen, so dass es eine friedliche Koexistenz“ der AfD-Strömungen in Hamburg gäbe. „Das heißt nicht, dass die rechten Strömungen nicht auf eine Gelegenheit lauern, mehr Macht an sich zu reißen“, betont Speit.
Denn Nockemann und Wolf geraten innerparteilich auch bundesweit mit ihrer Strategie immer mehr unter Druck, Spätestens seit der Hamburger AfD-Landesverband bei den Bundestagswahlen im vergangenen Herbst auf exakt 5 Prozent absackte und damit das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis aller 16 AfD-Landesverbände erzielte, hagelt es massive Kritik der Ost-Verbände der AfD am moderaten Hamburger Kurs, die auch von den Hamburger Flügel-Anhänger:innen aufgegriffen wird. Doch von all dem wollen Nockemann und Wolf nichts wissen.
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Da werden Erinnerungen wach an den Wirtschaftswissenschaftler Jörn Kruse, der lange als bürgerlich-konservatives Aushängeschild die Hamburger AfD führte, den Strömungskampf erst negierte und 2018 – wie nun Meuthen – mit der Begründung zurücktrat, er könne die rechtsextreme Bestie in der AfD nicht mehr zähmen. Seinem späteren Nachfolger als Fraktionschef hatte er schon zuvor in einem Interview Verharmlosung vorgeworfen: „Herr Nockemann weiß natürlich genau, dass die Partei nach rechts rückt – und zwar sehr stark. Er erzählt aus Eigeninteresse etwas Anderes, als es der Realität entspricht.“