Steuerparadies Hamburg? Die Stadt lässt sich Milliarden an Einnahmen entgehen
Andreas Dressel (SPD) gab sich zupackend. Gleich zum Jahresbeginn präsentierte Hamburgs Finanzsenator ein vom Senat beschlossenes Maßnahmenpaket, um die „Leistungsfähigkeit der Steuerverwaltung zu stärken“ und „die Aufstiegsmöglichkeiten ihrer Bediensteten und für Seiteneinsteiger:innen zu verbessern“. Das war überfällig: Denn Hamburg gehen die Steuerprüfer:innen aus. Der Stadt entgehen so Milliardeneinnahmen, die an allen Ecken und Enden fehlen. Steuersünder:innen können sich die Hände reiben.
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Andreas Dressel (SPD) gab sich zupackend. Gleich zum Jahresbeginn präsentierte Hamburgs Finanzsenator ein vom Senat beschlossenes Maßnahmenpaket, um die „Leistungsfähigkeit der Steuerverwaltung zu stärken“ und „die Aufstiegsmöglichkeiten ihrer Bediensteten und für Seiteneinsteiger:innen zu verbessern“. Das war überfällig: Denn Hamburg gehen die Steuerprüfer:innen aus. Der Stadt entgehen so Milliardeneinnahmen, die an allen Ecken und Enden fehlen. Steuersünder:innen können sich die Hände reiben.
Schon heute herrscht in vielen Finanzämtern Personalnotstand. Weil Nachwuchs fehlt und die Wirtschaft qualifizierte Steuerfachleute besser bezahlt, bleiben in der Steuerverwaltung derzeit viele ausgeschriebene Stellen unbesetzt. Folge: Immer mehr Steuererklärungen bleiben ungeprüft oder werden nur oberflächlich bearbeitet. Zudem macht Dressel „eine hohe Zahl altersbedingter Personalabgänge“ zu schaffen. Eine Pensionslawine rollt an, weil geburtenstarke Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.
Das Finanzamt als Durchlauferhitzer
Doch qualifizierter Nachwuchs ist rar. Ausgebildet wird er an der Norddeutschen Akademie für Finanzen und Steuerrecht (NoA) am Hammer Steindamm, die nun durch einen zeitgemäßen Neubau ersetzt werden soll, um bessere Lernbedingungen zu schaffen. Die wenigen Absolvent:innen der Akademie sind extrem begehrt. Denn auch private Steuerberater-Sozietäten und die Steuerabteilungen großer Firmen suchen Nachwuchs. Und zahlen oft das Doppelte von dem, was eine Behörde ausschütten kann.
Eine andere Variante: Die Akademie-Absolvent:innen starten bei den Finanzämtern ihre Karriere, oft in Teilzeit. Nebenbei studieren sie, etwa Jura oder Betriebswirtschaft. So qualifiziert, wechseln sie dann nach wenigen Jahren in die private Wirtschaft, um deutlich mehr zu verdienen. Das Finanzamt fungiert dabei nur als eine Art Durchlauferhitzer.
Hamburgs Finanzämter: Unbesetzte Stellen und steigende Fallzahlen
„Die Steuereinnahmen werden weiter einbrechen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass aufgrund des Personalmangels schon heute bei vielen Betriebsprüfungen Sachverhalte nicht festgestellt werden, die zu Steuerforderungen führen würden“, offenbart ein frustrierter Mitarbeiter der Steuerverwaltung. Auf die eingehenden Steuererklärungen würde „immer seltener und weniger intensiv draufgeguckt“. Das werde sich in den kommenden Jahren „weiter verschärfen“.
Zwar kann die Steuerverwaltung aufgrund festgelegter Besoldungsstufen für Beamte finanziell mit der Privatwirtschaft nicht mithalten, doch ein Teil der Personalfluktuation ist hausgemacht. Aufgrund der nicht besetzten Stellen und der steigenden Fallzahlen, die mit der Bevölkerung Hamburgs wachsen, ist die Arbeitsbelastung gestiegen. Alle drei Jahre wird im Rahmen einer Regelbeurteilung eine Besoldungsgruppe bewertet und deren Mitglieder in eine Beförderungsreihenfolge einsortiert – befördert werden kann nur, wenn Stellen frei werden.
„Viele Kolleg:innen empfinden dieses starre Beurteilungsverfahren als willkürlich und frustrierend“, sagt ein Finanzbeamter – und Widerspruchsmöglichkeiten gegen eine als ungerecht empfundene Beurteilung gebe es kaum. Nun will Dressel 126 neue Stellen im gehobenen und höheren Dienst schaffen, dafür gering bezahlte Arbeitsplätze streichen, um Karrierechancen der Mitarbeiter:innen zu verbessern.
Linke: „Einladung zum Betrug“
Die Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken belegt, dass in der Steuerverwaltung über 100 bewilligte Stellen nicht besetzt sind, immer weniger Großunternehmen geprüft wurden, die Finanzämter zudem mit immer höheren Außenständen zu kämpfen haben. Betrug der Rückstand nicht eingetriebener Steuern Ende 2021 rund eine Milliarde Euro, so stieg er bis Mitte vorigen Jahres auf 1,8 Milliarden Euro dramatisch.
„Wenn Superreiche und Konzerne nur alle Jubeljahre mal kontrolliert werden, kommt das einer Einladung zum Betrug gleich“, bewertet David Stoop, haushaltspolitischer Sprecher der Linken, den Missstand.
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„Wir haben den Handlungsbedarf schon lange erkannt“, konterte Dressel. Doch über Jahre geschah fast nichts, um die versprochene „deutliche Steigerung der Attraktivität der Steuerverwaltung“ für die Beschäftigten zu erreichen. Das nun beschlossene Maßnahmenbündel weist in die richtige Richtung. Ob es ausreicht, muss sich zeigen.