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Feiernde Menschen auf einer Tanzfläche
  • „Freedom Day“: In einem Londoner Club stürmten Feierende kurz nach der Wiederöffnung die Tanzfläche.
  • Foto: (c) dpa

Keine Masken, Schluss mit Abstand: Englands umstrittene neue Freiheit

Weg mit Masken, Abstandsregeln und Home-Office – trotz steigender Infektionszahlen hat England am Montag fast alle Maßnahmen aufgehoben. „Freedom Day“ (zu deutsch „Freiheitstag“) nennen es die Brit:innen. Expert:innen befürchten: Hier rollt die nächste große Corona-Welle heran.

Masketragen und Abstandhalten sind seit Montag an den meisten Orten Englands  freiwillig. Clubs, Kinos und Theater dürfen wieder durchstarten. Die Regierung spricht lediglich noch von „Erwartungen und Empfehlungen“. Einzig die Test- und Quarantäneregeln bleiben. „Bitte, bitte, seien Sie vorsichtig“, sagte Premierminister Boris Johnson beinahe flehentlich. Er setzt auf den Schutz durch die bisherigen Impfungen.

Die Lockerungen gelten bisher nur für England. Ausnahmen gibt es in der Stadt London, dort bleibt die Maskenpflicht im Nahverkehr bestehen. Die Regionalregierungen von Wales, Schottland und Nordirland sind für ihre Gesundheitspolitik selbst verantwortlich.

England hebt Corona-Beschränkungen auf

Immerhin zwei Drittel der Erwachsenen in Großbritannien wollen laut einer Umfrage des „Office for National Statistics“ in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin Maske tragen. Mehr als die Hälfte sagte, sie sei besorgt angesichts der Lockerungen.

Expert:innen halten die Aufhebung der Maßnahmen ebenfalls für fragwürdig. Pro Tag werden schon jetzt teilweise 50.000 Neuinfektionen im Vereinigten Königreich verzeichnet. Im Vergleich zur Vorwoche stieg die Anzahl positiv Getesteter um 43 Prozent. Ein ähnlich steiler Anstieg wurde auch für die Covid-19-Patient:innen in den Kliniken und die Zahl der Toten verzeichnet.

Der Epidemologe Neil Ferguson vom Imperial College in London sagte, es sei „beinahe unausweichlich“, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen die Marke von 100.000 bald überschreitet. „Die echte Frage ist, ob es sogar doppelt so viel wird, oder sogar noch mehr“, so Ferguson zur BBC. Im schlimmsten Fall, wenn die Zahl der Krankenhauseinweisungen 2000 oder 3000 täglich erreiche, müssten Maßnahmen ergriffen werden, um die Pandemie wieder in den Griff zu kriegen.

Premier Boris Johnson hebt in England die meisten Corona-Einschränkungen auf. (c) dpa
Boris Johnson mit einer England-Flagge
Premier Boris Johnson hebt in England die meisten Corona-Einschränkungen auf.

Mehr als 3,8 Millionen Menschen gehören in Großbritannien zu vulnerablen Gruppen. Der „Freedom Day“ werde für sie ein Tag sein „an dem ihnen Freiheiten genommen werden“, warnen führende britische Organisationen, die sich im Kampf gegen Krebs engagieren.

Boris Johnson ruft „Freedom Day“ aus

Die Wirtschaft sorgt sich um personelle Engpässe. Schon jetzt kommt es in vielen Branchen, vor allem bei Verkehrsbetrieben, zu Engpässen, weil viele Mitarbeiter:innen in Selbstisolation sind. Die Gewerkschaftler:innen sprachen sich für eine Beibehaltung der Maskenpflicht und ein gleichzeitiges Ende der Pflicht zur Selbstisolation bei geimpften Kontaktpersonen aus. Der Chef der Verkehrsgewerkschaft RMT, Mick Lynch, warnte, es könne sonst zum „Chaos Day“ werden.

Die bisherigen Erfahrungen aus der Pandemie haben gezeigt, dass Deutschland aus den Erfahrungen Großbritanniens lernen kann. Die grüne Insel ist zwar beim Impfen schneller, hatte aber auch früher mit neuen Varianten zu kämpfen.

Der Präsident des deutschen Intensivbettenregisters „Divi“, Gernot Marx, sagt, vor einer Impfquote von 85 Prozent unter den Erwachsenen, sollte auf weitere Lockerungen verzichtet werden. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnt: „Der Weg von London, eine völlige Öffnung, ist ein ganz falscher.“ Er erzeuge „letztlich nur eine Welle von chronisch kranken Long-Covid-Kranken“.

Mit Konfettti: In Leeds feiern Menschen das Ende der Einschränkungen (c) dpa
Feiernde Menschen mit Konfetti
Mit Konfettti: In Leeds feiern Menschen das Ende der Einschränkungen

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), will beim kommenden Gipfel die Aufhebung der Corona-Regeln besprechen. „Wie viel Grundrechtseinschränkung geht überhaupt noch, wenn Ende August alle Erwachsenen ein Impfangebot bekommen haben?“, sagte sie der Funke Mediengruppe. Gleichzeitig forderte sie einen neuen Richtwert zur Beurteilung der Pandemie. Die Inzidenz sage heute weniger über die Belastung des Gesundheitssystems aus, als noch vor einem halben Jahr.

Die FDP fordert einen „geordneten Ausstieg“ aus der Corona-Notlage. Die Regierung ringt unterdessen um jede Impfung, wobei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Impfpflicht ablehnt. In Deutschland sind 46,4 Prozent aller Bundesbürger:innen vollständig geimpft.

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