Hamburgs CDU-Chef: Ploß fischt ungeniert am rechten Rand
Hamburgs CDU-Vorsitzender Christoph Ploß hat gegen Widerstände aus der eigenen Partei den ehemaligen Hamburger AfD-Chef Jörn Kruse geholt. Einstimmig – so liebt es Ploß – beschloss der von ihm geführte Kreisvorstand Nord die Aufnahme Kruses in die CDU. Ploß feierte das als Sieg des innerparteilichen Pluralismus. Verbunden mit einer Kampfansage an Kruses frühere Parteifreunde, deren Kernbotschaft lautet: Wer Ploß hat, braucht keine AfD mehr. Und auch an anderer Stelle greift der CDU-Chef recht ungeniert Themen auf, die manch Kritiker eher für populistisch denn für gewinnbringend halten, analysiert MOPO-Kolumnist Marco Carini.
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Hamburgs CDU-Vorsitzender Christoph Ploß hat gegen Widerstände aus der eigenen Partei den ehemaligen Hamburger AfD-Chef Jörn Kruse geholt. Einstimmig – so liebt es Ploß – beschloss der von ihm geführte Kreisvorstand Nord die Aufnahme Kruses in die CDU. Ploß feierte das als Sieg des innerparteilichen Pluralismus. Verbunden mit einer Kampfansage an Kruses frühere Parteifreunde, deren Kernbotschaft lautet: Wer Ploß hat, braucht keine AfD mehr. Und auch an anderer Stelle greift der CDU-Chef recht ungeniert Themen auf, die manch Kritiker eher für populistisch denn für gewinnbringend halten, analysiert MOPO-Kolumnist Marco Carini.
Das Fischen von Ploß am rechten Rand löst in der CDU Hintergrundgeräusche aus, aber keinen Paukenschlag – so fordert die CDU in Altona eine Diskussion zur Causa Kruse auf Landesebene. Ansonsten ist es wie immer: Viele Funktionär:innen der Partei murren hinter vorgehaltener Hand über die Politik ihres Vorsitzenden, doch niemand stellt sich ihm offen entgegen. Nachdem die Erneuerung der Partei unter Dietrich Wersich und Marcus Weinberg zu herben Wahlniederlagen geführt hat, fehlt es der CDU an inhaltlichen Perspektiven – und an personellen gleich noch dazu.
Wer in Hamburgs CDU gegen Ploß aufbegehrt, hat es schwer
Wer einmal offen gegen Ploß aufbegehrt, der hat es in der Hamburger CDU von heute schwer. Sehr schwer. Auch Dennis Thering, der den Parteieintritt Kruses vorsichtig kritisierte, traute sich nicht wirklich aus der Deckung. Schließlich steht auch der Fraktionschef für einen Richtungswechsel der Partei und einen kräftigen Schuss mehr Populismus in der Auseinandersetzung.
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Das Spiel mit populistischen Parolen zeigt sich derzeit vor allem an Christoph Ploß’ Feldzug gegen das Gendern. Die Unversehrtheit der deutschen Grammatik, so glaubt der CDU-Chef, sei durch geschlechtergerechte Sprache akut bedroht. Weil dem so sei, bringt Hamburgs CDU auf dem Bundesparteitag am kommenden Wochenende einen aus der Feder von Ploß stammenden Antrag gegen das „Zwangsgendern“ in staatlichen Institutionen ein.
Ploß inszeniert sich als Speerspitze gegen das Gendern
Ploß inszeniert sich schon seit geraumer Zeit als Speerspitze im Kampf gegen das Gendern. Seit Monaten scheint der 37-Jährige besessen zu sein von diesem Thema. „Ein scheinliberales Milieu möchte die Gendersprache gegen den Willen einer großen Mehrheit der Deutschen durchsetzen. Häufig werden Andersdenkende unter massiven Druck gesetzt, ebenfalls zu gendern“, begründet Ploß seine Initiative und fordert: „An Schulen, Universitäten und Behörden hat die grammatisch falsche Gendersprache nichts zu suchen!“
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Abgesehen davon, dass es grammatisch richtig „in“ und nicht „an Behörden“ heißen muss, setzt sich der Antrag – gespickt mit polemischen Kampfbegriffen wie „Zwangsgendern“ und „linksideologische Vereinnahmung der Sprache“ – mit keinem Wort mit den Argumenten für eine geschlechtergerechte Reform der deutschen Sprache auseinander. Zahllose Studien belegen, dass eine nicht geschlechtergerechte Sprache Frauen bei der Berufswahl ausbremst. Werden Schülerinnen Berufe in gegenderter Form präsentiert, trauen sie sich viel eher, stereotype „Männerberufe“ zu ergreifen, als wenn etwa nur nach „Ingenieuren“ gefragt wird. Andere Untersuchungen belegen, dass sich auf geschlechtergerecht formulierte Stellenanzeigen viel mehr Frauen bewerben (und die Stelle auch bekommen), als wenn nur das sogenannte generische Maskulin auftaucht.
Weil es gute Argumente für und gegen das Gendern gibt, empfiehlt die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann ihrer Partei, „die Debatte zur Gender-Sprache gelassen und differenziert zu führen, von Verunglimpfungen abzusehen“. Sie hält die Gendersprache „auch nicht für ein Wahlkampfthema“. Das aber sieht Ploß bei seinem Wahlkampf in eigener Sache deutlich anders.
Denn Frauenpolitik ist in Hamburgs CDU noch immer eine männliche Domäne – das zeigt auch der aktuelle Anti-Gender-Antrag. Dessen überbordende Polemik konnte die Hamburger Frauenunion zwar noch verbal entschärfen, so richtig hinter dem Papier aber steht sie nicht. Frauenunion-Chefin Franziska Oppermann betont: „Einen Zwang zur Verwendung bestimmter Anredeformen lehne auch ich ab. Allerdings fühle ich mich von der rein männlichen Form schon lange nicht mehr paternalistisch mit gemeint.“ Doch ebendiese Misere greift der Verbots-Antrag von Ploß & Co. gar nicht auf.
Nur wenig weibliche Abgeordnete in Hamburgs CDU
Dass Hamburgs CDU-Männer das Gendern als überflüssig empfinden, leuchtet sogar ein. Betrachtet man das Spitzenpersonal der Partei, reicht das Maskulinum völlig aus: Alle Hamburger Parteivorsitzenden seit der Gründung der BRD: männlich. Alle Bürgermeisterkandidaten und alle 16 Fraktionsvorsitzenden ebenfalls. Der Frauenanteil bei all diesen Spitzenposten: exakt null Prozent.
Unter den CDU-Bürgerschaftsabgeordneten beträgt die Frauenquote derzeit 16,7 Prozent. Nur die AfD schafft es, diesen Anteil noch hauchzart zu unterbieten. Aber deren ehemaliger Chef ist nun ja – Ploß sei Dank – in der Union angekommen und wird den smarten CDU-Vorsitzenden ganz sicher bei seinem Feldzug gegen das Gendern unterstützen.