Tschentscher spricht über Senats-Umbau, Hafenpläne und ein Ende der Maskenpflicht
Hafen-Dilemma, Ärger mit den Grünen, Zoff um den Elbtower und dazu Energie- und Flüchtlingskrise: Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat derzeit alle Hände voll zu tun. Im MOPO-Interview erklärt er, wie er den Hafen in eine goldene Zukunft führen will, warum die Elbvertiefung nicht gescheitert ist, wer das Sagen in der Koalition hat, wie es mit der Energieversorgung und dem Elbtower weitergeht und warum Flüchtlinge in Deutschland ganz anderes verteilt werden müssen.
Hafen-Dilemma, Ärger mit den Grünen, Zoff um den Elbtower und dazu Energie- und Flüchtlingskrise: Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat derzeit alle Hände voll zu tun. Im MOPO-Interview erklärt er, wie er den Hafen in eine goldene Zukunft führen will, warum die Elbvertiefung nicht gescheitert ist, wer das Sagen in der Koalition hat, wie es mit der Energieversorgung und dem Elbtower weitergeht und warum Flüchtlinge in Deutschland ganz anderes verteilt werden müssen.
MOPO: Herr Tschentscher, Sie haben den Senat umgebaut. Was ist mit Ihnen: Treten Sie bei der nächsten Wahl erneut an?
Peter Tschentscher: Das entscheidet die SPD zu gegebener Zeit.
Aber wollen Sie?
Ich bin 2020 mit großer Unterstützung als Bügermeister wiedergewählt worden und mache meine Arbeit weiterhin sehr gerne.
Welche Veränderungen erhoffen Sie sich von der Umbesetzung des Senats?
Es gibt frischen Wind. Frau Leonhard, Frau Pein und Frau Schlotzhauer sind bestens qualifiziert, die Arbeit ihres Vorgängers und ihrer Vorgängerinnen fortzuführen.
Die Besetzung der Wirtschaftsbehörde mit SPD-Chefin Melanie Leonhard wurde in der Wirtschaft begeistert aufgenommen. Man erhofft sich jetzt mehr Durchsetzungsfähigkeit. Offenbar war man vorher nicht so glücklich mit der Hafenpolitik.
Ich freue mich über das positive Echo für Frau Leonhard. Sie wird das Amt auf ihre Art sehr erfolgreich führen. Auch Herr Westhagemann hat wichtige Impulse für die Wirtschaft und Innovation in Hamburg gesetzt, zum Beispiel für die Wasserstoffwirtschaft. Dafür gibt es große Anerkennung.
Ist der Hafen jetzt Chefinnensache?
Der Hafen war immer Chef- beziehungsweise Chefinnensache und wird es bleiben.
Die Opposition sagt, Sie hätten lieber Innensenator Andy Grote (SPD) und Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) austauschen sollen. Warum halten Sie an Ihnen fest?
Es gibt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung. Die Senatorinnen und Senatoren machen gute Arbeit.
Immer wieder knallt es zwischen SPD und Grünen. Zuletzt zum Thema Elbvertiefung. Wie angespannt ist das Verhältnis?
Das Verhältnis ist weiterhin sehr kooperativ. Zur Elbvertiefung gab es eine öffentliche Äußerung des Koalitionspartners, die ich nicht teile. Die Elbvertiefung ist nicht gescheitert. Sie ist wichtig für Hamburg. Als Bürgermeister sage ich klipp und klar: Der Senat steht zum Hafen und zur Sicherung seiner Erreichbarkeit.
Fakt ist, dass trotz 800 Millionen Euro Kosten die geplanten Tiefen nicht gewährleistet werden können.
Unter anderem aufgrund mehrerer Sturmfluten hat es im vergangenen Jahr einen starken Sedimenteintrag gegeben, den der Bund in seinem Bereich nicht vollständig beseitigen konnte. Aber wir sind nicht auf den Stand von vor der Elbvertiefung zurückgefallen, und der Bund hat zugesagt, die geplante Fahrrinnentiefe so schnell wie möglich wiederherzustellen.
Wie soll das Problem langfristig gelöst werden? Einfach ewig weiterbaggern?
Im Bereich der Hamburger Strecke ist die Kreislaufbaggerei das größte Problem. Sie ist teuer und sehr belastend für die Umwelt. Deshalb wollen wir das Sediment jetzt innerhalb des Flussverlaufs an einen Ort bringen, von dem es nicht sofort zurückgespült wird. Daneben gibt es den Vorschlag aus Niedersachsen, das Sediment weiter auf die Nordsee hinaus zu bringen oder es für den Deichbau zu nutzen. Wir sind mit jeder Lösung einverstanden, aber es muss dann auch gemacht werden.
Schleswig-Holstein und Niedersachsen blockieren das seit Jahren. Warum setzen Sie die nicht stärker unter Druck? Die leiden ja auch, wenn der Hafen schwächelt.
Eine Beeinträchtigung des Hafens hätte schlimme Auswirkungen für die Wirtschaft der gesamten Metropolregion. Deshalb wollen auch die Ministerpräsidenten unserer Nachbarländer eine Lösung. Das haben mir beide zugesagt.
Es dauert doch noch Jahre, bis solche Lösungen eintreten. Verkraftet der Hafen das?
Deshalb machen wir Druck und haben eine eigene Verbringstelle auf Hamburger Gebiet vorbereitet.
Aber wie groß ist der Schaden bis dahin?
Derzeit ist noch kein Schaden eingetreten. Es ist eine komplexe Lage entstanden, die von Leuten instrumentalisiert wird, die schon immer gegen den Hafen waren. Aber das ist nicht die Position des Senats.
Auch nicht die der grünen Senatoren?
Es ist nicht die Position des Senats, und das wird bei den weiteren Entscheidungen auch deutlich werden.
Haben Sie Angst, dass Sie der Bürgermeister sind, unter dem der Hafen seine internationale Bedeutung verliert?
Nein. Die Bedeutung des Hafens hat sogar zugenommen. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und braucht eine gute Anbindung an die internationalen Märkte. Für unsere Versorgung und die Sicherheit der Lieferketten ist das gerade in Krisenzeiten von größter Bedeutung. Im Vergleich mit Antwerpen und Rotterdam ist unser Hafen besonders klimafreundlich, weil die Schiffe weit ins Landesinnere fahren können und eine hervorragende Schienenanbindung an das Hinterland besteht.
Der Containerumschlag sinkt.
Wir wollen nicht der größte Hafen Europas sein, sondern der modernste, effizienteste und klimafreundlichste. Um den Hafen wirtschaftlich betreiben zu können, brauchen wir eine entsprechende Auslastung. Deshalb muss die Hafenwirtschaft mit der Zeit gehen und auch Reedereibeteiligungen an den Terminals prüfen, die überall sonst auf der Welt schon bestehen. In unseren Konkurrenzhäfen Antwerpen und Rotterdam wird das seit vielen Jahren gemacht.
Sie hätten nach Cosco gern weitere Beteiligungen?
Ich unterstütze das, wenn es unternehmerisch sinnvoll ist.
Können Sie versprechen, dass der Hafen auch in 20 Jahren noch die Bedeutung für Stadt und Wirtschaft hat wie jetzt?
Ja. Die Bedeutung wird sogar noch größer sein, weil wir die Transformation des Energiesektors und den Klimaschutz über den Hafen umsetzen. Dort entstehen eine der größten Wasserstoff-Produktionsanlagen Europas und eine Import-Infrastruktur für grüne Energieträger. Daneben soll der Hafen ein zentraler Knotenpunkt für den Online-Handel werden.
Die Folgen der Energiekrise sind dramatisch für Hamburgs Industrie. Wie verhindern Sie eine Abwanderung?
Energieintensive Industrien haben in Deutschland einen Wettbewerbsnachteil, weil die Energiepreise höher sind als in den meisten anderen Ländern. Eine Abwanderung ins Ausland wäre ein großer Verlust für die Arbeitsplätze in Deutschland und ein Rückschlag für den globalen Klimaschutz. Denn eine Tonne Stahl, Kupfer oder Aluminium wird in Hamburg schon jetzt mit nur halb so viel CO2 produziert wie im weltweiten Durchschnitt. Deshalb müssen wir unsere Industrie unterstützen und günstigen Strom zur Verfügung stellen, indem wir die Wind- und Sonnenkraft schneller ausbauen. Auch der Import von grünem Wasserstoff ist eine gute Perspektive für unsere Industrie.
Bis dahin dauert es aber noch. In den USA sind die Gaskosten zum Beispiel durch Fracking deutlich günstiger. Wir importieren es von ihnen und werden deshalb immer im Nachteil sein. Dabei liegen in Niedersachsen riesige Gasvorkommen im Boden. Sollten wir mit Fracking starten?
Das sollte man erwägen, es muss aber in den Ländern entschieden werden, die solche Gasvorkommen haben. Sinnvoll ist es nur, wenn mit der Förderung sofort begonnen werden kann. Mittel- und langfristig müssen wir aus fossilen Energien aussteigen.
Hamburg ging bislang leer aus beim Bau von Flüssiggas-Terminals. Nun ist eine kleinere Variante in der Prüfung. Kommt doch noch ein Terminal?
Die größeren Terminals hätten den Hafenbetrieb aus nautischen Gründen zu stark eingeschränkt. Wir prüfen jetzt auf Wunsch der Bundesregierung, ob stattdessen ein kleinerer Terminal möglich ist.
Wie sparen Sie selbst Energie? Sitzen Sie mit Wärmflasche hinterm Schreibtisch?
Nein, aber ich trage im Büro eine zusätzliche Jacke, weil wir die Temperatur im Rathaus gesenkt haben. Außerdem wird die Heizung im gesamten Rathaus durch einen hydraulischen Abgleich optimiert.
Wann fallen die letzten Corona-Beschränkungen?
Die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und die Isolationspflicht bei akuter Infektion sollten wir noch bis zum Frühjahr aufrechterhalten, damit in der kalten Jahreszeit nicht zu viele Menschen gleichzeitig erkranken. Ich denke nicht, dass wir darüber hinaus Einschränkungen wie in den letzten beiden Jahren brauchen.
Agieren Länder wie Schleswig-Holstein dann leichtsinnig, wenn sie Masken- und Isolationspflicht abschaffen?
Ich halte es nicht für sinnvoll, dass frisch infizierte Personen zur Arbeit gehen und ihre Kollegen anstecken. Das würde den Personalausfall in den Unternehmen noch verstärken. Wer krank ist, sollte zu Hause bleiben.
Die Corona-Kita-Studie hat aufgezeigt, dass die Einschränkungen für Kinder in der Pandemie zu hart waren, die Folgen dramatisch sind. Ist es an der Zeit zu sagen: Da habe ich etwas falsch gemacht?
In Hamburg haben wir die Kitas und Schulen nie ganz geschlossen, sondern immer eine Notbetreuung angeboten für Familien, die darauf angewiesen waren. In der ersten Phase der Pandemie mussten wir aus Vorsichtsgründen weitgehende Maßnahmen ergreifen, weil noch zu wenig über die Verbreitungswege des Virus und effektive Schutzmaßnahmen bekannt war. Später war das nicht mehr nötig.
Es kommen viele Flüchtlinge nach Hamburg, andere Kommunen schlagen längst Alarm. Im Winter könnten es noch mehr werden. Schaffen wir das?
Wir haben schon viele neue Unterkünfte geschaffen und setzen das fort, weil es sein kann, dass im Winter noch viele Menschen aus der Ukraine fliehen müssen.
Der Bund soll mehr Flächen, etwa der Bahn oder der Bundeswehr, für Unterkünfte freigeben. Wie ist der Stand?
Wir müssen uns um jede Fläche bemühen. Zudem ist die Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland schlecht geregelt. Sie erfolgt nach einem Schlüssel, der neben der Einwohnerzahl die Wirtschafts- und Finanzkraft der Länder einbezieht. Die haben wir zwar, aber es fehlen uns Flächen und Gebäude. Als Stadtstaat haben wir auch kein Umland, in das wir ausweichen können.
Sie sind jetzt auch Bundesratspräsident. Wie wollen Sie das alles schaffen?
Das ist zwar zusätzliche Arbeit, aber auch eine ehrenwerte Sache. Ich verbinde die Anwesenheit in Berlin zugleich mit der Arbeit, die ich als Hamburger Bürgermeister ohnehin in der Hauptstadt mache. Hamburg ist eine internationale Stadt und muss sich als attraktiver Innovations- und Investitionsstandort präsentieren.
Stichwort Investitionen: Gerade wurde das Grundstück für den Elbtower an die Signa-Gruppe von René Benko übergeben. Der steht aktuell erneut vor Gericht. Warum hält Hamburg an den Plänen fest?
Die Stadt hat die Verträge für den Elbtower gut verhandelt und ihre Interessen umfassend abgesichert. Solange die Signa-Gesellschaft den Vertrag erfüllt, wird das Projekt fortgeführt.
Würden Sie das noch einmal so machen?
Senat und Bürgerschaft haben den Bau des Elbtowers beschlossen, um die städtebauliche Entwicklung der HafenCity an den Elbbrücken zum Abschluss zu bringen. Es war richtig, hierfür gute Verträge zu verhandeln und die Bedingungen auch noch einmal nachzuschärfen. Damit wurde das Projekt bestmöglich abgesichert.