„Habe immer dafür geworben, dass transgeschlechtliche Menschen respektiert werden“
Christoph Ploß ist 37, kommt aus Eppendorf und hat mit konservativem Profil einen rasanten Aufstieg in der CDU hingelegt. Bundesweite Prominenz erlangte er über die Gender-Debatte, die er früh als Thema entdeckte. Den Landesvorsitz der CDU gibt der Bundestagsabgeordnete jetzt ab. So soll Dennis Thering als CDU-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl gestärkt werden. Manchen gilt Ploß als Hoffnungsträger für eine überalterte Partei. Aber was bedeutet „konservativ sein“ für ihn eigentlich heute? Hafermilch, E-Fuels und Außengrenzen: Ein langer, aber flotter Ritt durch konservative Klischees und existenzielle Fragen.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Christoph Ploß ist 37, kommt aus Eppendorf und hat mit konservativem Profil einen rasanten Aufstieg in der CDU hingelegt. Bundesweite Prominenz erlangte er über die Gender-Debatte, die er früh als Thema entdeckte. Den Landesvorsitz der CDU gibt der Bundestagsabgeordnete jetzt ab. So soll Dennis Thering als CDU-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl gestärkt werden. Manchen gilt Ploß als Hoffnungsträger für eine überalterte Partei. Aber was bedeutet „konservativ sein“ für ihn eigentlich heute? Hafermilch, E-Fuels und Außengrenzen: Ein langer, aber flotter Ritt durch konservative Klischees und existenzielle Fragen – mit überraschenden Aussagen.
MOPO: Wer mit 20 Jahren kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 noch ist, hat kein Hirn. Ist da was dran?
Christoph Ploß: (lacht) Ich bin ja mit 19 in die CDU eingetreten und kann das nicht bestätigen. Und im Moment gilt das auch für große Teile der Jugend nicht. Wenn man sich deren Wahlverhalten anschaut, sieht man, dass die Jüngeren so bürgerlich und konservativ sind, wie viele Generationen davor nicht.
Dem Spruch zufolge hätten die dann kein Herz …
Ich glaube nicht, dass dieses Klischee zutrifft. Die sehen einfach, dass man zum Beispiel die Klimaschutzziele am besten mit Marktwirtschaft erreicht und nicht mit Sozialismus; oder dass Leistungsbereitschaft etwas Positives ist.
Sie haben Zivildienst in einem Pflegeheim geleistet. War das konservativ damals?
Das war es damals und das ist es heute. Soziales Engagement ist wertvoll, und die Zeit als Zivi hat mich bis heute sehr geprägt. Deswegen setze ich mich auch für die Einführung eines Gesellschaftsjahrs ein. Man macht dabei viele wichtige Erfahrungen und trifft Menschen aus gesellschaftlichen Gruppen, mit denen man sonst vielleicht nur wenig zu tun hat. So etwas stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Kommt das bei den Jungwählern gut an?
Ich diskutiere etwa an Schulen oft mit jungen Menschen, da habe ich das Gefühl, dass meine Argumente gut ankommen. Ich selbst hatte anfangs auch keine Lust auf Zivildienst und hätte lieber direkt studiert. Am Ende war es eine der besten Erfahrungen meines Lebens.
Würden Sie auch heute den Wehrdienst verweigern?
Gute Frage. Ich wollte damals nicht zur Bundeswehr gehen. Ein Krieg in Europa – das war für mich unvorstellbar. In der Pflege zu helfen, schien mir damals gesellschaftlich wertvoller zu sein. Heute gibt es für einen Wehrdienst viel stärkere Argumente als damals. Heute würde ich ernsthaft in Erwägung ziehen, stattdessen Wehrdienst zu leisten.
Klimawandel, Kriege, soziale Spaltung: Die Welt ist im radikalen Wandel. Was bedeutet vor diesem Hintergrund „konservativ sein“?
Konservative zeichnen sich dadurch aus, dass sie Maß und Mitte bewahren. Sie wollen Brücken bauen und zwischen unterschiedlichen Positionen vermitteln. Sie stehen etwa für Technologieoffenheit: Warum sollte man, wie die Grünen es wollen, technologische Ansätze wie E-Fuels für Pkw verbieten, wenn sie doch klimaneutral sind?
Niemand will doch E-Fuels verbieten. Es ging um das Verbot von Neuzulassungen von Verbrenner-Autos ab 2035.
Es geht um Verbrenner-Autos, die mit E-Fuels klimafreundlich betrieben werden könnten. Dagegen sind die Grünen.
Lassen Sie uns ein paar Klischees über Konservative abhaken: Hier kommt das erste: Sie essen viel Fleisch.
Ich selbst bin Flexitarier. Ich esse zwar ab und zu gern Fleisch, aber achte dann auf die Qualität und Nachhaltigkeit. Vor allem esse ich viele pflanzliche Produkte. Heute früh gab es zum Beispiel Buchweizen, Dinkelflocken, einen Apfel und ein paar Nüsse.
Das haben Sie doch extra für die MOPO gemacht!
Nein (lacht)! Es gibt viele gute Gründe, den Konsum von tierischen Produkten zu reduzieren. Ich trinke zum Beispiel auch gerne Hafermilch.
Wenn das Ihre Wähler hören, das fliegt Ihnen doch um die Ohren! Kochen Sie selbst?
Dazu komme ich fast nie. In meiner Berliner Wohnung habe ich nicht mal einen Kühlschrank, weil ich immer unterwegs bin.
Nächstes Klischee. Konservative gehen in die Kirche.
Ja, mache ich. Ich bin gläubiger Christ.
… hören Schlager.
Nur bei Partys mit meinen Hockey-Freunden.
… gründen Familien.
Habe ich vor.
Gehen Sie dann in Elternzeit?
Das würde ich gerne machen. Zu Wahrheit gehört aber: Als Bundestagsabgeordneter wäre das nicht einfach. Man ist ja gewählt worden und muss beispielsweise regelmäßig abstimmen und an Bundestagssitzungen teilnehmen.
Ein strukturelles Problem für Frauen …
Ja, aber auch für Väter.
Aber doch in völlig anderer Ausprägung. Nächstes Klischee: Konservative fahren Auto.
Ich habe keins und hatte auch noch nie eins. Zum MOPO-Interview bin ich mit der S-Bahn gekommen.
Wenn Sie ein Auto kaufen würden: E-Auto oder Verbrenner?
In der Großstadt eher E-Auto.
Wäre es für Sie eigentlich ein Imageschaden, wenn man Sie auf dem Rad fotografieren würde?
Warum denn das?
Weil Ihre konservative Klientel, die gerne über die Zumutungen von Herrn Tjarks schimpft, dann denkt: Jetzt haben wir auch noch den Ploß verloren…
(lacht) Ich habe mich schon immer für den Ausbau der Radinfrastruktur eingesetzt und halte das für ein wichtiges Thema – auch für Konservative.
Gendern, Verbrenner, Atomkraft: Die Welt verändert sich disruptiv, die CDU bevorzugt den Status quo.
Ich bin dafür, alle Antriebsarten und Technologien zu erlauben. Wenn Unternehmen und Verbraucher nur mit E-Autos die Klimaschutzziele erreichen und alle die kaufen wollen, habe ich gar nichts dagegen. Ich halte nur nichts von Verboten. Und mit ihrer ideologischen Ablehnung der klimafreundlichen Kernenergie scheinen mir eher die Grünen rückwärtsgewandt.
Wird der eher behäbige Ansatz der Bürgerlichen den Herausforderungen gerecht?
Gerade die Klimaschutzziele erreichen wir mit bürgerlicher Politik am besten.
Tatsächlich? Da bewerten viele die 16 Jahre der CDU im Kanzleramt aber anders…
Wir haben die Klimaziele für das Jahr 2020 erreicht.
Sie halten das für eine erfolgreiche Bilanz?
Deutschland hat sehr viel erreicht! Aber völlig richtig: Der Klimaschutz ist lange vernachlässigt worden. In meiner Generation ist vollkommen klar: Klimaschutz wollen wir alle. Es geht nicht um das Ziel, sondern um den besten Weg dahin. Und warum sollen wir dann Technologien verbieten, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können?
Weil es um strukturelle Weichenstellungen geht, sagen die Befürworter. Viele Automobil-Bosse halten die Diskussion ja auch für überbewertet, weil wesentliche Entscheidungen bereits gefallen seien.
Es gibt unterschiedliche Ansätze in der Branche. Für Audi mag das gelten, bei Porsche und BMW sieht man es anders. Im Sinne des Klimaschutzes sollten wir mehr erlauben und weniger verbieten.
Wie viel hat die Tendenz zum Bewahren bei den Konservativen etwas mit Besitzstandswahrung zu tun?
Gar nichts.
Die Menschenwürde im Grundgesetz und der für Sie als Christ sicher relevante Begriff der Nächstenliebe: Wie wichtig ist es, dass wir als Gesellschaft Bedürftigen die Hand reichen?
Ich bin sehr dafür und für einen starken Sozialstaat. Aber der Staat muss genau prüfen, wer diese Hilfe wirklich braucht. Wenn die Ampelkoalition zum Beispiel mit der Gießkanne eine Energiepauschale verteilt, die Gutverdiener nicht benötigen, aber trotzdem bekommen, dann läuft etwas falsch.
Moral: Ein wichtiger Begriff in der Politik? Oder überbewertet?
Insgesamt ein wichtiger Begriff, der ja auch mit Werten verbunden ist. Natürlich gibt es da verschiedene Interpretationen. Aber dass man sich von Werten und Moral leiten lässt, das halte ich schon für wichtig.
Was heißt das in der Flüchtlingspolitik konkret? Zum Beispiel für die Menschen, die auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken?
Wenn wir denjenigen helfen wollen, die wirklich hilfsbedürftig sind, dann müssen wir die europäischen Außengrenzen schützen und es ermöglichen, dass Asylverfahren bereits in anderen Ländern geprüft werden können.
Das hilft ja nicht denen, die beinahe täglich ertrinken. Auch, weil Helfende gezielt behindert werden. Das ist doch ein moralischer Offenbarungseid europäischer Politik – und ganz sicher nicht christlich.
So einfach ist die Debatte nicht. Denn die Menschen nehmen diese hochgefährliche Überfahrt auf sich, weil sie sich davon einen Weg in die EU versprechen. Auch aus einem verantwortungsethischen Ansatz sage ich: Die Menschenwürde gebietet es, keine falschen Anreize zu schaffen, sondern Prüfverfahren vor Ort durchzuführen und dann sichere, legale Überfahrten zu ermöglichen.
Wenn Sie von Fortschritt sprechen, meinen Sie oft Technologie. Wie wichtig ist Ihnen der gesellschaftliche Fortschritt?
Was meinen Sie damit?
Es gibt ja viele Gruppen, die sich gesellschaftlich benachteiligt fühlen und um Aufmerksamkeit für ihre Probleme kämpfen. Da geht’s zum Beispiel um Chancengleichheit der Geschlechter oder Rassismus-Erfahrungen von Menschen.
Ich setze mich sehr dafür ein, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und gleiche Chancen haben, dass niemand etwa aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung diskriminiert wird. Da gibt es immer noch Ungerechtigkeiten, die es zu bekämpfen gilt. Ich habe mich zum Beispiel erfolgreich mit der Lesben und Schwulen Union der Hamburger CDU dafür eingesetzt, dass Homosexuelle nicht länger vom Blutspenden ausgeschlossen sind. Und dass Homosexuelle zum Teil in Stadien oder auch an Schulen beschimpft werden, dürfen wir nicht hinnehmen! Gerade deshalb finde ich es aber so schädlich, wenn lauter Blasen entstehen, in denen sich Leute nur noch über Hautfarbe oder sexuelle Orientierung definieren und von anderen abgrenzen – die sogenannte Identitätspolitik. Ich wünsche mir stattdessen mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Dass wir uns das wünschen, ist ja das eine. Aber könnte nicht das Problem sein, dass diese Gruppen den Eindruck haben, dass nicht sie es sind, die sich abgrenzen, sondern dass sie gesellschaftlich benachteiligt werden? Und das schon lange, ohne, dass es die jucken würde, die davon nicht betroffen sind?
Dort, wo es Ungerechtigkeiten oder Diskriminierung gibt, bin ich sehr dafür, diese abzubauen! Es gibt zum Beispiel Studien, die sagen, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufig schlechtere Berufschancen haben als andere. Das liegt auch daran, dass gerade in Großstädten wie Hamburg in vielen Haushalten kaum Deutsch gesprochen wird. Deswegen setzen wir uns als CDU zum Beispiel sehr für frühkindliche Bildung ein, damit es auch für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund gleiche Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Wir haben daher etwa die Sprachtests für Viereinhalbjährige eingeführt.
Aber oft hat jemand, der vielleicht fließend hamburgisch spricht, allein deswegen Probleme, weil er Mohammed mit Vornamen heißt oder dunklere Haut als wir beide hat. Schlechtere Chancen auf einen Job oder eine Wohnung, einzig aufgrund von Vorurteilen.
Deswegen müssen wir Vorurteile abbauen, etwa indem wir Menschen mit Migrationsgeschichte an Schulen bringen, die erfolgreich Karriere gemacht haben oder anderes Tolles geleistet haben. Das kann als Vorbild taugen und Vorurteile widerlegen. Wir sollten auch für mehr anonymisierte Bewerbungen werben, damit Entscheidungen für oder gegen jemanden nur aufgrund der Qualifikation getroffen werden.
Hat die Debatte über die „kleinen Paschas“ von Friedrich Merz, den Sie ja sehr schätzen, bei dem Abbau von Vorurteilen geholfen?
Ich hätte mich anders ausgedrückt, fand die Reaktion dann aber aufgebauscht, weil Friedrich Merz völlig zu Recht auf ein bestehendes Integrationsproblem hingewiesen hat. Vorurteile bekämpft man nicht durch Totschweigen von existierenden Problemen. Es gibt viele hervorragend integrierte und erfolgreiche Menschen mit Migrationshintergrund, die übrigens oft am meisten unter Krawallen wie Silvester in Berlin leiden. Aber es gibt eben auch die anderen Fälle.
Man hat ja manchmal bei Friedrich Merz und auch bei Ihnen den Eindruck, dass Sie in einem Grenzbereich formulieren, bei dem es nicht immer nur um die Sache geht, sondern auch um eine populistische Anbiederung.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Die Paschas, das Gendern…
Ich habe mich schon gefragt, wann das wohl kommt … (lacht)
Kann ja sein, dass Ihnen die Unantastbarkeit der Deutschen Sprache tatsächlich so eine Herzensangelegenheit ist. Vielleicht sind Sie aber auch einfach nur froh, da so ein super anschlussfähiges Thema gefunden zu haben.
Ich bin davon überzeugt, dass es keine Gendersprache an Schulen, in der Verwaltung und an Universitäten geben sollte, und gerade deshalb freue ich mich über die große positive Resonanz. Ich habe diese Diskussion immer mit Argumenten und in der Sache geführt, eine unsachliche Emotionalisierung nehme ich eher bei den Befürwortern wahr. Ich bin ja dazu auch am 1. Mai beim MOPO-Talk in Ottensen und stelle mich dort auch gern kritischen Fragen.
Geht Ihnen das Thema eigentlich manchmal auf den Geist?
Naja, meine Äußerungen dazu beruhen meistens auf Medienanfragen. Aber natürlich ist es nicht das einzige politische Thema für unsere Stadt uns unser Land.
Und sicher nicht das Wichtigste.
Das wird manchmal gerne etwas heruntergespielt. Klar, Themen wie der Klimawandel oder der Ukrainekrieg sind wichtiger. Aber natürlich ist auch unsere gemeinsame Sprache für unsere Kultur und unser Zusammenleben enorm wichtig – auch für die Integration. Wenn jemand in unser Land kommt, und die Sprache lernen will, dann ist es doch wichtig, dass er sich auf Regeln verlassen kann. Sprache soll Brücken bauen, nicht spalten.
Da sind wir dann wieder bei den „kleinen Paschas“ von Herrn Merz. Angesichts solcher Pauschalverurteilungen könnte man denken, dass der Integration in diesem Lande andere Dinge entgegenstehen als ein paar Doppelpunkte oder Sterne…
Die Bedeutung der Sprache für die Integration würde ich nicht unterschätzen. Ich kann für mich sagen: Ich versuche, mich möglichst klar und pointiert auszudrücken, aber ich möchte auch niemanden beleidigen. Eher werde ich gelegentlich beleidigt. (lacht) Ich würde mir manchmal mehr Gelassenheit auf allen Seiten wünschen.
Für Sie persönlich hat das Thema Gendern ja große Auswirkungen. Einerseits hat es Ihnen bundesweit zu großer Bekanntheit verholfen. Andererseits besteht das Risiko, dass Sie irgendwann öffentlich vor allem wahrgenommen werden als der „Gender-Onkel“ von der CDU.
Es gibt viele andere Themen, mit denen ich mich beschäftige, wie Klimaschutz oder den sozialen Zusammenhalt. Ich werde vielfach auch zu diesen Themen eingeladen, von daher habe ich diese Sorge nicht.
Würden Sie sagen, dass die Debatte trotz aller Polarisierung dem Wunsch strukturell benachteiligter Gruppen wie z.B. Transmenschen nach mehr Sichtbarkeit geholfen hat?
Das glaube ich nicht. Wir sollten unabhängig vom Gendern darüber sprechen.
Aber hätten wir nicht getan, oder?
Das entscheiden ja Sie. Ich habe jedenfalls schon immer sehr dafür geworben, dass transgeschlechtliche Menschen respektiert werden.
Haben Sie?
Ja, auch aus einem christlichen Antrieb. Aber klar, die Debatte hat den Fokus nochmal stärker auf das Thema gelegt.
Dann war‘s ja vielleicht doch für was gut. Und vielleicht ging es ja genau darum.
Der Austausch und der demokratische Streit sind immer wertvoll. Einerseits, um Verständnis für die Argumente der anderen Seite zu entwickeln. Andererseits, damit die Menschen nicht das Gefühl haben, ihre Sichtweise auf das Thema finde in den Medien und bei den demokratischen Parteien nicht statt. Ansonsten bestünde auch die Gefahr, dass Extremisten davon profitieren.
Aber über einen Mangel an medialer und öffentlicher Sichtbarkeit können sich Gender-Gegner nicht beschweren, oder?
Das war aber nicht immer so. Deswegen war es wichtig, das Thema zu setzen und zu diskutieren – und zwar in der demokratischen Mitte.
Ist Populismus ein zulässiges Mittel in der Politik?
Das ist so ein Schlagwort, das leider manchmal auch dafür genutzt wird, sich einer wichtigen Debatte zu entziehen – ein Totschlag-Argument. Auch im Umgang mit der AfD ist es meines Erachtens nicht hilfreich, sie einfach als Populisten zu bezeichnen. Man muss die AfD mit Argumenten entlarven – was meist recht schnell gelingen kann.
Vielleicht hilft ja eine Definition des Begriffs. Ich würde von Populismus sprechen, wenn jemand einzelne Sorgen der Bürger nicht deshalb aufgreift und vertritt, weil er sie für berechtigt hält, sondern vor allem, weil er sich davon einen Vorteil verspricht.
So vorzugehen wäre falsch. Ein guter Politiker muss immer rangehen und sagen: Wo sind Probleme? Wo sind Themen, von denen man selbst überzeugt ist? In einer Demokratie merkt man dann meist relativ schnell, wenn es vielen anderen ebenso geht. Dann muss man natürlich auch Unterstützung mobilisieren können. Das würde ich nicht als Populismus bezeichnen.
Die Frage ist ja, wo man die Grenzen zieht. In den USA kann man ja sehen, zu welchen Exzessen das führen kann.
Dort sehen wir oft, dass die Konflikte inzwischen an den politischen Rändern ausgefochten werden und nicht mehr in der Mitte. Deshalb wäre es schlecht, wenn wir aus Angst, immer gleich das Label Populismus aufgedrückt zu bekommen, wichtige Debatten etwa um die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, die Kernenergie oder das Gendern nicht führen würden. Das sollten alle unterstützen, denen unsere Demokratie am Herzen liegt, denn ansonsten würden vor allem die Ränder gestärkt werden. Wir als Hamburger CDU greifen diese Themen jedenfalls auf und bringen uns ohne Schaum vorm Mund mit Argumenten und Ideen in die Debatte ein.
Ist Jörn Kruse, Ihr CDU-Neuzugang von der AfD, ein guter Konservativer in diesem Sinne?
Das kann ich nicht sagen, fragen Sie ihn. Er hat sich selbst als Liberalen bezeichnet. Und früher war er in der SPD.