Affäre um Stones-Freikarten: „Extrem guter Deal“ – und nur die Spitze des Eisbergs
Am Ende der Beweisaufnahme tritt in diesem Prozess noch einmal die Stadtprominenz ins Rampenlicht. Da ist Harald Rösler (71), ehemaliger Chef des Bezirksamtes Hamburg Nord und Hauptangeklagter im sogenannten „Rolling-Stones-Verfahren“. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue und Bestechlichkeit vor. Und da ist vor allem der letzte Zeuge dieses Korruptionsprozesses im Hamburger Strafjustizgebäude, Karsten Jahnke, Grandseigneur der Hamburger Konzertveranstalter, und mittlerweile 84 Jahre alt.
Dass inzwischen eine Anti-Korruptionsrichtlinie die nächste jagt, Behördenbedienstete höchstens eine Tasse Kaffee oder einen Kugelschreiber als Geschenk annehmen dürfen, all das scheint an den beiden Männern vorbei gegangen zu sein.
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Am Ende der Beweisaufnahme tritt in diesem Prozess noch einmal die Stadtprominenz ins Rampenlicht. Da ist Harald Rösler (71), ehemaliger Chef des Bezirksamtes Hamburg Nord und Hauptangeklagter im sogenannten „Rolling-Stones-Verfahren“. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue und Bestechlichkeit vor. Und da ist vor allem der letzte Zeuge dieses Korruptionsprozesses im Hamburger Strafjustizgebäude, Karsten Jahnke, Grandseigneur der Hamburger Konzertveranstalter, und mittlerweile 84 Jahre alt.
Jahnke kann augenscheinlich nicht verstehen, warum Rösler und Folkert Koopmans, Chef der Konzertagentur FKP Scorpio, hier auf der Anklagebank sitzen. Die Staatsanwaltschaft, die voraussichtlich kommenden Freitag plädieren wird, wirft Rösler vor, die Stadtparkwiese zu billig an Koopmans verpachtet und so die Staatskasse geschädigt zu haben. Dafür habe er von Koopmans 100 Konzertfreikarten und 300 weitere Kauftickets erhalten, die er später „an Freunde des Hauses“ weiterverteilte.
Für die angeblich viel zu geringe Platzmiete übernimmt Jahnke sogar Mitverantwortung. Rösler habe ihn gefragt, was das Bezirksamt denn für die Stadtparkwiese nehmen könne, er habe sich in der Branche umgehört und dem Bezirksamtsleiter zurückgemeldet, dass für die Vermietung dieser „Wiese ohne jede Infrastruktur“ 200.000 bis 250.000 Euro marktüblich wären. Auf den Vorhalt, Rösler hätte nach Behördenregularien 600.000 Euro für die Stadtparkwiese verlangen können – nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sogar müssen – schüttelt Jahnke nur den Kopf: „Das würde aber kein Konzertveranstalter der Welt bezahlen, ich jedenfalls nicht.“ Der Vertrag, den Rösler ausgehandelt hätte, sei schon „ein extrem guter Deal“ für die Stadt gewesen.
WM 2006: Stadt Hamburg verteilte Gratis-Tickets
„Freikarten“ für die Genehmigungsbehörde seien „absolut üblich“, und 100 abgegebene Gratis-Tickets „bei einem Konzert dieser Größe schon eher wenig“. Das alles könne doch nicht plötzlich falsch sein. Schließlich habe daran jahrzehntelang niemand Anstoß genommen.
Für Rösler und Jahnke scheint die Zeit irgendwann stehengeblieben zu sein. Vielleicht war es 2006, als die Stadt Hamburg noch ganz offiziell Politiker:innen und Personen des öffentlichen Lebens der Hansestadt mit über 2000 Tickets für die im Volksparkstadion stattfindenden Spiele der Fußball-WM versorgte, für die auf dem Schwarzmarkt astronomische Summen bezahlt wurden. Das Vorzugs-Angebot löste nur ein kleines mediales Beben aus, doch am Ende fanden alle Karten ihre dankbaren Abnehmer:innen.
Konsequenzen für Elke Badde und Yvonne Nische
Dass inzwischen eine Anti-Korruptionsrichtlinie die nächste jagt, Behördenbedienstete höchstens eine Tasse Kaffee oder einen Kugelschreiber als Geschenk annehmen dürfen, all das scheint an den beiden Männern vorbei gegangen zu sein. Rösler verteilte die Tickets nach Gutdünken, der Anti-Korruptionsbeauftragte des Bezirkes, inzwischen selbst zu 13.000 Euro Geldstrafe verurteilt, winkte das durch, andere nahmen die Tickets an und finden sich nun auf der Anklagebank wieder. Am schlimmsten erwischte es zwei Frauen, deren berufliche Karrieren bald nach dem Konzertbesuch abrupt endeten und die erstinstanzlich zu fünfstelligen Geldstrafen verdonnert wurden: Elke Badde, Staatssekretärin von Ex-Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD), und Yvonne Nische, Sozialdezernentin des Bezirks Nord. Während Badde in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, konnte Nische nicht, wie geplant, die Nachfolge Röslers als Bezirksamtsleiterin antreten.
Im Urteil gegen Nische kritisierte das Gericht die aus der Zeit gefallene Politik der kleinen Präsente durch Rösler: „In der Führungsetage des Bezirksamts war das Gefühl abhanden gekommen, was man als Beamter annehmen darf.“ Bleibt die Hamburger Justiz bei ihrer harten Linie, droht Rösler bei der Urteilsverkündung Mitte Februar eine Strafe, die ihn sogar seine Pensionsansprüche kosten kann. Konzertveranstalter Koopmanns könnte noch mal mit einem blauen Auge davonkommen. Das Gericht erwägt sein Verfahren gegen eine Geldauflage von 30.000 Euro einzustellen, sollte die Staatsanwaltschaft zustimmen.
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Doch schon droht neues Ungemach. Die Staatsanwaltschaft hat Belege, dass großzügige Freikartenkontingente tatsächlich schon immer, etwa bei Konzerten in der Alsterdorfer Sporthalle, vergeben wurden. Allein hier laufen derzeit noch über 50 Ermittlungsverfahren gegen 58 Personen. Die Stones-Kartenaffäre ist nur die Spitze des Eisbergs, weitere Anklagen dürften schon bald folgen.
So mancher aber wird trotzdem kaum begreifen, warum das, was doch immer schon Praxis war, heute einfach nicht mehr geht.