Rund 70 Zeugen und null Erkenntnisse: Die Hamburger Cum-Ex-Bilanz
Berge von Akten, fast 70 geladene Zeugen, knallende Sektkorken in der Warburg-Bank und erstaunliche Gedächtnislücken beim Bundeskanzler – seit mehr als eineinhalb Jahren versucht der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, die Hamburger Cum-Ex-Affäre aufzuklären. Erkenntnisgewinn bislang: äußerst bescheiden. Viele Beobachter und Insider sind sich mittlerweile einig: Wenn die SPD hier Dreck am Stecken hat, wenn es einen politischen Einfluss auf die Entscheidung des Finanzsamts gab, wird das kaum noch zu beweisen sein.
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Berge von Akten, rund 70 geladene Zeugen, knallende Sektkorken in der Warburg-Bank und erstaunliche Gedächtnislücken beim Bundeskanzler – seit mehr als eineinhalb Jahren versucht der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, die Hamburger Cum-Ex-Affäre aufzuklären. Erkenntnisgewinn bislang: äußerst bescheiden. Viele Beobachter und Insider sind sich mittlerweile einig: Wenn die SPD hier Dreck am Stecken hat, wenn es einen politischen Einfluss auf die Entscheidung des Finanzsamts gab, wird das kaum noch zu beweisen sein.
„Haben Sie eine politische Einflussnahme wahrgenommen?“ Es ist die zentrale Frage aus dem Katalog einer jeden Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Hamburger Rathaus. Allen Zeugen, ob aus Politik, Justiz, Behörden oder der Bank selbst, wird sie in dieser oder ähnlicher Form gestellt.
Cum-Ex: Was haben Scholz und der Warburg-Bankier besprochen?
Die häufigste Antwort: „Nein.“ Und trotzdem bleiben da gleich mehrere offene Fragen. Was genau haben Christian Olearius, Mitinhaber der Warburg-Bank, und Olaf Scholz, damals Hamburger SPD-Bürgermeister, bei ihren Treffen in den Jahren 2016 und 2017 miteinander besprochen? Warum änderte die damals zuständige Finanzbeamtin Frau P. plötzlich ihre Position und verzichtete darauf, Millionen an Steuern von der Bank zurückzufordern?
Doch von Anfang an. Die Hamburger Warburg-Bank war in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt. Dabei lassen sich die Akteure Steuern zweimal erstatten, die nur einmal gezahlt wurden. Hamburg ließ 2016 mögliche Steuernachforderungen von 47 Millionen Euro verjähren, weil eine Steuerhinterziehung nicht nachweisbar gewesen sei. Eine weitere Forderung über 43 Millionen Euro wurde erst 2017 nach Intervention des Bundesfinanzministeriums kurz vor der Verjährung eingefordert.
Finanzbeamtin ändert ihre Meinung
Aufgrund eines Gerichtsbeschlusses musste die Bank später mehr als 176 Millionen Euro zu Unrecht erstatteter Steuern zurückzahlen. Sie versucht aber weiter auf juristischem Weg, gegen die geänderten Steuerbescheide vorzugehen.
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Ein Detail ist besonders brisant: Nachdem die zuständige Finanzbeamtin Frau P. im Oktober 2016 die Steuern zunächst von der Bank zurückfordern wollte, änderte sie ihre Meinung im November. Was dazwischen passierte, ist die große Frage.
Olearius‘ Tagebücher brachten alles ans Licht
Bekannt ist, dass es zwischen Scholz und Olearius in den Jahren 2016 und 2017 mehrere Treffen gab, unter anderem im fraglichen Zeitraum. Gegen Olearius wurde da bereits wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung ermittelt. Die Treffen zwischen Scholz und Olearius waren durch Einträge in Olearius‘ Tagebüchern bekannt geworden, die 2018 im Rahmen einer Durchsuchung bei ihm sichergestellt wurden. Der heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der damals Finanzsenator war, soll ebenfalls über den Fall informiert gewesen sein.
Genau diese Fakten lagen schon vor Beginn des Untersuchungsausschusses auf dem Tisch. Hinzugekommen sind bisher lediglich Indizien. Unterstreichungen in einem Dokument, die womöglich von Tschentscher stammen, ebenso wie Aussagen eines Zeugen, dass in der Bank „die Sektkoren geknallt“ hätten, nachdem klar war, dass nicht gezahlt werden muss.
Hamburgs Ex-Bürgermeister Scholz mit Erinnerungslücken
Hat Olaf Scholz dafür gesorgt, dass die Bank die Millionen behalten darf? Etwa, um eine Pleite mit unabsehbaren Folgen zu verhindern? „Ich habe auf das Steuerverfahren Warburg niemals Einfluss genommen “, so Scholz im Rathaus im April 2021. Normalerweise mache er keine Aussagen zur Einschätzung des Sachverhalts bei solchen Treffen. Der damalige Finanzminister und Kanzlerkandidat berief sich bei Fragen nach Details aus den Gesprächen auf Gedächtnislücken. Auch in mehreren Befragungen im Bundestag hatte er schon auf mangelnde Erinnerungen verwiesen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Juni desselben Jahres ein Mitarbeiter aus der Hamburger Wirtschaftsbehörde aussagte, der bei dem ersten Treffen zwischen Scholz und den Bank-Gesellschaftern Christian Olearius und Max Warburg dabei war. Die Banker hätten ihre Sicht der Dinge zum Thema Cum-Ex dargestellt, außerdem erinnerte er sich noch an konkrete Fragen des damaligen Bürgermeisters Scholz. Etwa habe er gefragt, was denn Cum-Ex-Geschäfte seien.
Befragungen lassen Muster erkennen
Erstaunlich, dass sich ein Beamter an solche Details erinnert, der Ex-Bürgermeister aber an gar nichts. Auch unschön im Wahlkampf – Kanzler wird Scholz am Ende trotzdem. Bei den Befragungen der Personen, die politisch hätten involviert sein können, zeigt sich ein Muster: Wiederholen, was bereits bekannt ist. Eigene Prinzipien deutlich machen. Sich nicht erinnern, wenn es um Details geht.
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„Herr Scholz hat über mich keinen Einfluss genommen auf die steuerliche Behandlung der Warburg-Bank“, sagte etwa Peter Tschentscher in seiner fast neunstündigen Befragung. Dabei ging es auch um ein Verteidigungsschreiben, das die Banker 2016 vorbereitet hatten, um eine Steuerrückzahlung zu verhindern. Unter anderem argumentierte die Bank, dass sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten würde, falls sie zahlen müsste.
Tschentscher: Cum-Ex-Geschäfte waren noch nicht nachweisbar
Dieses Schreiben landete auch bei Tschentscher. Einige Passagen waren später darin unterstrichen. „Daran kann ich mich nicht erinnern“, sagte Tschentscher auf die Frage, ob er diese Unterstreichungen vorgenommen hatte. Aber wenn er seinen Mitarbeitern etwas habe mitteilen wollen, dann nicht durch Unterstreichungen.

2016 wurde wenig später im Finanzamt der Entschluss gefasst, die Steuern nicht zurückzufordern. Die letztendliche Entscheidung nannte Tschentscher „korrekt“, weil „der Sachverhalt noch nicht so ermittelt werden konnte, dass Cum-Ex Geschäfte nachweisbar waren“.
Warburg-Bank hatte Sorge vor einer Pleite
Unsicherheit, ob man der Bank wirklich etwas nachweisen kann. Angst vor einer Klage der Bank. Sorge um die finanzielle Lage der Bank. Alle Argumente, die die Bank zu ihrer Verteidigung nutzte, bereiteten gemäß der vielen Aussagen im Ausschuss interessanterweise auch einigen Mitarbeitern der SPD-geführten Behörde Sorge.
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Andere Stimmen aus dem Finanzamt, wie etwa die der Betriebsprüfer, die das Geld zurückfordern wollten und den Fall anders bewerteten, gingen dagegen unter. Auch die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker, die seit Jahren in Cum-Ex-Fällen ermittelt, sagte im Ausschuss, dass sie die Entscheidung nicht nachvollziehen könne.
Großzügige Spenden an Kahrs SPD-Kreisverband
Unklar bleiben die Rollen des ehemaligen SPD-Strippenziehers Johannes Kahrs und von dessen SPD-Genossen Alfons Pawelczyk. Nachdem sie Olearius laut dessen Tagebuch die Tür in die Politik geöffnet haben sollen, flossen wenig später hohe Spendensummen von der Bank und ihr verbundenen Unternehmen an den von Kahrs geführten SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte. Gegen Kahrs und Pawelczyk laufen inzwischen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Aus diesem Grund konnten sie eine Aussage im Ausschuss verweigern.
System Cum-Ex: Banker stellen sich als „Sündenbock“ dar
Besonders großspurig traten die Banker im Ausschuss auf. Von Reue wegen des Griffs in die Staatskasse keine Spur. Vertreten von ihren Anwälten ließen Olearius und Warburg in regelmäßigen Abständen seitenlange Erklärungen verlesen.

Mal benutzen die Banker Worte wie „Sündenbock“, um sich selbst als kleines Licht im System Cum-Ex, immerhin der größte Steuerraub in der deutschen Geschichte, zu inszenieren. Mal drohten sie dem Ausschuss und stellten Bedingungen. Dem ramponierten Ruf der Bank dürfte das nicht helfen, geschweige denn der Aufklärung.
Scholz soll noch einmal im Ausschuss aussagen
Der Ausschuss wirkt, als würde jeder seinen Platz und dessen ungeschriebene Regeln kennen. Die Opposition versucht zu skandalisieren, die Regierungsparteien zeigen keinen gesteigerten Willen, Licht ins Dunkel zu bringen, die Zeugen geben sich an den entscheidenden Stellen ahnungslos. Ein handfester Beweis, etwa eine Notiz, auf der steht „Bitte die Bank verschonen“, wird wohl nicht mehr auftauchen. Sollte es eine solche Anweisung gegeben haben, hätten die Beteiligten sicher auch andere Mittel und Wege gefunden, diese weiterzugeben.
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Die letzte Hoffnung der Opposition, doch noch eine befriedigende Antwort zu erhalten, ruht auf der zweiten Befragung von Scholz am 19. August. Es dürfte die letzte große Chance sein, dem Gedächtnis des Kanzlers auf die Sprünge zu helfen. Weitere Zeugenvernehmungen sind bislang nicht geplant.