Kolumne: Keine Impfgegner-Demo in Hamburg – das höchst willkommene Verbot
Die für Samstag in Hamburg geplante Anti-Impfdemo wurde verboten. Die Radikalisierung der Bewegung dürfte das kaum bremsen, schreibt Marco Carini in seiner MOPO-Kolumne.
Kein Kommentar von Rot-Grün. Nachdem die Polizei am Donnerstag die für Samstag geplante Impfgegner:innen-Demo verboten hatte, ließen die innenpolitischen Sprecher:innen der beiden Regierungsfraktionen die Gelegenheit ungenutzt, ihre Namen in den Medien zu platzieren. Sie tauchten kurzerhand ab. Die CDU hingegen kommentierte die Verbotsverfügung so, als habe sie dazu gerade keine Meinung im politischen Sortiment: Man müsse die Entscheidung „hinterfragen“. Na dann.
Nur die AfD lief erwartungsgemäß Sturm gegen den Beschluss. „Durch derartige Maßnahmen werden die Menschen radikalisiert“, polterte AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann. Dabei war kaum herauszuhören, ob der Politiker davor warnte oder sich doch genau darüber freut.
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Die für Samstag in Hamburg geplante Anti-Impfdemo wurde verboten. Die Radikalisierung der Bewegung dürfte das kaum bremsen, schreibt Marco Carini in seiner MOPO-Kolumne.
Kein Kommentar von Rot-Grün. Nachdem die Polizei am Donnerstag die für Samstag geplante Impfgegner:innen-Demo verboten hatte, ließen die innenpolitischen Sprecher:innen der beiden Regierungsfraktionen die Gelegenheit ungenutzt, ihre Namen in den Medien zu platzieren. Sie tauchten kurzerhand ab. Die CDU hingegen kommentierte die Verbotsverfügung so, als habe sie dazu gerade keine Meinung im politischen Sortiment: Man müsse die Entscheidung „hinterfragen“. Na dann.
Nur die AfD lief erwartungsgemäß Sturm gegen den Beschluss. „Durch derartige Maßnahmen werden die Menschen radikalisiert“, polterte AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann. Dabei war kaum herauszuhören, ob der Politiker davor warnte oder sich doch genau darüber freut.
Demo-Anmeldern kommt das Verbot wie gerufen
Denn den Demo-Anmelder:innen scheint das Verbot wie gerufen zu kommen: Sie werten es als weiteres Beispiel dafür, wie der Staat die Pandemie nutzt, das Volk mundtot zu machen.
Mit dem Widerspruch, den sie per Eilantrag gegen die Verfügung einlegten, konnten sie nur gewinnen: Hätte das Gericht das Demoverbot gekippt, wäre das der Beleg gewesen, dass der Staat sich über Recht und Gesetz hinwegsetzt. Da es aber die Polizeiauffassung bestätigte, ist bewiesen, dass auch die Justiz den Boden des Grundgesetzes längst verlassen hat. Beide Entscheidungen lassen sich passgenau in die gängige Verschwörungstheorie einfügen.
Teilnehmer verweigerten bei „Corona-Spaziergängen“ das Tragen der Maske
Sie seien zu der Einschätzung gelangt, dass eine Versammlung mit wohl 15.000 Teilnehmer:innen angesichts einer Inzidenz, die im Galopp die 1000er Hürde zu überspringen droht, nur zu verantworten sei, wenn alle Beteiligten Masken tragen. Das aber hätten sie auf den vergangenen „Corona-Spaziergängen“ verweigert, erklärte ein Polizeisprecher den Hintergrund der Entscheidung. Er verschwieg dabei, dass die Genehmigungsbehörde noch bis Mitte Dezember den Demonstrant:innen gar kein Vermummungsgebot auferlegt hatte, gegen das sie hätten verstoßen können.
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Der Kritik der AfD sprang ausgerechnet die Linkspartei bei, die an der Organisation der – genehmigten – Gegendemo beteiligt ist. „Versammlungsverbote sind die falsche Antwort auf gesellschaftliche Kontroversen“, befand Keyvan Taheri, der Landeschef der Partei, und lenkte damit das Augenmerk auf die eigentliche Kernfrage. Die lautet: Wie kann die Politik verhindern, dass Impfskeptiker:innen aus dem bürgerlichen Spektrum sich zunehmend radikalisieren, bis hin zur Anwendung von Gewalt?
Der Ton wird rauer, die Bewegung radikalisiert sich
Denn auch wenn Rechtsextreme bei den Hamburger Demos mitmarschieren, Judensterne mit einem „Ungeimpft“-Aufdruck und Spruchbänder, die eine „Corona-Diktatur“ beschreien, schwer hinnehmbare Begleiterscheinungen der Hamburger Impfgegner:innen-Demos bleiben, so sind sich die meisten politischen Beobachter doch einig: Anders als in Sachsen oder Thüringen geht hier vor allem das bürgerliche Milieu, das gar bis in links-alternative Kreise hineinreicht, auf die Straße. Noch ist es weder der AfD noch der NPD und anderen Rechtsextremen gelungen, den Aufmärschen ihren Stempel aufzudrücken. Doch der Ton wird rauer, die Bewegung radikalisiert sich aus sich selbst heraus und grenzt sich vor allem in keiner Form von den Ultrarechten ab, die mitmarschieren.
Der Autor Andreas Speit, Verfasser des Buches „Verqueres Denken“, sieht wachsende inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen den bürgerlichen Demonstrant:innen und denen aus dem rechten Lager. Beide würden dem Staat kein Wort mehr glauben und die demokratischen Verhältnisse pauschal infrage stellen. Auch das Beharren auf eigene individuelle Freiheitsrechte, dort wo das Individuum zurückstecken müsse, um solidarisch den Schutz aller zu gewährleisten, sei den verschiedenen miteinander demonstrierenden Milieus gemeinsam.
Impflicht wird Radikalisierung befördern
Ob die Radikalisierung durch Demo-Verbote gestoppt oder beschleunigt wird, ist offen. Eine Impfpflicht – auch wenn sie notwendig sein sollte – aber wird eine Radikalisierung befördern. Genau wie die falschen Zahlen, mit denen die Sozialbehörde zu belegen suchte, dass die Inzidenz unter Ungeimpften dreißig Mal so hoch sei wie die der Geimpften, und die sich als völliger Mumpitz erwiesen.
Die Spaltung der Gesellschaft scheint kaum zu kitten. Die Ungeimpften fühlen sich zu Sündenböcken gestempelt, die Geboosterten bedroht, wenn sie Impfgegner:innen im öffentlichen Raum nicht aus dem Weg gehen können. Immer wieder kann man erleben, wie Impfbefürworter eine gewisse Schadenfreude entwickeln, wenn mal wieder ein:e prominente:r Corona-Leugner:in dem Virus zum Opfer gefallen ist, und Impfgegner:innen Genugtuung empfinden, wenn sich auch mal jemand, der geboostert ist, infiziert.
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