Darüber wird die Koalition in Hamburg 2023 streiten
Schon 2022 zeigte Hamburgs rot-grüne Koalition starke Abnutzungserscheinungen – und die werden im kommenden Jahr nicht geringer, schreibt MOPO-Kolumnist Marco Carini. Bei welchen Themen es garantiert Zoff gibt und was innerhalb der Parteien das meiste Konfliktpotential hat.
Schon 2022 zeigte Hamburgs rot-grüne Koalition starke Abnutzungserscheinungen – und die werden im kommenden Jahr nicht geringer, schreibt MOPO-Koluminist Marco Carini. Bei welchen Themen es garantiert Zoff gibt und was innerhalb der Parteien das meiste Konfliktpotential hat.
Der Streit um eine effektive Klimapolitik, die Verklappung des Hafenschlicks oder die Zukunft des Bildungssystems und des Wohnungsbaus werden die Koalition auch 2023 beschäftigen. Zudem wirft die Europa- und Bezirkswahl im Mai 2024 ihre Schatten voraus, bei der SPD und Grüne nach Wahlumfragen Kopf an Kopf liegen. Der Umgang miteinander wird deshalb noch ruppiger werden. Da helfen auch keine guten Neujahrs-Vorsätze! Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) wird gefordert sein, die Fliehkräfte der Koalition abzuschwächen.
In den Bezirken droht Dauerärger zwischen SPD und Grünen
Besonders in den Bezirken droht ein rot-grüner Dauerzwist: In Wandsbek hängt die auf eine Stimme Mehrheit geschrumpfte Koalition am seidenen Faden, in Eimsbüttel sind sich Rot und Grün nach der gescheiterten Bezirksamtsleiterwahl spinnefeind. In Bergedorf braucht es nur einen Funken, damit die dortige Ampel, die wegen der Verkehrsplanung im neuen Mega-Stadtteil Oberbillwerder im Dauerclinch liegt, explodiert. Dass dies 2023 passiert, ist nicht unwahrscheinlich, denn SPD und FDP verbindet mit den Grünen nur noch gegenseitige Antipathie.
Zudem hat jede der beiden Parteien 2023 einige ungelöste Probleme vor der Brust: personelle und inhaltliche. Der SPD droht ihr Lieblingsthema „Wir sind beim Wohnungsbau Spitze“ aufgrund der gestiegenen Baukosten, des Handwerkermangels und der fehlenden Förderung für energetische Standards wegzubrechen. Die Neubauzahlen für 2022, die demnächst vorgestellt werden, dürften noch einmal ganz passabel sein, doch danach droht der jähe Absturz.
Holsten-Areal braucht klare Perspektive
Die neue Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) ist also gefordert. Sie muss im kommenden Jahr auch endlich eine klare Perspektive für die Bebauung des Altonaer Holsten-Areals durchsetzen, will sie nicht gleich im ersten Amtsjahr kräftig Gegenwind bekommen. Zudem muss die SPD, die die Sozialsenatorin und den Finanzsenator stellt, bei neuen Entlastungspaketen den Beweis antreten, dass sie die Geringverdienenden im Blick hat. Diese werden durch Energiekrise und Inflation existentiell belastet, und aufgrund der angespannten Haushaltslage kommen mit der Gießkanne ausgeschüttete Hilfspakete, die auch die Bessergestellten entlasten, kaum noch infrage.
Den Grünen könnte schon bald ihre Problem-Personalie auf die Füße fallen: Justizsenatorin Anna Gallina. Der für 2023 zu erwartende Prozess gegen den Vater ihres jüngsten Sohnes, Michael Osterburg, bringt sie in die Bredouille. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ex-Grünen-Politiker vor, private Restaurantbesuche mit Gallina widerrechtlich als Spesen abgerechnet zu haben – damit hätte die Senatorin von diesen Straftaten aktiv profitiert. Zudem muss sie erklären, wieso sie jahrelang nicht bemerkte, dass sich Osterburg laut Anklageschrift regelmäßig Bewirtungsbelege für diese Restaurantbesuche ausstellen ließ und damit den mutmaßlichen Betrug in ihrer Gegenwart einfädelte. Es wird für Gallina noch einmal ganz eng werden – ob ihre Partei sie weiter bedingungslos stützt, wird sich erst noch zeigen.
CDU-Spitzenkandiat muss aus dem Schatten von Ploß treten
Die CDU hingegen muss sich als größte Oppositionsfraktion 2023 neu aufstellen – mit dem Rückenwind verbesserter Wahlumfragen, die sie bei immerhin 20 Prozent sehen. Spitzenkandidat Dennis Thering muss dabei aus dem Schatten des Vorsitzenden Christoph Ploß treten, der als selbsternannte Speerspitze gegen das Gendern der deutschen Sprache durch die Talkshows tourt. Während der innerparteilich durchaus umstrittene Friedrich-Merz-Fan streng konservative Wähler:innen an die CDU bindet, gilt Thering als moderat und Mann der deutlich leiseren Töne.
Wer Poltergeist Ploß mag, wird mit Thering wenig anfangen können – was auch umgekehrt gilt. Und während Thering sich vorstellen kann, als Juniorpartner der Grünen mal wieder mitzuregieren, vergrault Ploß diese mit permanenten antigrünen Attacken. Wie die „Doppelspitze“ Ploß/Thering in Zukunft funktionieren soll, darüber werden sich die CDU-Strateg:innen 2023 den Kopf zerbrechen.
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Auch die anderen Oppositionsparteien werden im beginnenden Jahr mit sich selbst beschäftigt sein: Während die Linken-Fraktion pragmatische Politik betreibt, die auch vom politischen Gegner durchaus gelobt wird, sind Linken-Parteitage Inszenierungen der Selbstzerfleischung. An dieses Niveau arbeitet sich langsam auch die FDP heran, deren Galionsfigur in der Bürgerschaft, Anna von Treuenfels, mit Parteichef Michael Kruse über Kreuz liegt – dieser Machtkampf wird die FDP auch 2023 spalten. Und die AfD wird sich weiter jeder neuen Schwurbler:innen-Welle andienen, um ihr politisches Überleben zu sichern.