Bezahlkarte in Hamburg: Dieser Alleingang sorgt für Ärger
Die Grünen wollen sie nicht, soziale Einrichtungen auch nicht und selbst einige Jusos üben Kritik: Es geht um die Regeln, die mit der Bezahlkarte für Asylbewerber in Hamburg einhergehen. Schon im Vorfeld war man sich im rot-grünen Rathaus uneins. Mit der Einführung wurde klar: Die SPD hat hier einen Alleingang gestartet – das sorgt für Knatsch in der Koalition.
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Die Grünen wollen sie nicht, soziale Einrichtungen auch nicht und selbst einige Jusos üben Kritik: Es geht um Regeln, die mit der Bezahlkarte für Asylbewerber in Hamburg einhergehen. Schon im Vorfeld waren sich die Fraktionen im rot-grünen Rathaus uneins. Mit der Einführung wurde klar: Die SPD hat hier einen Alleingang gestartet – das sorgt für ordentlich Knatsch.
Anstelle von Bargeld erhalten Asylbewerber in der Erstunterkunft seit rund einer Woche eine Plastikkarte, die sogenannte „Social Card“. 134 dieser Karten sind bisher laut Sozialbehörde ausgegeben worden (Stand 22.02.). Das Pilotprojekt soll Aufwand bei der Ausgabe von Bargeld in den Ämtern vermeiden. SPD und Grüne finden das grundsätzlich beide gut – Regeln für die Karte lehnen die Grünen aber strikt ab.
Hamburgs rote Innen- und Sozialbehörde hätten ihre Vorstellungen schnell entgegen aller Bedenken durchgedrückt, hört man von verschnappten Grünen. Soziale Träger und sogar Teile der Jusos sind ebenfalls unzufrieden. Die Debatte ist umso bedeutender, weil bald bundesweit eine Bezahlkarte eingeführt wird.
Social Card: Diese Regeln sind strittig
Um welche Regeln geht es? Auf der Social Card befinden sich insgesamt 185 Euro für den persönlichen Bedarf. 50 Euro Bargeld können pro Monat abgehoben werden, für Minderjährige jeweils 10 Euro. Dabei fallen Gebühren an: Am Geldautomaten sind es zwei Euro. In Geschäften ist die Abhebung ab einem Einkauf von fünf bis zehn Euro kostenlos.
Wo Visa akzeptiert wird, etwa im Supermarkt oder beim Friseur, kommt die Karte zum Einsatz. Im Ausland, im Online-Handel, für Geldtransfers oder Glücksspiel funktioniert die Karte nicht. Verhindern wollen die Behörden damit, dass Asylbewerber staatliche Leistungen an Freunde oder Familie im Ausland schicken. Ob und in welchem Umfang sie dies tatsächlich tun, dazu hat die Bundesregierung bis heute nach „Spiegel“-Informationen keine Daten vorliegen.
Diakonie Hamburg: „Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“
„Es gibt viele Stellen, wo eine Kartenzahlung nicht möglich ist – gerade in Sozialkaufhäusern, bei der Tafel oder auch die Waschmarken bei Fördern und Wohnen – 50 Euro sind dann schnell weg”, kritisiert Mareike Engels, Sozialexpertin der Grünen.
Unmut gibt es auch bei der Diakonie: Eine eigenständige Lebensgestaltung werde „erschwert“ und die Karte biete „Möglichkeiten weiterer Einschränkungen durch die Behörden“, heißt es auf MOPO-Anfrage. Dass man nur 50 Euro abheben darf, sei nicht nachvollziehbar und ein „grober Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“.
Heiko Habbe, Rechtberater bei Fluchtpunkt Hamburg, sagt: „Schauen Sie sich an, wer vorrangig nach Deutschland kommt, das sind Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Jeder hat gute Gründe, dort wegzugehen, und das sind nicht 185 Euro auf einer Plastikkarte.“
Innen- und Sozialbehörde: „Verwaltungsentscheidung“
Die Social Card ist bereits vor der aktuellen Debatte um Anreize für Asylbewerber auf den Weg gebracht worden, argumentieren die Sozial- und Innenbehörde auf MOPO-Anfrage. „Dementsprechend handelt es sich hierbei um eine reine Verwaltungsentscheidung. Ein Einbezug der Bürgerschaft war vor diesem Hintergrund nicht notwendig“, so die Behörden.
Von einer „guten Akzeptanz“ bei den Nutzerinnen und Nutzern ist weiterhin die Rede. „Sie sind erleichtert, dass sie gleich etwas in der Hand haben und nicht erst einen Bescheid bekommen, mit dem sie zu einem anderen Ort gehen, warten müssen und erst dann Geld bekommen“, so eine Sprecherin. Die 50 Euro Bargeld würden sich am Sozialgesetzbuch orientieren. Dort steht, dass volljährige Personen „mindestens 27 Prozent“ des Regelbedarfs als Bargeld erhalten sollen. Das wären aktuell mindestens 55 Euro.
Zur Anwendung der entsprechenden App gebe es regelmäßig bei der Ausgabe „kleinere technische Fragen“. Von sozialen Einrichtungen habe es bisher nur wenige Anfragen gegeben, die alle beantwortet werden konnten. Das Projekt werde laufend evaluiert, um kurzfristige Änderungen vornehmen zu können.
SPD: „Wir haben die Fachzuständigkeit“
Aus SPD-Kreisen hört man Worte wie „Wahlkampf“ und „Klientelpolitik“ wenn es um den Ärger der Grünen geht. „Es gab zur Bezahlkarte sicherlich unterschiedliche Meinungen, wir haben da die Fachzuständigkeiten und einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz“, sagt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Und: „Wir verstehen die staatlichen Leistungen nicht als Teil der Entwicklungshilfe, sie sollen den Menschen hier vor Ort zugutekommen.“
Die Bezahlkarte sei an sich nicht „stigmatisierend“, für staatliche Leistungen müsse sich niemand schämen. Doch nicht alle Sozialdemokraten sehen das so. In einem Instagram-Beitrag, bezeichnen die Jusos in Wandsbek und Altona die Regeln der Karte genau so. Innerparteilich gibt es wohl Klärungsbedarf.
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Die Grünen hoffen, dass sich aus dem Pilotprojekt jetzt noch Änderungen ergeben. Dirk Kienscherf zeigt sich dafür abschließend zumindest offen: „Wir schauen, wie sich die Bezahlkarte in der Praxis bewährt und werden gegebenenfalls nachjustieren. Im Gespräch ist etwa der Online-Handel.“