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  • „Piccadilly“-Betreiber Herbert Wisnewski und sein Ehemann Uwe Burmester haben den Lockdown überstanden.  
  • Foto: Patrick Sun

„Piccadilly“: So hat Hamburgs älteste Schwulenkneipe den Lockdown überlebt – vorerst

St. Pauli –

An der Decke baumeln Hunderte Kaffeekannen, in einer Ecke hängt ein Bild von Männern mit sehr dicken Penissen: auf den ersten Blick hat sich im „Piccadilly“ nichts verändert durch die Corona-Zwangspause. Hamburgs älteste Schwulenkneipe auf dem Kiez hat den Lockdown (vorerst) überstanden. Nach wochenlanger Schließung konnte der Laden am 13. Mai wieder unter Auflagen öffnen. Betreiber Herbert Wisnewski und sein Ehemann Uwe Burmester hoffen, dass damit das Schlimmste überwunden ist. Doch die Kultkneipe wird auch nach dem Lockdown weiter auf die Probe gestellt: Denn jetzt müssen auch die Besucherzahlen stimmen.

Im „Piccadilly“ wurde das aufkommende Coronavirus schon sehr ernst genommen, noch bevor die Stadt Maßnahmen ergriffen hatte. „Schon vor der amtlichen Schließung haben wir auf Abstand und Mundschutz hingewiesen, doch das wurde von einigen Gästen ins Lächerliche gezogen. ‚Ihr macht euch zu viele Gedanken, das ist doch nur eine harmlose Erkältungskrankheit‘, hieß es. Wir haben wirklich dafür arbeiten müssen, damit die Leute Schutzmaßnahmen einhalten“, erzählt Uwe Burmester der MOPO.

„Piccadilly“: So hat Hamburgs älteste Schwulenkneipe den Lockdown überlebt

Als die behördliche Schließung kam, war dieses Thema erstmal erledigt: Es wurde Kurzarbeit angemeldet und für drei Monate Corona-Soforthilfe angefordert. „Ohne die wären wir sehr angeschlagen gewesen“, sagt Uwe Burmester. Die laufenden Kosten konnten damit abgedeckt werden, doch die Miete und der fehlende Betrag für die Mitarbeiterlöhne mussten aus eigener Tasche beigesteuert werden. Ohne die Soforthilfe hätte der Betrieb, der erst kürzlich sein 60-jähriges Jubiläum feierte und zuvor noch nie länger hatte dicht bleiben müssen, wohl geschlossen werden müssen.

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Die Verkündung für die mögliche Wiederöffnung kam für die Betreiber überraschend – und setzte der Perspektivlosigkeit erstmal ein Ende. „Wir sind nicht davon ausgegangen, dass wir vor August oder September wieder öffnen können“, so Uwe Burmester. Doch neben der Hoffnung machte sich vor allem auch ein wenig Unbehagen breit: Herbert Wisnewski und sein Mann sind skeptisch, dass die mögliche Wiederöffnung der Barszene die richtige Entscheidung gewesen ist – sie rechnen mit einer zweiten Infektionswelle.

Hamburgs älteste Schwulenkneipe: Besucheransturm bleibt aus

Trotzdem entschlossen sich die Betreiber dazu, das „Piccadilly“ am 13. Mai wieder zu öffnen. „Wir waren auf die Verkündung nicht gefasst und mussten einige Vorbereitungen treffen, konnten dann aber am Mittwochabend öffnen“, erzählt Uwe Burmester. Zu den Auflagen gehören die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern und die regelmäßige Desinfektion von Türklinken und Co. Zudem dürfen aus zwei Haushalten maximal zehn Personen zusammensitzen und das Personal muss Mundschutz tragen – gewöhnungsbedürftig in einer Raucherkneipe, findet Uwe Burmester.

Video: So feierte das „Piccadilly“ 60-jähriges Jubiläum 

Die Einstellung der Gäste hat sich, was Masken und Abstandhalten betrifft, offenbar geändert: „Die Akzeptanz ist jetzt auf jeden Fall da. Man ist wohl doch inzwischen gewarnt, das Virus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“, heißt es weiter. Wie es künftig aussieht, bleibe abzuwarten.

Der erste Abend sei sehr gut besucht gewesen, viele Stammgäste schauten wieder vorbei. Auch am Donnerstag sei noch viel los gewesen, doch zum Wochenende hin ebbte der Ansturm bereits ab – die Luft schien raus zu sein. „Falls das so bleibt, würde sich das Ganze zum Jahresende zur Schließung hinbewegen“, sagt Uwe Burmester. „Wenn das finanzielle Polster aufgebraucht ist und man Gefahr läuft, sich zu verschulden, war’s das.“

„Piccadilly“: Darum ist die Bar für Hamburgs Schwulenszene so wichtig

Das „Piccadilly“ ist Kult: Viele Prominente wie Hilde Sicks, Angelika Milster und Costa Cordalis haben in der winzigen Kneipe in der Silbersacktwiete schon die Abende verbracht, die Bar war für viele schwule Hamburger in den 60ern der einzige Ort, wo sie dem Verbot der gleichgeschlechtlichen Liebe entkommen konnten. 

Doch viel ist von der einst so bunten Landschaft an Schwulenkneipen auf St. Pauli nicht mehr übrig geblieben. Und obwohl sich die Zeiten geändert haben, hat sich das „Piccadilly“ über die Jahre hinweg hartnäckig gehalten. „Als reine Schwulenkneipe kann man heute eigentlich nicht mehr existent sein. Die Szene geht ja inzwischen auch in die normale Gastronomie. Wir sind wie ein Dinosaurier, der durch die Historie noch seine Berechtigung hat – aber Neubetriebe dieser Art haben sehr zu kämpfen“, sagt Uwe Burmester.

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Er ist bereits seit zehn Jahren ein Teil des „Piccadilly“, und hat ebenso wie sein Mann Herbert Wisnewski die Veränderungen auf dem Kiez miterlebt. Viele Clubs und Bars stehen aufgrund der Coronakrise kurz vor dem Aus – das Wegbrechen der Vielfalt hätte fatale Folgen. Er sagt: „Es würde weniger Publikum anziehen, wenn nur noch die ganz Großen, die ausreichend finanzielle Polster haben, übrig blieben. Der Mix verschiedener Genres macht Hamburgs Club- und Barszene ja aus. St. Pauli entwickelt sich eh schon zur Döner-Fressmeile – das Wegbrechen weiterer Institutionen würde den Kiez noch mehr zerstören.“

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