Expertin erklärt: Darum sind die Corona-Demos nicht so friedlich, wie sie scheinen
Mehr als 14.000 Menschen gingen am vergangenen Wochenende bei den Protesten gegen Impfungen und Corona-Maßnahmen auf die Straße, auch dieses Wochenende wurden bis zum Demoverbot wieder Tausende erwartet. Die Hamburger Polizei sprach nach der letzten Demo mit Blick auf die Teilnehmer:innen von einem „deutlich überwiegenden Anteil aus dem bürgerlichen Spektrum“. Sozialpsychologin Pia Lamberty, die zu Verschwörungstheorien forscht und die Proteste von Beginn an wissenschaftlich begleitet hat, sieht das kritisch. Im MOPO-Interview erklärt sie, wer da auf die Straße geht, warum sie Eskalationspotential sieht – und was ihr besondere Bauchschmerzen bereitet.
Frau Lamberty, lag die Hamburger Polizei mit ihrer Einschätzung, das Teilnehmerspektrum der letzten Corona-Demo sei überwiegend bügerlich gewesen, falsch?
Pia Lamberty: Ich frage mich immer, was die Datengrundlage der Polizei ist, um von einem „bürgerlichen Spektrum“ zu sprechen. Häufig bedeutet das, dass man aufgrund von Äußerlichkeiten darauf schließt, wer nun welchem Lager zuzurechnen ist – es sei denn, die Person ist einschlägig behördlich bekannt. Bei Protesten, die wie die letzten Großdemos in Hamburg bewusst darauf angelegt sind, dass sie bürgerlich erscheinen sollen, ist das schon problematisch.
Mehr als 14.000 Menschen gingen am vergangenen Wochenende bei den Protesten gegen Impfungen und Corona-Maßnahmen auf die Straße, auch dieses Wochenende wurden bis zum Demoverbot wieder Tausende erwartet. Die Hamburger Polizei sprach nach der letzten Demo mit Blick auf die Teilnehmer:innen von einem „deutlich überwiegenden Anteil aus dem bürgerlichen Spektrum“. Sozialpsychologin Pia Lamberty, die zu Verschwörungstheorien forscht und die Proteste von Beginn an wissenschaftlich begleitet hat, sieht das kritisch. Im MOPO-Interview erklärt sie, wer da auf die Straße geht, warum sie Eskalationspotential sieht – und was ihr besondere Bauchschmerzen bereitet.
Frau Lamberty, lag die Hamburger Polizei mit ihrer Einschätzung, das Teilnehmerspektrum der letzten Corona-Demo sei überwiegend bügerlich gewesen, falsch?
Pia Lamberty: Ich frage mich immer, was die Datengrundlage der Polizei ist, um von einem „bürgerlichen Spektrum“ zu sprechen. Häufig bedeutet das, dass man aufgrund von Äußerlichkeiten darauf schließt, wer nun welchem Lager zuzurechnen ist – es sei denn, die Person ist einschlägig behördlich bekannt. Bei Protesten, die wie die letzten Großdemos in Hamburg bewusst darauf angelegt sind, dass sie bürgerlich erscheinen sollen, ist das schon problematisch.
Wer geht aus Ihrer Sicht bei den Protesten auf die Straße?
Lamberty: Mein Eindruck ist, dass sich bei den aktuellen Protesten in Hamburg und bundesweit Menschen versammeln, die vereint sind in Wissenschaftsfeindlichkeit, einem populistischen Weltbild und einer Offenheit für Verschwörungsnarrative. Gleichzeitig haben die Teilnehmer:innen kein Problem damit, mit Rechten und Rechtextremen zu demonstrieren – es ist ja bekannt, dass diese auch daran teilnehmen. Da wird immer wieder verharmlost, dann heißt es: Wir sind die Mitte.

Woher kommt diese Bereitschaft, mit Rechtsextremen zu demonstrieren?
Lamberty: Viele Teilnehmer:innen, die sich selbst nicht explizit als „rechts“ bezeichnen würden, sind zumindest ideologisch anschlussfähig, haben kein Problem mit entsprechenden Positionen oder nehmen diese nicht als bedrohlich war. Im bürgerlichen Spektrum wird die Teilnahme von Rechtsextremen an den Protesten häufig einfach negiert.
Corona macht Aschlussfähigkeit an rechte Positionen augenscheinlich
Sie haben die Anschlussfähigkeit an rechte Positionen angesprochen. Hat sich das Spektrum derer, die offen dafür sind, durch Corona verbreitert?
Lamberty: Ich bin mir nicht sicher, ob es sich verbreitert hat – oder ob uns jetzt mehr entgegenschlägt, welche Probleme es in unserer Gesellschaft auch gibt. Es ist ja kein neues Phänomen, dass es hohe Zustimmungswerte zu populistischen oder demokratiefeindlichen Äußerungen gibt, das zeigen repräsentative Umfragen schon seit Jahrzehnten. Aber in der Pandemie wird das augenscheinlicher.
Gilt das auch für verschwörungstheoretische Positionen, die auf den Demos verbreitet werden?
Lamberty: Dadurch, dass die Pandemie unseren Alltag stark bestimmt, ist bei Menschen mit einer Affinität zum Verschwörungsdenken, zu Populismus und Wissenschaftsfeindlichkeit der Handlungsdruck gestiegen, ihre Ideologie auch in die Tat umzusetzen – indem sie diese bei den Protesten auf die Straße bringen. Es gibt da ja einen relevanten Anteil unter den Teilnehmer:innen, der zuvor nie auf Demos war, der nie politisch tätig war, es aber jetzt ist. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass es hier nicht vorher schon eine Anschlussfähigkeit gegeben hat.
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Bei den Protesten und auch bei Diskussionen in den sozialen Netzwerken stellt man fest: Vielen ist mit wissenschaftlichen Argumenten nicht mehr beizukommen. Woran liegt das?
Lamberty: Das liegt daran, dass man als Teil der angeblichen Verschwörung ausgemacht wird – und dementsprechend ist den Anhänger:innen solcher Theorien egal, was man sagt. Bei Menschen mit einer starken Wissenschaftsfeindlichkeit oder einer Affinität zu verschwörungsideologischem Denken stellen wir häufig ein gewisses Weltbild fest. Eines, in dem es auf der einen Seite das absolut Böse gibt: Da ist dann nicht von schlechter Politik, Missmanagement oder Frust über Maßnahmen die Rede – sondern man geht von einer abgrundtief bösen Politik aus, von einer gesteuerten Presse. Das führt bei den Akteur:innen im Gegenzug dazu, dass diese sich selbst auf der absolut guten Seite sehen. Das sehen wir auch bei den Protesten, bei denen postuliert wird: Wir sind die rote Linie, wir sind das Volk, wir sind die Menschheitsfamilie – und ihr seid der Feind.
Bei den Protesten ist auf vielen Plakaten und Parolen auch von „Freiheit“ die Rede.
Lamberty: Es gibt verschiedene Begriffe, die genutzt und populistisch umgedeutet werden, „Freiheit“ oder „Frieden“ gehören dazu. Hier ist wichtig, dass man genau hinschaut: Welche Idee steckt eigentlich dahinter? Zum einen geht es darum, zu suggerieren, dass wir unfrei wären, dass die Demokratie abgeschafft worden wäre, dass man auf dem Weg in den Faschismus sei. Gleichzeitig wird die individuelle Freiheit über die aller anderen gestellt. Es geht dann nicht darum, als Gesellschaft gut durch die Pandemie zu kommen, dass so wenig Menschen wie möglich erkranken oder gar versterben, dass man durch eine Impfung sich und andere schützt. Sondern es geht darum: Ich will so handeln, wie ich es möchte, ohne Konsequenzen. Und das ist natürlich ein falsches Verständnis, auch von demokratischen Prozessen und gesellschaftlichen Zusammenhängen.
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Pia Lamberty rechnet mit Radikalisierung der Proteste – auch in Hamburg
Große Demos wie die in Hamburg sind augenscheinlich bislang friedlich verlaufen, das sagt auch die Polizei.
Lamberty: Zum einen bleiben die Demonstrationen augenscheinlich friedlich, weil es ja auch keine flächendeckende Reaktionen durch die Polizei und Sicherheitsbehörden gibt: Würde man beispielsweise die Maskenpflicht konsequent durchsetzen, hätte man da wahrscheinlich andere Bilder, weil es da schon ein Aggressionspotential gibt. Dazu kommt, dass auch bei den Protesten, die aus Sicht der Polizei friedlich verlaufen, ja trotzdem menschenverachtende Ideologien immer wieder eine Rolle spielen: Entweder im Sinne der Verbreitung von Antisemitismus, dass eben Rechtsextreme mit aufmarschieren. Deshalb tue ich mich mit dem Begriff „friedlich“ schwer, auch wenn es keine augenscheinlichen Gewaltexzesse gibt.

Erwarten Sie eine Radikalisierung der Protestbewegung?
Lamberty: Ich finde das aktuelle Geschehen schon gefährlich. Es liegt leider in der Natur der Sache, dass diese Proteste radikaler werden, das sehen ja auch die Sicherheitsbehörden so, beispielsweise auch in Hamburg. Solche Proteste machen etwas mit Menschen, die feuern an: Man kommt zurück und hat das Gefühl, man ist eine Gemeinschaft. Es findet eine gewisse Selbstermächtigung statt mit Umsturzgedanken, die der Demokratie widersprechen. Zusätzlich macht mir die Omikron-Welle Sorgen, es wird ja auch bei Polizei und Sicherheitsbehörden mit zunehmender Zahl der infizierten zu Ausfällen kommen. Da ist die Frage, inwieweit sie dann überhaupt noch dazu kommen, die Proteste einzufangen – alleine durch die Zahl der Polizisten, die zur Verfügung stehen.
Werden die Proteste unterschätzt?
Lamberty: Ja, und das macht mir Bauchschmerzen. Man sieht bundes- und europaweit eine Mobilisierung, auf die sich die Akteure wechselseitig beziehen. Man fühlt sich bekräftigt durch das, was bei anderen Demos passiert, hat das Gefühl, man kann einen Systemsturz herbeiführen. Gleichzeitig tut sich die Gesellschaft mit einer Einordnung dessen, was da passiert, schwer. Das sind ähnliche Dynamiken, die man bei den Pegida-Protesten auch gesehen hat. Pegida war gerade für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund eine reale Gefahr, es kam vermehrt zu Übergriffen. Auch jetzt sehen vermehrt Bedrohungen und Augriffe auf Wissenschaftler:innen, impfende Ärzt:innen oder Journalist:innen, die von den Demos berichten. Und auch im Alltag erleben viele Menschen Aggressionen – beispielsweise wenn sie andere darauf aufmerksam machen, bitte eine Maske zu tragen, wenn sie die Maßnahmen durchsetzen müssen. Da ist ein gewisses Aggressionspotential, was gerade in der Gesellschaft zutage tritt.