Wie der Obdachlose Peter (76) auf dem Hamburger Flughafen lebt
Mit 76, da sollte Peter eigentlich mit seinen Enkeln spielen und im Seniorentreff mit anderen Rentnern Skat kloppen. Kurz: Er sollte seinen Lebensabend genießen können. Stattdessen sammelt Peter von früh bis spät Pfandflaschen und haut sich dann abends auf dem blanken Steinfußboden aufs Ohr. Immerhin ist es da, wo er wohnt, warm und trocken. Denn sein Zuhause ist der Helmut-Schmidt-Airport.
Er ist 76 Jahre alt, sollte eigentlich mit seinem Enkel Fußball spielen, im Seniorentreff mit anderen Rentnern Skat kloppen, seinen Lebensabend genießen. Stattdessen sammelt Peter von früh bis spät Pfandflaschen und verbringt seine Nächte auf einer Wolldecke, die er auf einem blanken Steinfußboden ausbreitet. Als Kopfkissen dient der Rucksack. Immerhin ist es da, wo Peter schläft, warm und trocken. Denn sein Zuhause ist der Helmut-Schmidt-Airport.
Ein Leben auf dem Flughafen – bei diesem Stichwort wird vielen sofort der Film „The Terminal“ einfallen, ein Hollywoodstreifen, in dem Tom Hanks einen Touristen spielt, der im New Yorker „JFK“-Airport landet, aber dann weder einreisen noch zurückkehren kann, weil sein Pass aufgrund eines Bürgerkriegs in seiner Heimat plötzlich nicht mehr gültig ist. Eine wahre Geschichte, die auf dem Schicksal des Iraners Mehran Karimi Nasseri beruht, der auf dem Pariser Flughafen „Charles de Gaulle“ strandete und dort 18 Jahre blieb.
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Bei Peter sind es bislang fünf Monate. Auch Peter ist gestrandet, aber auf ganz andere Weise. Er kam nicht als Tourist in den Airport. Der Hamburger lebte früher in der Ruscheweyhstraße in Hummelsbüttel, bevor er obdachlos wurde und eine neue Bleibe brauchte. Vor zwei Jahren war das.
Der Tod seiner Frau hat Peter vor zwei Jahren total aus der Bahn geworfen
Wer ist Peter? Wie ist es so weit gekommen? Wie können wir ihm helfen?
Einen Tag lang begleiten wir ihn, sind mit dabei, wie er unten auf dem S-Bahn-Gleis Pfandflaschen sammelt, sie beim Edeka-Markt oben im Flughafenterminal abgibt und sich von dem Geld, das er dafür bekommt, was zu essen kauft. Zwischendurch erzählt er dem Reporter stundenlang aus seinem Leben.

Geboren ist er 1947 in dem Ort Barnewitz im Landkreis Havelland in Brandenburg. Er und seine beiden Brüder waren noch klein, als der Vater, ein ehemaliger Volkspolizist, mit der Mutter und den Kindern in den Westen flüchtete. Das war noch vor dem Mauerbau.
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„Seit 1959 lebe ich in Hamburg“, erzählt Peter. „Ich wollte gerne Koch oder Konditor werden, aber wegen meines Rückens konnte ich diese Berufe nicht ergreifen. Ich habe dann Friseur gelernt, obwohl ich darauf keine Lust hatte. Nach der Lehre habe ich erst als Kraftfahrer gearbeitet, habe Brot ausgefahren. Dann war ich auch mal in einem Galvanik-Betrieb tätig und später als Lackierer im Regalbau. Zuletzt war ich Teamleiter bei Rossmann, habe Regale aufgefüllt.“
Peter ist nicht einzige Obdachlose im Flughafen – einer seiner Kumpel ist sogar 82
Sprich: Er hat ein bürgerliches Leben geführt. Bis zum Tod seiner Frau, mit der er 45 Jahre verheiratet war. Dieses Ereignis hat ihn dann offenbar total aus der Bahn geworfen. Er erzählt, dass er sie jahrelang zuhause gepflegt habe. 2020 sei sie im Krankenhaus St. Georg gestorben.

Seither geht es für Peter auf der Rolltreppe des Lebens nur noch abwärts: Er hat seine Wohnung verloren – wie das das kam, darüber schweigt er sich aus. Er will nicht darüber reden. Er habe dann erst in Langenhorn auf einer Bank übernachtet, sagt er, bis ihm irgendwer erzählt hat, dass der Flughafen auch ein guter Ort sei, um „Platte zu machen“, viel besser jedenfalls als irgendwo unter einer Brücke.
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Was den Flughafen tatsächlich zu einem guten Ort für Obdachlose macht, ist der Umstand, dass es sich dabei um eine Stadt im Kleinen handelt. Alles ist da und eng beieinander: Geschäfte, Imbisse, Klo, jede Menge Menschen, die ihre Flaschen in Müllbehälter werfen. Fast rund um die Uhr ist Betrieb. Dort mit der Masse zu verschmelzen und unterzutauchen, ist kein Problem.
Peter gehört inzwischen zum Inventar: Die S-Bahn-Fahrer kennen ihn, grüßen ihn, plaudern mit ihm. Die Polizisten mögen ihn, die Leute von der S-Bahn-Wache auch. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass Peter ziemlich gepflegt aussieht und nicht trinkt. „Die sagen, wenn ich Hilfe brauche, soll ich mich melden, dann kommen sie.“

Peter ist nicht der einzige Obdachlose, der im Airport zuhause ist. Er erzählt von drei Kumpeln, mit denen er sich den Schlafplatz teilt. Einer sei ein „junger Bengel“ von Mitte 30, einer sei 82, einer Mitte 60.
Da, wo die vier Männer die Nächte verbringen – dort, wo es runtergeht zur S-Bahn, direkt gegenüber vom Fahrkartenautomaten – ist es warm und trocken, allerdings immer hell. Nie wird das Licht gelöscht. „Ich habe mich daran gewöhnt“, sagt Peter. „Ich habe ja die Augen zu, wenn ich penne.“
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Direkt gegenüber vom Fahrkartenautomaten der S-Bahn ist Peters Schlafplatz
Gegen sieben, acht Uhr steht er auf, dann ist „Dienstbeginn“: Dann fängt Peter an, Flaschen zu sammeln. Das geht so: Er wartet, bis eine S-Bahn einfährt, und weil es immer einige Minuten dauert, bis die Bahnen wieder zurückfahren, hat er genügend Zeit, in aller Ruhe Waggon für Waggon, Müllbehälter für Müllbehälter zu durchsuchen.
„Morgens ist die Ausbeute meist noch mau. Da sind die Müllbehälter voll mit Kaffeebechern. Ab Mittag wird es besser.“ Auf drei, vier Einkaufstaschen voll mit Pfandflaschen bringt er es am Tag, sagt er. Im Schnitt 25 Euro. „Damit komme ich gut klar. Eine kleine Rente habe ich ja auch noch.“

„Ich bin zufrieden“, „ich habe Spaß“ – immer wieder lässt Peter solche Bemerkungen fallen. Wir trauen unseren Ohren kaum: Spaß? Ist das sein Ernst?
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Obdachlose haben die Neigung, sich ihre Lage schönzureden. Wer nachfragt, merkt dann sehr bald, dass dieses Leben alles andere als angenehm ist. Peter erzählt, dass er oft Angst habe. Beispielsweise dann, wenn andere Flaschensammler ihn zur Seite schubsen, ihn schlagen, ihm die Beute stehlen. Das kommt fast jeden zweiten Tag vor. Im nächsten Moment spielt Peter alles wieder runter. „Ach, ich komm‘ schon klar.“
Kleidung zum Wechseln hat er nicht. Sind seine Klamotten schmutzig, kauft er neue bei KiK
Früher hatte Peter eine Wohnung, eine Couchgarnitur, einen Fernseher. Nach seiner Zwangsräumung wurde alles eingelagert, inzwischen existiert sicher nichts mehr davon. Jetzt passt Peters ganzer Besitz in einen einzigen Rucksack. Nicht einmal Kleidung zum Wechseln besitzt er. Ist das, was er am Leib trägt, schmutzig, wirft er es weg und kauft sich bei KiK neue Klamotten.
Ob er eigentlich Kinder hat, fragen wir ihn. „Ja, zwei. Ein Mädchen. Einen Jungen.“ Aber er will nicht über sie reden. Angeblich wissen sein Sohn und seine Tochter gar nicht, dass er obdachlos ist.

Wir fragen ihn, was seine Frau sagen würde, wenn sie wüsste, wie er jetzt lebt. „Sie würde mit dem Kopf schütteln.“ Ob er manchmal noch die Ruscheweyhstraße besuche? „Nein. Nie. Zu viele Erinnerungen. Da kommt zu viel wieder hoch.“ Denn da habe er ja mit seiner Frau gelebt. „Das war eine schöne Zeit gewesen.“
Am Ende sagt Peter, dass er sich nach einer eigenen Wohnung sehne. „Viel brauche ich gar nicht. Ein kleines Zimmer, das würde mir reichen. Ein Ort, wo ich schlafen und duschen kann.“
Das Problem ist aber, dass er Hilfe von Behörden ablehnt. „Vor Ämtern habe ich Angst“, sagt er. Wir fragen ihn, warum das so ist, doch er kommt um die Antwort herum, denn in diesem Moment hat die nächste S-Bahn Einfahrt. Peter greift nach seinen Taschen und macht sich bereit für „die Arbeit“, wie er das Flaschensammeln nennt.

Peter wird im Oktober 77 Jahre alt. Eigentlich sollte er mit seinen Enkeln spielen, mit anderen Senioren Skat kloppen, seinen Ruhestand genießen. Aber er lebt als Flaschensammler auf dem Flughafen.
Die MOPO versucht für Peter ein neues Zuhause zu finden. Wir haben bereits Kontakt mit der Sozialen Beratungsstelle im Bezirk Nord aufgenommen und sind dort auf Mitarbeiter gestoßen, die zumindest versprochen haben, Peter im Flughafen aufzusuchen. Hoffentlich führt das zu etwas. Möglicherweise gibt es auch Leser, die Peter helfen wollen. Vielleicht hat jemand sogar ein Zimmer für ihn. Wir stellen gerne den Kontakt her. Mail an: olaf.wunder@mopo.de