Partynacht eskaliert: Prozess mit seltenem Happy End
Nach einer durchzechten Nacht sitzt Carlton W. in der S3 und wird von einer Gruppe junger Männer angepöbelt. Wenige Minuten später wird er am Bahngleis der Station Harburg Rathaus verprügelt und zusammengetreten. Jetzt mussten sich die Schläger vor dem Amtsgericht verantworten. Die Strafe überrascht – und auch der Richter scheint ziemlich baff zu sein.
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Nach einer durchzechten Nacht sitzt Carlton W. in der S3 und wird von einer Gruppe junger Männer angepöbelt. Wenige Minuten später wird er am Bahngleis der Station Harburg Rathaus verprügelt und zusammengetreten. Jetzt mussten sich die Schläger vor dem Amtsgericht verantworten. Die Strafe überrascht – und auch ein ganz besonderer Vorfall.
Nur selten kommt es vor, dass sich Opfer und Täter vor Gericht umarmen. Doch als Richter Dr. Gies am Donnerstag im Amtsgericht Harburg den Angeklagten fragt, ob er dem Opfer noch etwas sagen möchte, passiert genau das.
„Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Der Mann, den du in dieser Nacht kennengelernt hast, das bin nicht ich“, sagt Familienvater Jaimill B. (30) – und streckt Carlton W. die Hand hin. Dieser lächelt, meint „alles gut, Mann“ und holt zu einer Umarmung aus.
Von derartiger Zuneigung waren die beiden am 11. Mai 2019 weit entfernt. An diesem Samstagabend stiegen Jaimill B., der zweite Angeklagte Janek S. (28) sowie drei Freunde, so berichten sie, stark angetrunken in die S3. Auf dem Kiez hätten sie sehr viele Flaschen Schnaps konsumiert – das könnte die Erinnerungslücken erklären, die im Laufe des Prozesses immer wieder zum Vorschein treten.
Provoziert, verprügelt und zu Boden getreten
Carlton W. lehnte zum dem Zeitpunkt – ebenfalls betrunken – schon schlafend am Fenster der Bahn. Das Prügelopfer erinnert sich, dass es von Jaimill B. mit Provokationen und dann Beleidigungen geweckt wurde, weil er wohl nicht auf ihn reagierte. Um der eskalierenden Situation zu entkommen, stieg Carlton W. gegen 6.20 Uhr an der Station Harburg Rathaus aus – doch die Männer folgten ihm.
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Carlton W. stürzte auf den Bahnsteig, wobei auch nach der Gerichtsverhandlung unklar ist, ob er im Rausch stolperte oder geschubst wurde. Erinnern konnte sich keiner der Anwesenden. Dann sollen die beiden Angeklagten auf den am Boden liegenden Carlton W. eingetreten haben.
Als es ihm gelang, sich aufzurappeln und wegzulaufen, verfolgten ihn die beiden Täter weiter bis zum Ausgang des Bahnhofs und schlugen mehrmals auf das damals 24-jährige Opfer ein. Das zeigen die Aufnahmen der Überwachungskameras.
Richter wertet aufrichtige Entschuldigung strafmildernd
Der Richter verdonnert Jaimill B. und Janek S. zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung. „Sie waren einfach auf Stress aus und wollten Herrn W. verdreschen“, erklärt er. Dabei seien schon Leute gestorben, sagt er weiter: „Das hätte ganz anders enden können.“
Gesenkten Hauptes nicken die beiden Verurteilten. Was ihre Strafe gemildert hat: „Sie haben sich aufrichtig entschuldigt und können dem Opfer gut in die Augen schauen. Das habe ich selten so erlebt“, so der Richter.