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  • Foto: imago images/McPHOTO

Opfer von Vorurteilen: Wie ich selber merkte, wie rassistisch ich eigentlich bin

Kommentar –

Politikjournalist Harald Stutte, Redakteur beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, berichtet in seinem „Standpunkt“ aus seinen Teenagerzeiten in Hamburg und erzählt, wie er in jungen Jahren selbst das „Opfer blöder rassistischer Vorurteile“ wurde. Wir alle sind nämlich beladen mit Vorurteilen. Zur Katastrophe kommt es aber dann, wenn wir nicht bereit sind, uns den Vorurteilen zu stellen und sie zu überwinden.

Als ich ein Teenager war in den 80er Jahren, da habe ich schwarze Menschen ausnahmslos auf Englisch angesprochen – egal wo. Ich fühlte mich superweltläufig damit. Und vertraute darauf, dass das so seine Richtigkeit hat. Denn die einzigen Schwarzen, die ich in Hamburg kannte, waren die jungen Männer, die auf dem Spielbudenplatz zwischen den maroden Zockerbuden herumwuselten und unter ihren riesigen Mützen kleine 20-DM-Portionen Marihuana hervorzauberten.

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Harald Stutte (52), Politik-Redakteur.

Foto:

MOPO

Als Student machte ich dann ein Praktikum bei der „Zeit“ und wurde einem Redakteur zugeteilt, John Kantara, auch er war schwarz. Also stellte ich mich John vor – natürlich auf Englisch. Ich kannte es ja nicht anders. Und der in Bonn geborene Redakteur reagierte pikiert … Was diese Anekdote verdeutlicht: Ich war das Opfer blöder rassistischer Vorurteile geworden: schwarz = englischsprachig = nicht deutsch.

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Ob unsere Gesellschaft rassistisch ist – das zu beurteilen kann nicht Sache der weißen Mehrheitsbevölkerung sein. Weil wir nicht wissen, wie es sich anfühlt, als „People of Colour“ einen Job zu suchen, einen Club zu besuchen. Sie machen Erfahrungen, die wir nie gemacht haben. Und deshalb sollten wir die Kritik, die nicht weiße Mitbürger an unserer Gesellschaft haben, ernst nehmen. Und daraus Schlüsse ziehen.

Rassismus in Hamburg: Wir alle sind beladen mit Vorurteilen

Der oft zitierte Artikel 1 unseres Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ist in dieser Bundesrepublik noch immer die politische Maxime, davon bin ich überzeugt. Da unsere Gesellschaft aber kein statisches, theoretisches Konstrukt, sondern die Summe ihrer Menschen ist, stößt die Würde des Menschen da an Grenzen, wo die Verantwortung des Einzelnen beginnt.

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Denn wir alle, ausnahmslos, sind beladen mit Vorurteilen, die auch rassistisch sind. Was allein keine Katastrophe ist, sondern das Produkt unserer Kulturgeschichte, die nun mal über Jahrhunderte hinweg von einem weißen Überlegenheitsanspruch, von Kolonialismus und Nationalismus geprägt war. So etwas braucht Generationen, bis es getilgt ist. Zur Katastrophe wird es erst dann, wenn wir nicht bereit sind, uns den Vorurteilen zu stellen und sie zu überwinden.

Rassismus: Es prüfe sich jeder selber

Es ist großartig, wenn in diesen Tagen Hamburger auf die Straße gehen, um ihre Anteilnahme am Tod von George Floyd in Minneapolis zu bekunden, gleichzeitig ihre Abscheu gegen den strukturellen Rassismus in den USA unter Donald Trump. Wirklich glaubwürdig ist unsere Empörung aber erst, wenn wir den Alltagstest bestehen. Es geht dabei nicht nur um die großen Ungeheuerlichkeiten, über die sich zu empören uns leichtfällt: über das Opfer, das unter dem Knie eines Polizisten stirbt, über die Schüsse auf eine Synagoge, Hetzjagden auf Nichtdeutsche in der ostdeutschen Provinz. Es sind die kleinen Gemeinheiten im Leben, welche unseren Mitbürgern anderer Hautfarbe in der Summe mitunter größere Schmerzen zufügen als offen artikulierter Hass.

>>Hier lesen: Womit schwarze Menschen in Hamburg konfrontiert werden

Es prüfe sich jeder selber: Sind wir bereit, die frei gewordenen Zimmer der aus dem Haus gezogenen Kinder, die wir gern an Studierende vermieten wollten, dem schwarzen Philosophie-Studenten Chris aus Würzburg zu überlassen, wenn sich gleichzeitig der blonde BWL-Student Ben aus Kiel bewirbt? Bekommt bei gleicher Qualifikation der schwarze IT-Spezialist den Job, auf den sich „weiße Deutsche“ beworben haben? Freuen wir uns vorbehaltlos, wenn die Tochter ihren neuen Freund mitbringt – einen schwarzen Mitschüler? Die Realität in Deutschland spricht eine andere Sprache.

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