Ohne Baby unschuldig in U-Haft: Mutter „brach das Herz“
Sie war angeklagt, hochschwanger einen Mann gefesselt und zu Tode misshandelt zu haben, inzwischen steht fest: Klara P. (38, Name geändert) ist unschuldig, ihr Alibi für die Tatzeit ist wasserdicht. Am Montag wurde sie freigesprochen. Sieben Monate saß die Kolumbianerin ohne ihren Säugling in U-Haft, jeder Antrag, das Baby zu sich zu holen, wurde abgelehnt. Nicht einmal den ersten Geburtstag durften Mutter und Sohn zusammen verbringen. Die Verteidigerinnen schildern das Leid ihrer Mandantin hinter Gittern mit erschütternden Details.
Sie war angeklagt, hochschwanger einen Mann gefesselt und zu Tode misshandelt zu haben, inzwischen steht fest: Klara P. (38, Name geändert) ist unschuldig, ihr Alibi für die Tatzeit ist wasserdicht. Am Montag wurde sie freigesprochen. Sieben Monate saß die Kolumbianerin ohne ihren Säugling in U-Haft, jeder Antrag, das Baby zu sich zu holen, wurde abgelehnt. Nicht einmal den ersten Geburtstag durften Mutter und Sohn zusammen verbringen. Die Verteidigerinnen schildern das Leid ihrer Mandantin hinter Gittern mit erschütternden Details.
Den Freispruch nimmt Klara P. im Gerichtssaal regungslos zur Kenntnis. Sie trägt ein buntes Kleid, in ihrem Blick liegt Traurigkeit. Ihr Kind lebt seit ihrer Entlassung aus der U-Haft vor einigen Wochen wieder bei ihr, einmal hat sie den Kleinen sogar mit ins Gericht gebracht. Später, auf dem Gerichtsflur, als sie sich von ihren Anwältinnen verabschiedet, sind ihr Erleichterung und Dankbarkeit anzumerken. Die Kolumbianerin lächelt, bevor sie sich zum Gehen wendet. Klara P. spricht kein Deutsch, lässt ihre Verteidigerinnen Fenna Busmann und Katrin Hawickhorst ihre Geschichte erzählen. Auch im Prozess hatte sie geschwiegen.
Mutter wurde aus dem Kirchenasyl heraus verhaftet
Als Klara P. am 14. Dezember 2022 verhaftet wurde, lebte sie mit ihrem damals sechs Monate alten Sohn im Kirchenasyl. Mutter und Kind hatten bereits einiges hinter sich: Klara P. war erst ein Jahr zuvor aus Kolumbien gekommen, lebte zuerst bei ihrem Bruder in Hamburg. Zwei Kinder hatte sie in ihrer Heimat zurück gelassen. Dass sie ein drittes Mal schwanger war, bemerkte sie erst einige Wochen vor der Niederkunft, brachte ihren Sohn am 27. Juni 2022 anonym in einem Krankenhaus zur Welt, gab das Baby zur Adoption frei, wohl auch aus Angst vor ihren Angehörigen – und entschied sich wenig später, ihr Kind doch bei sich zu behalten. Kein ungewöhnlicher Vorgang: Bis zu einem Jahr nach der Geburt können Mütter eine Adoptionsfreigabe rückgängig machen.

Am Tag der Verhaftung sei ihrer Mandantin, die kein Deutsch spricht, nicht klar gewesen, worum es überhaupt ging, sagt Verteidigerin Dr. Katrin Hawickhorst: „Ihr Sohn wurde ihr weggenommen und dem Jugendamt übergeben. Sie hat nicht damit gerechnet, ihr Kind nun drei Monate lang nicht mehr zu sehen.“ Jeden Monat, immer am 27., habe Klara P. sich mit einem Bild ihres Kindes in ihre Zelle zurückgezogen und sich gefragt, wie er inzwischen wohl aussehe.
„Als ihr ihr Sohn das erste Mal in die Haft gebracht wurde, hat unsere Mandantin gezittert“, sagt die Anwältin: „Sie hatte Angst, dass er sie nicht erkennen würde. Er hat sie erkannt, aber er war verändert. Er war abgemagert, apathisch und verstört.“ Der Abschied war dramatisch: „Es brach ihr das Herz, als sie ihn nach dem Besuch wieder gehen lassen musste.“
Brutaler Mord an 69-Jährigen bleibt ein Rätsel
Die Staatsanwaltschaft warf Klara P. damals vor, in hochschwangerem Zustand am 12. Mai 2022 einen spanischen Gastronomen in dessen Wohnung an der Bürgerweide (Borgfelde) gefesselt, gewürgt und ihm den Schädel zertrümmert zu haben. Der 69-Jährige wurde – nach den Misshandlungen — auf seinem Bett aufgebahrt, ein spanisches Handy auf der Brust, von dem um 11.17 Uhr ein Notruf abgesetzt wurde. Wer dabei die Worte „Hilfe, Hilfe“ gesprochen hat, wurde nie geklärt. Als Verwandte den Mann um 18 Uhr fanden, war er tot. Der Mord bleibt ein Rätsel.
An der Kleidung des Toten wurde DNA von Klara P. gefunden. Dass die werdende Mutter zur Tatzeit als Putzkraft in einem Hostel an der Kieler Straße gearbeitet hatte, dazu gab es früh die Aussage einer Arbeitskollegin, die jedoch zunächst als zweifelhaft galt. „Wir mussten diese Zweifel an der Alibizeugin in der Hauptverhandlung klären“, so der Vorsitzende Richter bei der Verkündung des Freispruchs: „Und ihre Aussage war der Gamechanger. Das Alibi ist tatsächlich wasserdicht, die Angeklagte ist definitiv nicht die Täterin.“
Ein Gutachten, das die Verteidigerinnen auf eigene Rechnung in Auftrag gegeben hatten, gab zudem eine plausible Erklärung für die DNA an der Kleidung: Wenige Tage vor dem brutalen Mord sei Klara P. zum Probearbeiten in der Wohnung des Opfers gewesen, wie Chats zwischen ihr und dem Rentner nahelegen. Laut ihren Anwältinnen hatte sie dabei zahlreiche Kleidungsstücke gebügelt.
Sieben Monate U-Haft ohne ihr Kind
Am 18. Juli 2023, nach der Aussage ihrer Kollegin („klar, sachlich und plausibel“, wie der Vorsitzende Richter lobte) wurde Klara P. aus der U-Haft entlassen – nach sieben schmerzhaften Monaten ohne ihr Kind. „Ohne Unterlass“, so die Verteidigerinnen, habe ihre Mandantin versucht, das Baby zu sich in die Frauen-U-Haft in Billwerder zu holen, wo es für solche Fälle Mutter-Kind-Plätze gibt. Gefängnisleitung und Jugendamt lehnten die Anträge jedes Mal mit dem Verweis auf das Kindeswohl ab. Der Kleine war zunächst in einer Pflegefamilie, wurde in der Folge in wechselnden Heimen betreut, vier Stationen in sechs Monaten, was dem Kindeswohl nach Ansicht der Verantwortlichen besser entsprach.
Am ersten Geburtstag durfte Klara P. ihren Sohn nicht sehen: „Die JVA feierte ein Betriebsfest“, so Hawickhorst. Den Geburtstagskuchen, den sie gebacken hatte, teilte sie mit den Mitinsassinnen, ein Stück hob sie für den Besuch des Kleinen am folgenden Tag auf.
Richter: „Täter oder Täterin ist weiterhin auf freiem Fuß“
„Je länger sie in Haft war, desto mehr verlor unsere Mandantin ihre Hoffnung“, so die Anwältin: „Sie verstand nicht, wie ihr ein derartiges Schicksal ausgerechnet im rechtsstaatlichen Deutschland widerfahren konnte.“
Das könnte Sie auch interessieren: Mord an 69-Jährigem: Überraschende Wende im Prozess
Anwältin Fenna Busmann spricht von einem „Versagen der Strafverfolgungsbehörden“ und fragt – mit Blick auf das DNA-Gutachten: „Darf das in einem Rechtsstaat sein, dass es vom privaten Engagement einzelner Personen abhängt, ob eine unschuldige Person zu lebenslanger Haft verurteilt wird?“
Auch der Vorsitzende Richter zeigt sich bedrückt: „Der Freispruch ist auch beängstigend, weil der Täter oder die Täterin weiterhin auf freiem Fuß ist.“ Den Hinterbliebenen des Gastronomen gehe es schlecht, sagt deren Anwältin und verweist auf Verdachtsmomente gegen andere Personen, denen die Ermittler nun nachgehen müssten.