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  • Helferin Diana Müller (links) und Arzt Dr. Hassan Ied (rechts) versorgen die Wunde eines Obdachlosen.
  • Foto: Annalena Barnickel

Obdachlos während Corona: Sorgen und Nöte im Hamburger Arztmobil

St. Pauli –

Corona macht uns alle gleich, hieß es oft zu Beginn der Pandemie. Ein Nachmittag beim Hamburger Arztmobil, in dem obdachlose Menschen Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung erhalten, zeigt allerdings recht schnell: Das stimmt so nicht.

„Einer nach dem anderen! Es kommt jeder dran, aber erst die Hände desinfizieren!“ Routiniert, aber bestimmt, weist der pensionierte Polizist Rüdiger Steffen die Wartenden vor dem Wagen zurück in eine geordnete Schlange. 

Arztmobil Hamburg: Kostenlose medizinische Hilfe für Obdachlose

Es ist Mittag auf St. Pauli. Direkt gegenüber dem Millerntor-Stadion in der Budapester Straße hat Steffen den weißen Transporter geparkt. Davor bauen weitere Helfer Klappstühle auf, stellen Kisten mit Äpfeln und Mandarinen bereit und installieren einen Getränkespender.

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Im Lager des Arztmobils werden alle medizinischen Vorräte sortiert und aufbewahrt.

Foto:

Annalena Barnickel

Jeden Samstag und Sonntag fahren die ehrenamtlichen Mitarbeiter vom Arztmobil an feste Plätze in Hamburg, um obdachlosen Menschen kostenlose medizinische Hilfe anzubieten. Besonders jetzt in der Pandemie ist der Alltag für Wohnungslose noch härter geworden: Etwa bei der Suche nach einer Schlafstelle oder eben medizinischer Versorgung.

Obdachlos während Corona: Seit September sind elf Menschen gestorben

„Vor allem im ersten Lockdown hatten wir sehr großen Zulauf“, erinnert sich Dr. Michael Siassi, einer der Ärzte von Arztmobil. „Trotz Lockdown haben aber jetzt viele Anlaufstellen wieder für Obdachlose geöffnet, das war im Frühjahr nicht so.“

Die Entwicklung ist trotzdem besorgniserregend. Seit September sind elf Menschen auf Hamburgers Straßen gestorben.

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„Das Abstandhalten schmerzt, wenn wir die Patienten mal in den Arm nehmen wollen“, sagt Rüdiger Steffen. Man kenne sich untereinander, viele kämen seit Jahren jedes Wochenende vorbei.

„Wenn man eine Person mal drei Wochen nicht sieht, dann machen wir uns sofort Gedanken und fragen im Netzwerk nach, ob jemand etwas gehört hat“, ergänzt Helferin Diana Müller.

Arztmobil Hamburg: Stamm-Patienten kommen seit Jahren vorbei

Einer von den Stamm-Patienten ist Nico, 39 Jahre alt, bekleidet mit dunklem Kapuzenpulli und dunkler Hose. In seinem Gesicht baumelt eine schon stark mitgenommene Einmal-Maske, in der einen Hand hält er eine Schnapsflasche, in der anderen einen Pappbecher mit Tee aus dem Spender. „Ich stehe dazu, dass ich Alkoholiker bin“, sagt er.

„Ich will das nicht verheimlichen, sondern darüber reden!“ Er ist seit 20 Jahren in Hamburg und regelmäßiger Besucher beim Arztmobil. „Ich brauche meine Blutdruckmedikamente“, erzählt er, „deshalb komme ich immer dorthin.“

Fast 30 Freiwillige engagieren sich für das Arztmobil. Darunter Ärzte, Rettungssanitäter, Pflegepersonal, aber auch Menschen ohne medizinischen Hintergrund. Ende 2016 wurde das Team gegründet. Finanziert wird das Angebot vollständig durch Spenden.

Obdachlos während Corona: Winternotprogramm wird aufgestockt

Im Inneren des Mobils sitzt der nächste Patient mit einem schmutzigen Verband um den Mittelfinger. Diana Müller und Dr. Hassan Ied wickeln ihn vorsichtig ab und legen die Hand des Mannes auf ein sauberes Tuch. „Oh das ist aber ziemlich vereitert“, stellt der Arzt nach einem Blick auf die Wunde fest. Währenddessen fragt Müller den Mann nach Vornamen und Alter – die einzigen Daten, die aufgenommen werden. Kurze Zeit später verlässt der Patient das Arztmobil wieder mit einem blütenweißen Verband.

Im Winternotprogramm der Stadt stehen insgesamt 1020 Betten bereit.  Laut der Sozialbehörde liegt die Auslastung derzeit bei etwa 70 Prozent. Im Vergleich mit den Vorjahren sei die Belegungsdichte geringer, weil mehr Plätze zur Verfügung stehen. Die Obdachlosen-Zeitschrift „Hinz&Kunzt“ fordert mehr Unterstützung Seiten der Stadt. Die Sozialbehörde reagierte und richtete zusätzliche 35 Einzelzimmer in der Eiffestraße ein.

Arztmobil Hamburg: Schuppenflechte ist eine der häufigsten Hautkrankheiten

Der Nächste sitzt auf dem Behandlungsstuhl und rollt die Ärmel seines Pullovers hoch. Auf dem Arm hat sich Schuppenflechte ausgebreitet. Der Mann spricht nur sehr gebrochenes Deutsch.

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Die Schuppenflechte ist eine der häufigsten Hautkrankheiten bei Obdachlosen.

Foto:

Annalena Barnickel

Dr. Ied ruft nach draußen, ob es jemanden in der Schlange gibt, der das Polnische übersetzen kann. Es kann keiner.„Hast du die Möglichkeit, heute Abend zu duschen?“, fragt Diana Müller. Der Mann nickt.

Es ist eine Herausforderung für die Stadt, während Corona hygienegerechte Unterkünfte zu schaffen. Viele Einrichtungen können wegen der Distanz-Regeln nicht so viele Menschen wie zuvor aufnehmen oder werden von Obdachlosen aus Angst vor der Ansteckung gemieden.

Arztmobil Hamburg: Manche haben Angst vor der Rausgabe ihrer Daten

Draußen schaut ein Mann zum Arztmobil herüber, schließlich ruft er: „Habt ihr Brausetabletten?“ Steffen geht ein Stück auf ihn zu. „Wenn du mit reinkommst, dann kann unser Arzt schauen, was er machen kann!“ Sofort weicht der Mann zurück. „Nein, das mache ich nicht“, sagt er. „Ich gebe meine Daten nicht an.“ „Es geht nur um den Vornamen und das Alter“, erwidert Steffen. „Nein, das möchte ich nicht“, bleibt der andere dabei. Steffen versucht, ihn zu überzeugen, dann gibt er auf. „Er wird nicht gezwungen“, sagt er, vielleicht ändere er seine Meinung noch.

Der geht allerdings schon weiter. Steffen schaut ihm eine Weile nach. Er hofft, dass in den verbleibenden Wintermonaten möglichst viele Menschen in Not sich trauen, zu den kostenfreien Untersuchungen zu kommen. Trotz Corona.

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