• Beim Aufprall auf eine Autobahnbrücke hat ein Betonpfeiler das Cockpit regelrecht abgeschnitten. Der Pilot und zwei Co-Piloten überlebten.
  • Foto: Conti-Press

Notlandung auf A7 bei Hamburg: Unglaubliche Schlamperei kostet 22 Menschen das Leben

Diesen Schuh – er wird ihn nie vergessen. „Ich sah ihn da liegen auf der Autobahn. Ich bin einen Schritt näher gegangen, und als ich erkannte, dass das nicht nur ein Schuh war, sondern dass auch noch ein Fuß drinsteckte, bekam ich das Würgen. Ein, zwei Minuten habe ich gebraucht, um mich wieder zu erholen. Inzwischen war die ganze Autobahn voll mit Polizei und Feuerwehr. Die Teile des Flugzeugwracks lagen da verstreut. Ich sah Tote und Schwerverletzte, blutende Menschen und andere, die hilflos umherirrten.“

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Hat die furchtbaren Eindrücke von der Unglücksstelle nie vergessen können: der 74-jährige Robert Günther.

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Olaf Wunder

Für Robert Günther, damals ein junger Fotoreporter, war das Flugzeugunglück auf der A 7 bei Hasloh einer der schlimmsten Momente seines Lebens. 50 Jahre sind seither vergangen.

„Als Reporter denkst du nicht nach, du musst da einfach hin“

Eigentlich waren Katastrophen und Unglücke gar nicht Robert Günthers Metier. „Ich fotografierte Fußballer, porträtierte Musiker. Dass ich an diesem Tag als einer der ersten an der Unglücksstelle eintraf, war purer Zufall. Ich hatte im Vereinsheim von Tura Harksheide in Norderstedt was gegessen. Plötzlich hörte ich das Sirenengeheul. Leute erzählten, da habe ein Flugzeug eine Notlandung auf der Autobahn gemacht. Als Reporter denkst du dann ja nicht lange nach. Da musst du einfach hin.“

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Blick auf das Wrack des am 6. September 1971 bei Hamburg verunglückten Charterflugzeuges vom Typ „BAC 1-11“ der Münchener Chartergesellschaft „Paninternational“. Von den 121 Menschen an Bord haben 22 das Unglück nicht überlebt.

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picture-alliance / dpa

Robert Günther ließ sein Essen stehen, sprang in seinen VW Bully und raste los zur Unglücksstelle. Heute wünschte er, er hätte es nicht getan. „Was ich da gesehen habe, war wirklich alles andere als schön.“ Weil er so geschockt war von dem Ereignis, hat er seine Fotos auch nie veröffentlicht. Bis jetzt.

115 Passagiere freuen sich auf Urlaub in Malaga

Es ist Montag, der 6. September 1971. Um 18.19 Uhr hebt die vollbesetzte Chartermaschine der Fluggesellschaft „Paninternational“ in Fuhlsbüttel von der Startbahn 33 in Richtung Norden ab. Ziel des Fluges mit der Nummer 112 ist Malaga. An Bord sind sechs Besatzungsmitglieder und 115 Passagiere, die sich auf ihren Urlaub in Spanien freuen. Darunter befinden sich der damals 39-jährige Hamburger Maschinenschlosser und ehrenamtliche Oberbrandmeister Otto Gehrlich und seine Frau. 

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Vor dem Unglücksflug: Kapitän Reinhold Hüls (l.) und die Co-Piloten Elisabeth Friske und Manfred Rhode.

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EHRENFRIED POSPISIL

Flugkapitän Hüls hat keine Zeit zum Nachdenken

Im Cockpit sitzen Flugkapitän Reinhold Hüls und die beiden Co-Piloten Elisabeth Friske und Manfred Rhode. Hüls erinnert sich später, dass es nur 60 Sekunden nach dem Start zweimal wahnsinnig laut „Bäng“ gemacht habe. In 250 Metern Höhe fängt erst das linke Triebwerk Feuer, wenig später auch das rechte. Hüls ist klar, dass ihm und den Menschen, die ihm anvertraut sind, jetzt nicht mehr viel Zeit bleibt. Die Instrumente zeigen an: noch genau 42 Sekunden bis zum Aufprall.

Was zum selben Zeitpunkt den Flugpassagieren durch den Kopf geht, das beschreibt Otto Gehrlich 1997 in einem MOPO-Interview so: „Wir wussten nicht, was los ist. Es gab keine Durchsage. Die Baumwipfel kamen immer näher. Ich fasste meine Frau und betete. Ich dachte nur, dass der Pilot ja auch leben will und den Vogel schon irgendwie runterbringt.“

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Die Autobahnbrücke mit zerstörtem Geländer. Bei einer versuchten Notlandung auf der Autobahn A7 ist die Maschine der Fluglinie „Paninternational“ bei Hasloh an dieser Brücke zerschellt.

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picture alliance / Lothar Heidtmann

„Mama, fahr schneller, da hinten landet ein Flugzeug!“

Flugkapitän Hüls entscheidet sich, die Maschine auf der  A 7 bei Hasloh notzulanden. Die Autobahn ist damals schon bis Kaltenkirchen fertiggestellt. Hüls sieht, dass die Fahrbahn Richtung Norden voll ist, dort herrscht Berufsverkehr. Also entscheidet er sich für die andere Richtungsspur, wo weniger los ist. Später werden Piloten am Simulator versuchen, das Flugmanöver, das nun folgt, zu wiederholen. Aber niemandem gelingt es.

Menschen, die in diesem Moment gerade im Auto auf der A7 unterwegs sind, kriegen den Schreck ihres Lebens. Ein Junge, der im Rückspiegel beobachtet, wie der riesige Flieger auf der Fahrbahn landet, fordert seine Mutter, die am Steuer sitzt, auf: „Fahr schneller, da hinten kommt ein Flugzeug.“

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Beim Aufprall auf eine Autobahnbrücke hat ein Betonpfeiler das Cockpit regelrecht abgeschnitten. Der Pilot und zwei Co-Piloten überlebten.

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Conti-Press

Brückenpfeiler zerreißt die Maschine in drei Teile

Flugkapitän Hüls erinnert sich an diesen Moment so: „Wir setzten sehr hart auf, sodass das linke Fahrwerk wegbrach. Dadurch wurde die Maschine links herumgerissen.“ Das Flugzeug rast dann mit 200 Stundenkilometern in Schräglage über die Fahrbahndecke – direkt auf eine Brücke zu. Beide Tragflächen werden abgerissen, Seitenruder und Heck zerstört, der Rumpf zerbricht in drei Teile. Während das Cockpit seitlich weggeschleudert wird, dreht sich der Rest des Flugzeugs unter der Brücke durch und kommt erst 100 Meter weiter zum Stehen.

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Innensenator Heinz Ruhnau zeichnet Otto Gehrlich aus, der mehrere Flugpassagiere aus der brennenden Maschine gerettet hatte.

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dpa

In der Kabine herrscht Panik. „Weil es hinten brannte, stürmten die Leute durch den engen Gang nach vorne. Einige wurden niedergetrampelt“, so Otto Gehrlich. Er bringt zuerst seine Frau in Sicherheit, kehrt dann ins Inferno zurück und rettet drei weitere Mitreisende.

Kai Stier sah die Katastrophe vom Riesenrad aus

Kai Stier (58), langjähriger Mitarbeiter der MOPO-Redaktion, war Augenzeuge der missglückten Notlandung von 1971. Er sagt: „Das war das Trauma meiner Kindheit.“

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Sah 1971 vom Riesenrad in Poppenbüttel alles mit an: MOPO-Mitarbeiter Kai Stier (58).

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Quandt

Stier ist achteinhalb Jahre alt damals. Mit seinem Vater Bruno und seiner Mutter Helga besucht er einen Jahrmarkt in Poppenbüttel. „Ich habe so lange gebettelt, bis meine Eltern mir eine Fahrt im Riesenrad erlaubt haben. Und dann ist es passiert. Als meine Gondel an der höchsten Stelle war, hielt das Riesenrad an, weil unten noch jemand zustieg. Ich hatte für einige Sekunden einen Wahnsinns-Ausblick. Plötzlich sah ich dieses Flugzeug, das dunkelgrauen, ja, schwarzen Rauch hinter sich her zog. Die Triebwerke brannten. Ich habe nur da gesessen, hin gestarrt, nichts gesagt, aber so bei mir gedacht: Der stürzt bestimmt ab, der stürzt bestimmt ab, der stürzt bestimmt ab! Als hätte ich es mir gewünscht.“

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22 Menschen kommen in der Maschine ums Leben, die 1971 bei Hasloh eine Notlandung auf der Autobahn versucht und an einer Brücke zerschellt.

Foto:

Lattmann

„Dieses Unglück war das Trauma meiner Kindheit“

Kai Stier erzählt, dass er sich später noch lange furchtbare Vorwürfe gemacht hat: „Ich dachte so in meinem kindlichen Gemüt, dass ich mit meinen Gedanken den Absturz regelrecht heraufbeschworen hatte, dass ich also schuld bin. Ich habe oft Albträume davon gehabt.“

Die Bilanz des Unglücks: 21 Passagiere verbrennen in der Maschine. Ein Besatzungsmitglied stirbt beim Aufprall. 99 Insassen überleben das Unglück, sind aber zum Teil schwer verletzt.

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Über Unglücksstelle auf der A7 kreist ein Hubschrauber. Trümmer liegen neben der Autobahn.

Foto:

Conti-Press

99 Insassen überleben das Unglück wie durch ein Wunder

Wie durch ein Wunder überleben der Pilot und seine beiden Copiloten im abgerissenen Cockpit. Co-Pilotin Elisabeth Friske hat ein gebrochenes Bein und steht unter Schock. Als Feuerwehrleute sie aus dem Cockpit befreien wollen, sagt sie, dass sie die Maschine auf keinen Fall ohne die hübschen Sandalen verlassen wird, die sie aus Ägypten mitgebracht hat. Ein Feuerwehrmann gibt ihr eine Ohrfeige, danach lässt sie sich aus den Trümmern befreien.

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Unzählige Krankenwagen am Unfallort. 

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picture alliance / Georg Spring

Männer der Freiwilligen Feuerwehr Hasloh sind – alarmiert vom gewaltigen Knall auf der Autobahn – die ersten Helfer am Unglücksort. Als sie eintreffen, sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. „Zwischen unzähligen Wrackteilen lagen Schuhe und Taschen, aufgeplatzte Koffer und Berge von Gepäck.“

Überall Schuhe, Koffer, abgerissene Arme und Beine

Und immer wieder finden sie Leichenteile: Abgerissene Arme und Beine. Einer der Helfer greift nach etwas, das auf der Fahrbahn liegt und wie eine Perücke aussieht, stellt dann aber fest, dass es sich um einen Kopf handelt.

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Das Flugzeugwrack brennt. 22 Tote forderte die Notlandung einer BAC 1-11 auf der A7.

Foto:

hfr

Während auf der Autobahn Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter und Notärzte alles tun, um das Leid der Opfer zu lindern, versammeln sich oben auf der Autobahnbrücke Katastrophentouristen. Es gibt Schaulustige, die sich nicht einmal scheuen, an der Unglücksstelle nach „Souvenirs“ zu suchen. Sie behindern Sanitäter und Feuerwehrmänner bei der Arbeit oder blockieren mit ihren Fahrzeugen die Rettungswege. Polizei und Bundeswehr sperren das Areal schließlich weiträumig ab. Im Licht von Scheinwerfern gehen die Rettungsarbeiten die ganze Nacht weiter.

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Beamte des Luftfahrtbundesamtes in Braunschweig untersuchen die Rolls-Royce-Triebwerke der Unglücksmaschine von Hasloh. 

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picture alliance / Wolfgang Weihs

Statt Wasser schoss Kerosin als Kühlmittel in die Triebwerke

Nach dem Unglück nimmt die Justiz die Ermittlungen auf, und schon wenige Tage später wird bekannt, was für eine unfassbare Schlamperei die Ursache des Unglücks gewesen ist: Ein Mitarbeiter von „Paninternational“ hat ein paar Tage zuvor in Düsseldorf bei Wartungsarbeiten an einer anderen Maschine 100 Liter Kerosin in zwei 60-Liter-Kanister abgefüllt. Diese Behälter hat ein Flugzeugelektriker mit ins Lager genommen. Und von dort wurden sie mit weiteren drei Kanistern, die entmineralisiertes Wasser enthielten, an Bord der Unglücksmaschine gebracht.

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Das Flugzeug war voll beladen, so dass sich Flugkapitän Hüls für einen sogenannten Nassstart entschied, um die Schubkraft zu steigern. Dabei muss entmineralisiertes Wasser zur Kühlung in die Brennkammern der Triebwerke eingespritzt werden. Doch als Hüls die Einspritzanlage betätigte, war es ein Gemisch aus Wasser und Kerosin, das in die Rolls-Royce-Triebwerke schoss und sie mit einem riesigen Knall auseinanderriss.

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Beamte des Luftfahrtbundesamtes untersuchen die Trümmer der Unglücksmaschine von Hasloh.

Foto:

picture alliance / Lothar Heidtmann

Welche Rolle spielte SPD-Spitzenpolitiker Karl Wienand?

Die weiteren Ermittlungen ergeben, dass es bei der Fluggesellschaft „Paninternational“ schon länger große organisatorische Defizite gibt. Die Frage, warum eigentlich das Luftfahrtbundesamt nicht längst eingeschritten ist, beschäftigt schließlich einen  Untersuchungsausschuss des Bundestags, denn der Vorwurf lautet, dass der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Wienand (1926-2011), seine schützende Hand über die Fluggesellschaft gehalten habe. Dafür soll er von ihr als „Berater“ mit Honoraren in Höhe von 163.000 Mark bedacht worden sein.

Am Ende muss die Fluggesellschaft Konkurs anmelden. Das Landgericht Kiel verurteilt fünf Jahre nach dem Unglück einen Elektriker und einen Flugzeugmechaniker zu je 1500 Mark Geldstrafe. Wer die Kerosinbehälter zu den Wasserkanistern ins Lager gestellt hat, kann das Gericht nicht mehr aufklären.

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Die Trümmer der Unglücksmaschine von Hasloh.

Foto:

picture alliance / Lothar Heidtmann

Niemand, der mit diesem Unglück vor 50 Jahren zu tun hatte, wird es je vergessen. Der Hamburger Otto Gehrlich, der mehrere Menschen aus den Flammen rettete, sicher nicht. Für seinen Mut wurde er vom Hamburger Innensenator geehrt.

Co-Pilotin stirbt 1987 – bei einem anderen Flugzeugunglück

Flugkapitän Hüls lässt sich ein Jahr Zeit, bis er wieder in ein Cockpit steigt. „Wenn man 22 Tote auf dem Gewissen hat“, sagt er, „ist das nicht so leicht wegzustecken.“

Großes Pech hat Co-Pilotin Elisabeth Friske. Die erste weibliche Flugkäpitänin Deutschlands wird ein zweites Mal Opfer eines Flugzeugunglücks: Am 31. Mai 1987 fliegt sie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) bei schlechtem Wetter nach Lübeck und stürzt ab. Während Barschel überlebt, kommt sie ums Leben.

SPD-Politiker Karl Wienand ist in seinem weiteren Leben noch in etliche Skandale verwickelt. Er besticht Oppositionsabgeordnete, damit beim Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 das gewünschte Ergebnis heraus kommt. Er hinterzieht in großem Stil Steuern, hält im Zusammenhang mit dem Bau einer Müllverbrennungsanlage in Köln die Hand auf und 1993 kommt auch noch raus, dass er bereits seit den 50er Jahren ein Spion der Stasi ist.

Und der Norderstedter Robert Günther? Der ist inzwischen 74 – und hat die Bilder vom Unglück immer noch im Kopf. Vor allem den Schuh mit dem Fuß drin kann er nicht vergessen.

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