Pflegeheime schieben Patienten in Kliniken ab – und nehmen sie dann nicht zurück
Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf: Pflegeheime lassen sogar leicht erkrankte Bewohner in Notaufnahmen einliefern – und nehmen die alten Menschen nach der Behandlung nicht wieder zurück. Diesen Vorwurf erhebt nicht irgendwer, sondern der größte Notfallversorger Hamburgs. Auch andere bestätigen: Das Problem werde sogar immer schlimmer. Die Gründe liegen auf der Hand und haben mit einem generellen Missstand zu tun.
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Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf: Pflegeheime lassen sogar leicht erkrankte Bewohner in Notaufnahmen einliefern – und nehmen die alten Menschen nach der Behandlung nicht wieder zurück. Diesen Vorwurf erhebt nicht irgendwer, sondern der größte Notfallversorger Hamburgs. Auch andere bestätigen: Das Problem werde sogar immer schlimmer. Die Gründe liegen auf der Hand und haben mit einem generellen Missstand zu tun.
„Pflegeheime, denen die ärztliche Versorgung fehlt, schicken ihre Bewohner immer öfter in die Notaufnahmen, nehmen sie nach einer Akutversorgung oder nach abgeklungenen Corona-Infektionen aber oft nicht zeitnah zurück“, so Dr. Sara Sheikhzadeh, die vor ihrem Wechsel in den Asklepios-Vorstand jahrelang die Notaufnahmen in St. Georg und Harburg leitete.
Patienten, die eigentlich längst wieder in ihren Pflegeheimen betreut werden könnten, binden stattdessen das Personal in den Notaufnahmen, das sich ohnehin kurz vor dem Zusammenbruch befindet: „Die Notaufnahmen stehen dann vor der Herausforderung, Herzinfarkte, Schlaganfälle und schwer Verletzte zu versorgen, obwohl schon alle Räume und Flure voll sind und das Personal kaum noch Zeit zum Luftholen hat“, beschreibt die Medizinerin die dramatische Situation in den Krankenhäusern.
Verzögerte Rücknahme von Patienten
Die Hamburgische Krankenhausgesellschaft bestätigt auf MOPO-Nachfrage die Probleme: „Die Problematik einer verzögerten Rücknahme erkrankter Bewohner und Bewohnerinnen durch Pflegeeinrichtungen besteht schon seit längerer Zeit und verschärft sich aus unserer Wahrnehmung immer dann, wenn alle Bereiche unter zusätzlichen krankheitsbedingten Personalausfällen leiden.“
Tatsächlich sind Pflegekräfte besonders oft und lange krankgeschrieben, wie eine Analyse der AOK Rheinland/Hamburg ergab: 2021 lag der Krankenstand bei den Beschäftigten in Hamburger Alten- und Pflegeheimen bei 7,29 Prozent. Das heißt an: An jedem Tag waren 7,29 Prozent der Mitarbeiter krank, wobei eine Krankschreibung im Schnitt für 17 Kalendertage galt. Auffällig sind die vielen psychischen Erkrankungen: Von 2006 bis 2021 hat sich diese Diagnose um 70 Prozent gesteigert: „Die Beschäftigten in der Pflege sind 2021 durchschnittlich knapp acht Tage wegen psychischer Probleme ausgefallen – auf diesen Wert kam keine andere Branche“, so eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg.
Pflegekräfte besonders oft krankgeschrieben
Unter der Personalnot in den Pflegeheimen leiden auch die ebenfalls gebeutelten Krankenhäuser. Für Senioren, die bislang alleine lebten, nach einem Krankenhausaufenthalt aber pflegebedürftig werden, sind kaum Plätze zu finden: „Aufgrund der Personalengpässe in Pflegeeinrichtungen ist es kaum möglich, Patienten in eine Pflegeeinrichtung erstmals zu entlassen”, so Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgische Krankenhausgesellschaft.
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Was die Pflegeheime dazu sagen? Martin Sielaff, Geschäftsführer der Hamburgische Pflegegesellschaft e.V., weist die Vorwürfe zurück: „Es ist ein Ärgernis, dass so etwas behauptet wird, ohne Ross und Reiter zu nennen. Das sind höchstens Einzelfälle, über die aber keiner mit uns redet.“