„Niemand nimmt uns ernst“: Der Einbahnstraßen-Zoff im Hamburger Norden
„Wenn das so weitergeht, ist meine Existenz gefährdet!“ Hilflos schlägt Tan Kiet Le die Hände in den Schoß. Der 53-Jährige ist Inhaber von „Bobby’s SunClub“ in der Grelckstraße in Lokstedt. Seit Ende November dürfen die Autos hier unter der Woche zwischen 6 und 18 Uhr nur noch stadteinwärts fahren, am Wochenende ist die Durchfahrt sogar ganz gesperrt. Die MOPO war vor Ort und hat sich umgehört, wie der Verkehrsversuch klappt – und ist auf viele wütende Gewerbetreibende gestoßen.
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„Wenn das so weitergeht, ist meine Existenz gefährdet!“ Hilflos schlägt Tan Kiet Le die Hände in den Schoß. Der 53-Jährige ist Inhaber von „Bobby’s SunClub“ in der Grelckstraße in Lokstedt. Seit Ende November dürfen die Autos hier unter der Woche zwischen 6 und 18 Uhr nur noch stadteinwärts fahren, am Wochenende ist die Durchfahrt sogar ganz gesperrt. Die MOPO war vor Ort und hat sich umgehört, wie der Verkehrsversuch klappt – und ist auf viele wütende Gewerbetreibende gestoßen.
„Am Wochenende ist es bei mir inzwischen richtig tot“, sagt Le. Vor sieben Jahren ist er mit seinem Sonnenstudio von Poppenbüttel nach Lokstedt gezogen, jetzt weiß er nicht mehr weiter. „Meine Kunden kommen großteils mit dem Auto. Wenn sie keinen Parkplatz finden, dann müssen sie hier im Kreis fahren, darauf hat keiner Lust.“
Lokstedt: Grelckstraße ist seit Monaten eine Einbahnstraße
Zudem seien einige Parkplätze weggefallen. „Die Pendler aus Schenefeld und Pinneberg halten hier nach der Arbeit nochmal kurz, um sich zu bräunen. Sie können nicht erst ihr Auto zu Hause abstellen und dann wieder herkommen.“
40 bis 60 Prozent Einnahmeverluste müsse er laut eigener Aussage hinnehmen. „Das Einzige, was mir übrig bleibt, sind die Stammkunden“, sagt er. Wie aufs Stichwort kommt in dem Moment eine ältere Dame herein. Le springt sofort auf und läuft hinter den Tresen. „Zwanzig Minuten wie immer?“, fragt er freundlich. Die Frau nickt lächelnd. „Danke, mein Lieber.“
Lokstedt: Ladeinhaber wütend über Verkehrsversuch
Angestoßen und beschlossen wurde das Verkehrslabor von der Bezirksversammlung Eimsbüttel, in dem verschiedene Verkehrsführungen getestet und ausgewertet werden sollen. Zunächst hatte das „Hamburger Wochenblatt“ berichtet. „Dadurch sollen Erkenntnisse für die Verbesserung und Attraktivierung der beliebten Straße für die Anwohnenden und Nutzer:innen gewonnen werden“, sagt Bezirkssprecher Kay Becker der MOPO.
Von einer Verbesserung kann bei Khalil Ahmad Kheiri nicht die Rede sein. Dem 39-Jährigen gehört der Lotto-Toto-Kiosk in der Straße, viele seiner älteren Kunden kämen jetzt nicht mehr gut zu ihm. Auch Marina Carstens, Inhaberin des Blumengeschäfts „Magnolia“ ist verärgert. „Es ist jetzt unnötig kompliziert und ich weiß nicht, wer damit erreicht werden soll“, sagt die Floristen-Meisterin. „Vor allem die Kunden, die schwerere Sachen, wie Erde, kaufen, fallen weg. Genauso wie die Feierabendsträuße. Keiner hat Lust, die ganze Zeit im Kreis zu fahren.“
Lokstedt: Projekt soll die Grelckstraße attraktiver machen
Ein paar Meter weiter sitzen die Mittagsgäste im Restaurant „Il Tramonto“. Inhaber ist der 53-jährige Ustafa Uluda, der sich über die Kommunikation mit den Ladeninhabern aufregt. „Niemand hat unsere Bedenken ernst genommen“, sagt er aufgebracht. „Ja, wir durften dabeisitzen, aber am Ende haben sie es doch durchgezogen, wie sie es für richtig halten.“
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Laut Bezirkssprecher Becker habe der Bezirk sich bemüht, im Vorfeld „breitmöglich über das Verkehrslabor“ zu informieren. Eine Bürgerbeteiligung gab es ebenfalls: Zwischen August und November wurden Anwohner, Gewerbetreibende und Marktbeschicker schriftlich dazu befragt und mit ihnen die Varianten abgestimmt, bei Infoständen und im Internet wurde darüber informiert.
„Zukunftswerkstatt Lokstedt“ begleitet das Projekt
Laut Uluda habe das Restaurant freitags jetzt 25 Prozent weniger Gäste als vorher. „Viele Reservierungen am Wochenende werden nicht eingehalten, weil die Leute ewig im Kreis fahren müssen“, sagt er. „Wir sind hier nicht in der Innenstadt, da kann sowas ja gerne gemacht werden. Aber hier brauchen viele Gäste aus Pinneberg und Schenefeld eben ein Auto und einen Parkplatz.“
Begleitet wird das bezirkliche Projekt von der „Zukunftswerkstatt Lokstedt“ (ZWL), die damit die Grelckstraße beleben und zu einem Ort der Begegnung und Kommunikation machen wollen. „Straßenraum, umgewandelt zu einem Kommunikationstreff für Jung und Alt, bringt Lebensqualität in die Straße“, so Uwe Reimer von der ZWL. Das bedeutet: Aufenthaltsflächen statt Parkplätze. Inzwischen sei ein Gewöhnungseffekt eingetreten.
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Letzteres kann Anette-Barbette Babbel vom Pflegedienst Sali bestätigen. „Am Anfang war es echt nervig, aber inzwischen haben wir uns damit arrangiert. Wir wollen für Patienten, die in der Nähe wohnen, auch vermehrt Fahrräder nutzen“, sagt sie. Allerdings verstehe sie den großen Unmut derjenigen, die auf Kundschaft vor Ort angewiesen seien. „Das war einfach eine unnötige Maßnahme“, so die 55-Jährige. „Die Straße war vorher schon total ruhig, haben wir nichts Besseres zu tun?“
Auch die ZWL beschreibt die derzeitige Verkehrsführung als „unglücklich“. Reimer hofft auf den Mai, denn spätestens ab diesem Zeitpunkt soll das Projekt in die nächste Phase treten und die Grelckstraße komplett für den Autoverkehr gesperrt werden.
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Eine Horror-Nachricht für die Laden-Inhaber, die inzwischen selbstständig eine Umfrage gestartet haben – in allen Geschäften, von Apotheke bis zum Restaurant, liegen die Bögen aus. Dort kann angekreuzt werden, welche Verkehrsführung sich die Kunden wünschen. „Wir wollen das alte Modell wieder“, sagt Le entschieden. Sie alle stünden untereinander in Kontakt und planten ihre Vorgehensweise. Er wisse alleine nicht mehr, wie es weitergehen solle.