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Neue Regeln? Bei Status Quo bleiben?: Drei Virologen und ihre Corona-Einschätzung

Neue Corona-Maßnahmen? Zurück zum Lockdown? Oder reichen die jetzigen Beschränkungen aus? Angesichts des rasanten Wiederanstiegs der Corona-Zahlen in Hamburg und ganz Deutschland ist man bei der Frage nach den richtigen Handlungsschritten mal wiedergespalten. Aber auch die Experten sind sich oftmals nicht einig. Die MOPO gibt eine Übersicht über die aktuellen Einschätzungen von drei Virologen.

Professor Jonas Schmidt-Chanasit: „Die bestehenden Regeln reichen aus!“

Schmidt-Chanasit: 41 Jahre, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, derzeitiger Corona-Sprecher des Instituts.

Einschätzung zu den neuesten Maßnahmen: Schmidt-Chanasit hält flächendeckende Sperrstunden für Restaurants und Bars in Hamburg nicht für sinnvoll. „Ein singuläres Ausbruchsgeschehen, sagen wir die Hochzeitsfeier einer Großfamilie, kann dazu führen, dass die Inzidenz von 35 überschritten wird. Und wenn das der Fall ist, sollte das nicht der Anlass sein, massenhaft Restaurants und Bars um 23 Uhr zu schließen.“

Für ihn ist es wichtig, dass Familienfeiern mit zum Beispiel 600 Personen im Moment nicht stattfinden dürfen. „Es gibt aber auch diese spürbare Zunahme der Corona-Müdigkeit“, fährt er fort. „Da kann man — oder muss man — mit Kontrollen sehr viel mehr erreichen. Und da, wo es nicht klappt, muss man die Betriebe eben schließen.“ 

Schmidt-Chanasit spricht sich dafür aus, dass in einem familiären Rahmen jeder für sich selbst bestimmen sollte, welches Risiko er oder sie persönlich eingehen wolle, „solange das keine anderen massiv gefährdet.“ Er empfiehlt Stoßlüften, sowie den Verzicht auf Umarmungen und Küsse und schlägt vor, in Räumen eine Alltagsmaske zu tragen. Dazu kommt: Wer sich krank fühlt, sollte keinesfalls Verwandte besuchen fahren.

Professor Christian Drosten: „Jeder Einzelne ist wichtig im Kampf gegen Corona“

Drosten: 48 Jahre, Virologe und Institutsdirektor an der Charité Berlin

Einschätzung zu den neuesten Maßnahmen: Drosten hält die jetzigen Maßnahmen gegen Cluster, also zum Beispiel eine Gruppe von Menschen bei einer Feier, für ausreichend. Auch die Gesundheitsämter schauten recht genau darauf. Mit einem Cluster-Kontakttagebuch etwa könne man sehen, wo man sich vor sieben bis zehn Tagen infiziert habe. Er plädiert außerdem für eine höhere Qualität bei der Information der Bevölkerung.

Familientreffen im Herbst und Winter hält der Virologe unter gewissen Voraussetzungen für vertretbar. „Ich halte das Prinzip der Vorquarantäne für eine gute Idee. Also dass Menschen einige Tage, optimalerweise eine Woche, vor dem Familienbesuch mit Oma und Opa soziale Kontakte so gut es geht vermeiden“, sagt er in einem Interview mit der „Zeit“. Drosten macht deutlich, dass man auf mögliche Symptome wie eine laufende Nase und leichtes Halskratzen achten und bei solchen Krankheitsanzeichen zu Hause bleiben sollte.“

Zur derzeitigen Debatte um die Zahlen macht Drosten einen Vorschlag: „Man könnte nicht nur die Infizierten zählen, sondern gesondert auch die Infizierten über 50 Jahre. Anhand dieser Zahl könnte man gut prognostizieren, mit wie viel schweren Verläufen man demnächst rechnen soll.“ 

Professor Hendrik Streeck: „Wir müssen akzeptieren, dass Sars-Cov-2 bei uns heimisch wird“

Streeck: 43 Jahre, Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie an der Universitätsklinik Bonn.

Einschätzung zu den neusten Maßnahmen: Der Bonner Virologe warnt davor, die reinen Infektionszahlen zum Maßstab im Kampf gegen Corona zu machen. „4000 Neuinfektionen an einem Tag bedeuten nicht mehr das Gleiche, was sie im März und April bedeutet haben“, erläuterte er in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“.

Abhilfe könne ein Ampelsystem schaffen, das auf dem Zusammenspiel von Infektionszahlen, Anzahl der Tests, stationärer und intensivmedizinischer Belegung basiert. Generell gelte es, sich an ein Leben mit Corona zu gewöhnen. Das bedeute „auch zu akzeptieren, dass Sars-CoV-2 bei uns heimisch wir“.

Der Impfstoff sei derzeit Plan A, allerdings sei es ungewiss, wann dieser kommen werde. Der Fokus solle weiterhin auf dem Schutz von Risikogruppen liegen. Streeck hält es für denkbar, Besucher in Seniorenheimen in einem „Schleusen-Modell“ nur nach negativem Schnelltest zuzulassen. Streeck plädiert für pragmatische Lösungsansätze, wie man das Leben ohne Pausen, zum Beispiel durch einen Lockdown, erlauben könnte. (aba)

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