Natalia Klitschko: Jeden Morgen frage ich, „seid ihr noch am Leben?“
Während Vitali Klitschko (50) als Bürgermeister von Kiew den Kampf seines Lebens kämpft, ist seine Frau zu einer der prominentesten Stimmen in Deutschland für die Ukraine geworden, wirbt um Unterstützung und spricht mit großer Offenheit von ihrer Mutter und ihrem Mann, ihrer Angst und ihrem Stolz.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Es war einer der bewegendsten Momente der großen Friedensdemo am Samstag in Hamburg: Natalia Klitschko (48), gehüllt in die blau-gelbe Nationalflagge, singt vor der Europa-Passage die ukrainische Nationalhymne. Während Vitali Klitschko (50) als Bürgermeister von Kiew den Kampf seines Lebens kämpft, ist seine Frau zu einer der prominentesten Stimmen in Deutschland für die Ukraine geworden, wirbt um Unterstützung und spricht mit großer Offenheit von ihrer Mutter und ihrem Mann, ihrer Angst und ihrem Stolz.
„Mein Morgen beginnt damit, dass ich Vitali schreibe“, berichtet Natalia Klitschko in der „NDR Talkshow“: „Ich frage ihn: Wie war die Nacht? Und er schreibt: Kiew steht, ich bin am Leben.“ Dann setzt die Sängerin hinzu: „Wie kann das sein, dass ein Mensch mitten in Europa schreiben muss, dass er noch am Leben ist?“
Natalia Klitschko singt auf Demo in Hamburg
Vitali Klitschko wurde 2014 zum Bürgermeister der 2,8 Millionen-Metropole Kiew gewählt und zählt wie der ukrainische Präsident zu den Anführern des ukrainischen Widerstands, den Russlands Präsident Wladimir Putin mit zunehmend brutaler Gewalt brechen will. Zusammen mit seinem Bruder Wladimir harrt Vitali Klitschko in der bombardierten Stadt aus, versucht, den Bewohnern Mut zuzusprechen, twittert Videos, die ihn bei den Menschen in den U-Bahnschächten zeigen und mit Schutzweste vor Panzersperren. Es sei der „Horror“, sagte Klitschko im ARD-Morgenmagazin, es gebe Anschläge und russische Scharfschützen in der Stadt: „Bleiben Sie bitte mit uns, weil wir kämpfen auch für deutsche Werte.“
Freunde, Verwandte, alle sind im Epizentrum des Krieges. Jeden Tag rufe sie alle an, die sie liebe, fragt: „Seid ihr noch am Leben?“ Auch Natalias Mutter ist in ihrer Heimatstadt nahe Kiew geblieben, verbringt die Nächte im Bunker und kocht tagsüber für Soldaten. Jeden Tag telefoniere sie mit ihrer Mutter, die über 70 Jahre alt sei: „Ich hatte den Gedanken, dass sie zusammen mit Bekannten die Stadt verlässt, aber sie wollte nicht. Ich weiß jetzt, woher ich meinen starken Charakter habe“, sagt Natalia Klitschko.
Natalia und Vitali Klitschko – einstiges Glamourpaar
Seit 26 Jahren ist die Sängerin mit Vitali Klitschko verheiratet. Die aparte Schönheit und „Dr. Eisenfaust“ waren ein Glamourpaar, damals, als Vitali und sein Bruder noch keine Videos aus einer belagerten Stadt schickten, sondern die gefeierten Champions der Boxwelt waren.
Natalia und Vitali haben drei Kinder: Maxim (16), Elizabeth-Victoria (19) und Yegor-Daniel (21). Max sei derzeit in einem englischen Internat, erzählt sie im NDR, und habe dort bereits eine Spendenaktion für die Ukraine initiiert. Auch russische Kinder besuchen die Schule, schildert Natalia Klitschko und nutzt die Gelegenheit zu einem eindringlichen Appell an alle Eltern, nicht zuzulassen, dass ukrainische und russische Kinder zu Feinden werden: „Erklärt euren Kindern, dass wir alle Menschen sind und miteinander mit Liebe umgehen sollen.“
Natalia wohnt derzeit in Hamburg, der Stadt, in der die Familie lebte, bevor Vitali Klitschko den Boxring hinter sich ließ und in die Politik ging. Wie die ganze Welt hat sie nicht geglaubt, dass Putin seine Armee tatsächlich in ein unabhängiges Nachbarland einmarschieren lässt.
Auf ihrem Instagram-Account ist deutlich zu sehen, wie das Leben der dreifachen Mutter vor dem schicksalhaften 24. Februar aussah: „Singer/Songwriter“, steht in ihrer Selbstbeschreibung, „freier Geist“, „Yogalehrerin“ und „Meditationscoach“. Noch am 21. Februar postet sie ein Video mit Tipps für ein frühlingshaftes Blumengesteck – dann ändern sich die Nachrichten abrupt.
Statt bezaubernder Selfies, die von Natalias Erfahrung als Model zeugen, und Videos, auf denen sie selbstgeschriebene Songs singt, geht es nun um den Kampf der Ukrainer für die Freiheit. Aktuelle Posts zeigen die beiden großen Friedensdemos, die am 3. und 5. März in Hamburg stattgefunden haben.
Natalia Klitschko bittet um Hilfe für die Ukraine
Am Samstag ergriff Natalia selbst das Mikrofon und bat die Menschenmasse, die sich auf dem Jungfernstieg versammelt hatte, um Unterstützung für ihr Land – dann erhob sie zusammen mit Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, ihre kraftvolle Stimme für die Nationalhymne: „Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben“, lautet die erste Zeile, die viele Exil-Ukrainer mitsangen.
Es ist eine kämpferische Hymne, die zu dem Volk passt, das Natalia Klitschko in den Interviews beschreibt: „Es gibt Deutsche, die haben die Vorstellung, dass die Ukraine in die Knie gehen solle, dass sie ihre Waffen abgeben solle, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern, aber Ukrainer auf den Knien, das wird nie passieren.“ Sie sei „stolz wie nie“ darauf, Ukrainerin zu sein: „Die Ukraine kämpft für uns alle um Frieden, Freiheit und Demokratie.“
Das könnte Sie auch interessieren: Ukrainer in Hamburg: Gefährliche Flucht vor Putin
Auch sie selbst habe eine geflüchtete Familie aufgenommen, eine Mutter mit zwei Töchtern: „Wir haben uns vor anderthalb Jahren bei einem Online-Workshop kennengelernt. Jetzt standen wir uns zum ersten Mal gegenüber, sie klein, ich groß, wir haben uns umarmt und erst einmal minutenlang geweint.“