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  • Hamburg: Wenn die therapeutische Behandlung fehlt kann es zu schweren Langzeitfolgen kommen.
  • Foto: imago images/Westend61

Nachfrage nach Therapie-Plätzen steigt: Die Krise kommt erst nach der Pandemie

Essstörungen, Angst vor der nächsten Video-Unterrichtsstunde und eine so starke Traurigkeit, dass es schwer fällt, morgens das Bett zu verlassen: Die psychischen Folgen der Pandemie werden gerade erst sichtbar. Schon jetzt steigt die Nachfrage nach Therapien, Wartelisten werden immer länger und viele bekommen erst Monate später einen Platz. Das Problem: Ohne eine Therapie lassen sich Langzeitfolgen wie Drogenmissbrauch und aggressives Verhalten nur schwer aufhalten.

„Die Wartelisten sind im Schnitt drei bis fünf Monate lang, täglich kommen mindestens zwei neue Anfragen dazu“, sagt Gitta Tormin, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin und Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Hamburg, im Gespräch mit der MOPO. „Wir haben zu wenig Plätze, und es werden keine neuen geschafften.“ Das Problem: Die Zahl der Patienten steige rasant, die Anfragen nach freien Therapieplätzen würden noch in zwei bis drei Jahren hoch sein – bei vielen würden sich die Langzeitfolgen der Krise erst viel später zeigen.

Auch in Hamburg: Die Nachfrage nach Therapieplätzen steigt

Nach einer Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung vom Januar 2021 erhielten niedergelassene Psychotherapeut:innen deutlich mehr Anfragen als im Januar 2020. Im vergangenen Jahr lagen die Anfragen pro Woche noch bei 4,9 im Schnitt, 2021 waren es 6,9. Allein der Anteil an Psychotherapeut:innen, die mehr als zehn Anfragen pro Woche erhielten, verdoppelte sich dabei. Nur zehn Prozent der Anfragenden erhielten innerhalb eines Monats einen Behandlungsplatz. Knapp 40 Prozent mussten länger als sechs Monate warten.

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Bei Schülern waren es vor allem der fehlende Präsenzunterricht und die geschlossenen Vereine, die den Kindern zu schaffen machten. Viele von Tormins Patienten hätten regelrecht Angst vorm Video-Unterricht entwickelt: „Man ist alleine vor dem Bildschirm, viele trauen sich nicht, etwas zu sagen und schalten teilweise einfach weg.“

Die Folgen der Pandemie: Leistungsabfall, Depressionen und Ängste

Insgesamt beobachtet die Psychotherapeutin Leistungsabfälle bei vielen ihrer Patient:innen. Das wiederum erzeugt einen starken Druck – gerade, wenn es sich um Bewerbungszeugnisse für einen Ausbildungs- oder Studienplatz handelt. Viele hätten sich bereits entschieden, die Klasse zu wiederholen.

Ängste und Depressionen finden immer mehr Einzug in den Alltag der Kinder. Angst davor, seine Freunde zu verlieren, etwas zu verpassen und dass es vielleicht nie mehr so wird wie früher. Depressionen gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen. Einige leiden unter einer starken Traurigkeit, die es ihnen schwer macht, das Bett zu verlassen. „Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist einfach anders. Sonst mussten sie früh ins Bett, um früh aufzustehen“, sagt Tormin. Durch den Wegfall von klaren Strukturen fehle es häufig an Motivation.

Auch in Hamburg: Es werden Therapeuten gebraucht

Ob bei Kindern oder Erwachsenen, das Bild sei bei allen dasselbe: Zu viele Menschen, die Hilfe benötigen, aber zu wenig freie Plätze. „Die Coronakrise verschärft den Mangel an Behandlungsplätzen“, kritisiert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

„Es rächt sich jetzt, dass die Krankenkassen seit Jahren die Zulassung einer ausreichenden Anzahl von psychotherapeutischen Praxen blockieren“, so Munz weiter. Abhilfe könnten unter anderem kurzfristige kassenärztliche Zulassungen, Kostenübernahmen bei nicht kassenärztlichen Therapeuten oder der Einsatz von Assistenten sein, so Tormin.

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