Nach Verbot in England: Hamburger Elternverein sieht handyfreie Schulen als Chance
Großbritannien plant ein Handyverbot an Schulen, um die Kinder vor Ablenkung und Mobbing zu schützen. Nun wird auch in Deutschland diskutiert. Der Hamburger Verein „Smarter Start ab 14“, der schon lange zu einem späten Einstieg ins digitale Leben rät, sieht smartphonefreie Schulen als Chance – für die Gesundheit unserer Kinder. Die MOPO sprach mit Gründerin Verena Holler.
Großbritannien plant ein Handyverbot an Schulen, um die Kinder vor Ablenkung und Mobbing zu schützen. Nun wird auch in Deutschland diskutiert. Der Hamburger Verein „Smarter Start ab 14“, der schon lange zu einem späten Einstieg ins unbegleitete digitale Leben rät, sieht smartphonefreie Schulen als Chance – für die Gesundheit unserer Kinder. Die MOPO sprach mit Gründerin Verena Holler.
Frau Holler, haben Sie sich darüber gefreut, dass Großbritannien vorprescht und Handys an Schulen verbieten will?
Zunächst einmal muss man klarstellen, um was es hier eigentlich geht. Das Thema emotionalisiert so stark, weil „Verbot“ so klingt, als ob die Geräte zu Hause gelassen werden müssen. Es gibt aber auch andere Wege. Zum Beispiel Handy-Schließfächer im Klassenzimmer oder die in den USA zum Teil schon verwendeten Yondr-Taschen, die einen magnetischen Verschluss haben, der von alleine nicht geöffnet werden kann. Das stellt sicher, dass die Kinder während der gesamten Unterrichtszeit und während der Pausen keinen Zugang zu ihren privaten Smartphones erhalten.
Warum ist das so wichtig?
Wir sind uns wohl alle darüber einig, dass Kinder sich während der Schulzeit ausschließlich auf den Unterricht konzentrieren und sich in den Pausen zum Ausgleich für das lange Stillsitzen bewegen sollen. Zudem sollen sie in den Pausen in den aktiven Austausch mit ihren Mitschülern gehen. Auf dem Schulhof lernen sie über das gemeinsame Spiel wichtige soziale Kompetenzen wie Freundschaften knüpfen oder Streitschlichtung. Schulen sollen Kindern helfen, zu körperlich und geistig gesunden Erwachsenen zu werden. Smartphones behindern diesen Prozess.
Worin liegt die Gefahr?
Eine Meta-Analyse der Universität Augsburg hat kürzlich belegt, dass Smartphones im Schulranzen für einen sogenannten „Brain-Drain“-Effekt sorgen. Das bedeutet, dass allein die Nähe des Smartphones die kognitive Leistungsfähigkeit, insbesondere die Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung beeinträchtigen. Allein die Präsenz des Geräts lenkt Kinder ab, weil sie sich fragen, was die Freundin oder der Freund wohl geantwortet haben mag, wie viele Likes der letzte Post erzielt haben mag, etc.. Und schon geht die Konzentration flöten. Und natürlich ist es aktuell so, dass die Handys oft gar nicht ausgeschaltet, sondern allenfalls auf stumm geschaltet werden. Dass heimlich unter dem Tisch oder auf der Toilette gezockt oder getextet wird. Oder noch schlimmer, dass heimlich Aufnahmen von der Lehrkraft oder den Mitschülern gemacht werden, um sie dann irgendwo zu veröffentlichen.

Stichwort Cyber-Mobbing?
Genau. Wir hören immer wieder von Schülern, die sich nicht trauen, sich zu melden, weil sie Angst haben, aufgenommen oder gefilmt zu werden. Schule muss für Kinder ein geschützter Raum bleiben.
Aber die meisten Schulen haben doch Regelungen zur Handy-Nutzung!
Das ist richtig. Aber welcher Lehrer schafft es, in einer Klasse mit 28 Schülern den Überblick zu behalten, ob sich alle daran halten, dass das Handy aus ist? Wie soll der Lehrer kontrollieren, was zwischendurch auf der Toilette oder auf dem Schulhof passiert. Das ist schlichtweg nicht möglich. Es ist nicht Aufgabe von Lehrern, permanent Handypolizei zu spielen.
Warum ist Wegschließen eine gute Lösung?
Weil die Schüler dann nicht mehr das Gefühl haben, etwas zu verpassen. Es ist weg, und das gilt für alle gleichermaßen. Ohne ein Wegschließen kommen Schüler immer wieder in Versuchung, die Regeln zu brechen. Und wenn einer heimlich das Handy anhat, kommen alle wieder unter Druck, auf irgendwelche Nachrichten reagieren zu müssen. Ein Smartphone-Verbot, z.B. durch die oben genannten Yondr-Taschen, ist letztlich nichts anderes als die effektive Umsetzung der ohnehin schon geltenden Regelungen an Schulen.
Vielen Eltern ist die Erreichbarkeit ihrer Kinder wichtig…
Ich bin davon überzeugt, dass alle Situationen so wie vor Einführung von Smartphones über das Schulbüro gelöst werden können. Das Sekretariat ist immer besetzt, bei Notfällen kann dort angerufen werden. Nach Schulschluss bekommen die Kinder ihre Geräte zurück, können zu Hause anrufen oder die HVV-App für die Heimfahrt benutzen.
Aber in einer digitalen Welt, in der wir zunehmend leben, müssen Kinder doch auch an das Thema herangeführt werden.
Das ist unbestritten. Dafür brauchen wir ein neues Schulfach, das beispielsweise Digitale Grundbildung heißen könnte, wie in Österreich. Für den Unterricht braucht es dann eigene Schulgeräte, bei denen die Wege in die sozialen Medien blockiert sind. Medienkompetenz kann in den Schulen nicht auf privaten Smartphones, auf denen ununterbrochen Nachrichten reinströmen, vermittelt werden.
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Warum sorgt das Thema ausgerechnet in Deutschland für so viel Diskussionen?
Die Erkenntnis über die gesundheitlichen Folgen des Handykonsums setzt sich immer weiter durch. Sowohl die WHO, die Unesco oder die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin weisen auf die akute Suchtgefahr hin, auf das erhöhte Risiko für Kurzsichtigkeit oder Haltungsschäden, auf das Risiko für Lernschwächen. China ist in Sachen Digitalisierung viel weiter als wir, was zur Folge hat, dass sich die negativen Auswirkungen des massiven Gebrauchs von Bildschirmmedien auch bereits viel deutlicher zeigen. Online-Gaming- und Social-Media-Sucht sind in China so stark verbreitet unter Kindern und Jugendlichen, dass die Regierung jetzt mit drastischen Maßnahmen gegensteuert. Online-Gaming ist für Kinder dort auf drei Stunden pro Woche beschränkt worden. YouTube auf 40 Minuten pro Tag, wobei Kinder dort nur Zugang zu eingeschränkten Inhalten, wie z.B. Bildungsthemen, erhalten.
Ist ein autoritärer Staat wie ausgerechnet China da ein gutes Beispiel?
Wir sind kein autoritärer Staat und verbieten unseren Kindern trotzdem Alkohol, Drogen und Glücksspiele. Wir machen das zum Schutz ihrer Gesundheit. Wir müssen sie auch vor Online–Gaming und Social-Media-Sucht schützen. Oder vor Essstörungen, die durch falsche Schönheitsideale in den sozialen Medien ausgelöst werden können und die akut zugenommen haben. Ich bin mir sicher, dass es in zehn Jahren bei dieser Thematik weitreichende Regeln zum Jugendschutz geben wird. Wir befinden uns aber gerade leider in einem Live-Experiment – zu Lasten unserer Kinder.