Nach Gleis-Drama um Zwillinge: Tod als Wetteinsatz
Tödliche Mutprobe: Zwillingsschwestern (18) sind am Dienstag von einem Regionalzug erfasst worden – eine der beiden starb noch am Unfallort. Ihre Schwester musste schwer verletzt ins Krankenhaus. Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass die beiden auf den Gleisen ein Video als Mutprobe drehen wollten. Die sogenannten „Challenges” sind ein gefährlicher Trend unter Jugendlichen. Warum das so ist, wie ein Psychologe das Problem einschätzt und wo Eltern Hilfe erhalten, lesen Sie hier.
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Tödliche Mutprobe: Zwillingsschwestern (18) sind am Dienstag von einem Regionalzug erfasst worden – eine der beiden starb noch am Unfallort. Ihre Schwester musste schwer verletzt ins Krankenhaus. Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass die beiden auf den Gleisen ein Video als Mutprobe drehen wollten. Die sogenannten „Challenges” sind ein gefährlicher Trend unter Jugendlichen. Warum das so ist, wie ein Psychologe das Problem einschätzt und wo Eltern Hilfe erhalten, lesen Sie hier.
Was war passiert?
Am Dienstagabend, gegen 19.40 Uhr, wurden Rettungskräfte zum Bahnhof Allermöhe am Sophie-Schoop-Weg gerufen. „Person von Zug erfasst“, lautete die Meldung. Rund 15 Retter und ein Notarzt kamen. Rund 250 Meter vom Bahnhof entfernt fanden sie eine leblose Frau im Gleisbett. Trotz Wiederbelebung verstarb sie wenig später. Während der Reanimationsarbeiten entdecken die Rettungskräfte eine weitere schwer verletzte Frau neben den Gleisen – die Zwillingsschwester der Toten (18). Nach MOPO-Informationen liegt sie im künstlichen Koma, hat ein Poli-Trauma.
Waren die Zwillinge der Polizei bekannt?
Die Schwestern sind nach MOPO-Informationen in der Vergangenheit mehrfach polizeilich auffällig geworden, die Polizei in Bergedorf rückte immer mal wieder wegen familiärer Konflikte zum Elternhaus der Jugendlichen aus. Wie ein Sprecher der Bundespolizei bestätigte, hielten sich beide in der Vergangenheit mehrfach unbefugt in den Gleisen auf, „griffen in den Bahnverkehr“ ein. Nach MOPO-Informationen sollen die Zwillinge auf einem Puffer der Bahn mitgefahren sein. Ein weiteres Strafverfahren wurde am Dienstag gegen die Überlebende eingeleitet. Auch hier wegen gefährlichem Eingriff in den Bahnverkehr.
Auf mehreren Social-Media-Plattformen posteten die jungen Frauen offenbar Fotos und Videos ihrer gefährlichen Mutproben. Diesmal auch? Es gibt Hinweise darauf, dass die Geschwister ein Video drehen wollten, als sie von einem Regional-Express erfasst wurden.
Die Deutsche Bahn warnt seit Jahren in Aufklärungsvideos vor den gefährlichen Gleis-Selfies. Im Zusammenhang mit dem Vorfall in Allermöhe warnte ein Polizeisprecher erneut davor, Bahnanlagen zu betreten. „Der Aufenthalt im Gleisbereich ist verboten und lebensgefährlich“, sagte er. Unfälle könnten lebensgefährliche oder auch tödliche Verletzungen zur Folge haben. Die Bundespolizei warnte zudem davor, Gleise als Fotomotiv zu verwenden. Ein solches Verhalten sei leichtsinnig und könne zu tragischen Unfällen führen. „Gleise sind kein Fotostudio!“
Welche Mutproben sind gefährlich?
In den sozialen Medien, vor allem auf TikTok, lassen sich Videos verschiedener Mutproben finden. Einige enden tödlich: Eine 12-Jährige aus Argentinien ist Mitte Januar gestorben, weil sie sich selbst strangulierte. Sie nahm an der „Blackout“-Challenge teil, bei der sich Internetnutzer so lange die Luft abschnüren, bis sie ohnmächtig werden.
Das Mädchen ist nicht das erste Opfer. Weitere Beispiele: Die Cinnamon-Challenge, bei der Nutzer:innen viel gemahlenen Zimt ohne Wasser schlucken, was zum Erstickungstod führen kann. Die „Salt and Ice“ Challenge, bei der sich die Nutzer:innen erst Salz auf die Haut schütten und dann Eis darauf legen, kann zu starken Kälteverbrennungen führen.
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Was fasziniert Jugendliche daran?
„Gerade Jugendliche haben Sehnsüchte nach Aufmerksamkeit, nach Belohnung, nach Lob und nach dem Gefühl, dazuzugehören“, sagt der Hamburger Diplom-Psychologe Michael Thiel. Besonders bei pubertierenden Jugendlichen gehe es darum, das schwankende Selbstwertgefühl zu erhöhen. Anhand von Klicks- und Followerzahlen vergleichen sie den „Erfolg” ihrer Mutproben.
Was rät der Experte den Eltern?
„Wichtig ist, schon vor der Pubertät kontinuierlich den Kontakt zum Kind zu halten und eine sichere Bindung aufzubauen“, sagt Thiel. Fühle sich ein Kind generell geachtet und geliebt, sei das Bedürfnis nach Bestätigung von außen geringer. Sollte das Kind doch bei einer solchen Mutprobe teilnehmen, rät er Eltern nicht auszuflippen, sondern ruhig und ehrlich mit dem Kind über Sorgen zu sprechen und Grenzen aufzuzeigen.
Gibt es in Hamburg Medienkompetenz-Training in den Schulen?
Die Schulbehörde hat ein eigenes Referat Medienpädagogik, das die Schulen bei der Förderung der Medienkompetenz von Lehrenden und Schüler:innen unterstützt. Darüber hinaus werden Schulkinder zu „Medienscouts“ ausgebildet, die Multiplikatoren an den Schulen sind. In einem mehrtägigen Training lernen, sie wie sicheres und faires Verhalten im Netz funktioniert, wie man verantwortungsvoll mit dem Smartphone umgeht oder Cybermobbing begegnet.
Wo finden Hamburgs Eltern sonst noch Hilfe?
Beratung für Eltern wird von der Stadt zum Beispiel auf der Webseite des „Hamburger Medienpass“ angeboten. Außerdem bietet die „Nummer gegen Kummer“ kostenlos und anonym Beratungen für Eltern an. Montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, dienstags und donnerstags bis 19 Uhr unter (0800) 111 0 550. Auch Hilfsorganisationen wie der Kinderschutzbund, Caritas oder das Deutsche Rote Kreuz beraten Eltern und Familien.