Eine Frau (M) zündet vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf eine Kerze an
  • Eine Frau zündet vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf eine Kerze an
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Nach Amoklauf: So viele Hamburger dürfen legal schießen – was sich nun ändern soll

Philipp F. besaß die Pistole völlig legal, mit der er sieben Menschen in dem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas in Hamburg tötete. Es gab einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung des Mannes, eine Polizeikontrolle blieb dahingehend aber ergebnislos. Müssen Menschen, die eine Waffe besitzen wollen, in Zukunft gründlicher überprüft werden? Was sagt die Politik? Und wie viele Waffen werden in Hamburger Haushalten gehortet? Die MOPO beantworten alle Fragen.

Wer darf eine Waffe besitzen?

Wer 18 Jahre ist, darf eine Waffenbesitzkarte beantragen. Ab der Vollendung des 18. Lebensjahres dürfen Sportschützen mit kleinkalibrigen Waffen schießen. Großkalibrige Waffen sind erst ab 21 Jahren erlaubt. Die Antragssteller müssen Zuverlässigkeit, Sachkunde, körperliche Eignung und ein besonderes Bedürfnis nachweisen. Das Fortbestehen dieses Bedürfnisses wird generell alle fünf Jahre überprüft.

Welche Voraussetzungen muss ein Sportschütze erfüllen?

Um eine Waffe erwerben zu können, müssen Sportschützen einige Voraussetzungen erfüllen: etwa eine 12-monatige Mitgliedschaft in einem anerkannten Schießsportverein. Die Waffe muss für die Sportdisziplin nach der Sportordnung des Deutschen Schützenbundes zugelassen und erforderlich sein. Beide Voraussetzungen sind durch eine Bescheinigung des Verbandes glaubhaft zu machen. Dies gilt für bis zu drei halbautomatischen Langwaffen und bis zu zwei Kurzwaffen. Weitere Waffen können erworben werden, wenn sie zur Ausübung weiterer Disziplinen benötigt werden oder zur Ausübung des Wettkampfsports erforderlich sind und der Verband dies bescheinigt. Für den Erwerb einer Waffe muss der Antragsteller zusätzlich nachweisen, dass er eine Waffensachkundeprüfung bestanden hat und er eine sichere Waffenaufbewahrung sicherstellen kann (Beleg über Kauf eines Waffenschrankes). Außerdem wird der Antragsteller durch den Verfassungsschutz überprüft und das Führungszeugnis eingesehen.

Zum Führen einer Schreckschusswaffe braucht man einen kleinen Waffenschein. (Symbolbild) picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Oliver Killig
Waffe
Zum Führen einer Schreckschusswaffe braucht man einen kleinen Waffenschein. (Symbolbild)

Bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres ist ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis über die geistige Eignung vorzulegen. Außerdem dürfen keine schweren Straftaten vorliegen. Mehr als 25.000 Menschen sind laut Angaben des Bundesinnenministeriums von den Behörden gesperrt, darunter viele, die mit einer politisch-extremistischen Gesinnung auffielen.

Darf man die Waffe bei sich tragen?

Nein, dafür ist ein befristet erteilter Waffenschein nötig, der überwiegend Polizisten, Personenschützer und Förstern ausgestellt wird. Sportschützen müssen Waffen verstauen, wenn sie auf dem Weg zur Schießbahn sind.

Wie viele Menschen besitzen in Hamburg eine Waffe?

8145 Menschen in Hamburg besitzen Waffen und Munition. Insgesamt sind nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) 37.830 Schusswaffen gemeldet, zusätzlich 3.641 Waffenteile, die erst zusammengebaut werden müssen, um Geschosse verschießen zu können.

9738 Menschen besaßen zum Ende des vergangenen Jahres einen kleinen Waffenschein, der unter anderem das Führen einer Schreckschusswaffe erlaubt – 2021 waren es noch 9157. Wer ohne einen Schein schießt, zum Beispiel an Silvester, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Deutschlandweit sind 5,5 Millionen Waffen behördlich erfasst.

Wer prüft die Anträge?

Die Waffendienststelle der Polizei, kurz J4, prüft alle Vorgänge. Früher wurden die Anträge von Bezirken bearbeitet, mittels Karteikarten. Hamburg war bundesweit führend bei der Einführung eines digitalenBearbeitungssystems. Die Beamten fragen alle Daten ab, die es vom Antragsteller gibt, schließen sich dabei auch mit dem Verfassungsschutz kurz, fragen, ob der Antragsteller als Extremist bekannt ist. Letztlich liegt die Entscheidung bei der J4.

Muss das Waffengesetz verschärft werden?

Einen Tag nach dem Amoktat kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an, ihren bereits eingereichten Entwurf zur Änderung des Waffengesetzes erneut prüfen zu wollen, um mögliche Lücken festzustellen. Sie fordert fortan eine explizite Prüfung über die psychologische Eignung bei der Beantragung einer Waffenbesitzkarte. Dazu brauche es eine Überprüfung mit den Gesundheitsbehörden und eine bessere Vernetzung zwischen den Behörden.

Hamburgs Innensenator Andy Grote und Bundesministerin Nancy Faeser (beide SPD) besuchen den Tatort vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas in Alsterdorf. dpa
Hamburgs Innensenator Andy Grote und Bundesministerin Nancy Faeser (beide SPD) besuchen den Tatort vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf.
Hamburgs Innensenator Andy Grote und Bundesministerin Nancy Faeser (beide SPD) besuchen den Tatort vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas in Alsterdorf.

Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) setzt sich für eine Verschärfung der Gesetze und Vorgaben ein. Jan Reinecke vom BDK Hamburg spricht sich dafür aus, das Lagern von Waffen und Munition im privaten Haushalt zu verbieten. Als gute Lösung sehe man eine verpflichtende Lagerung bei den Schützenvereinen. Außerdem fordert er ein Vier-Augen-Prinzip: Wer an seine Waffe wolle, müsse einen Mitarbeiter des Schützenvereins fragen.

Jan Reinecke, Hamburger Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). RÜGA
Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Er ist in Hamburg Landesvorsitzender des BDK.
Jan Reinecke, Hamburger Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Dass Vereine nicht das dafür erforderliche Personal und Sicherungssystem haben, dürfe keine Ausrede dafür sein, nichts zu ändern. „Vereine müssten Mitgliedsbeiträge anpassen, um auferlegte Sicherheitsvorschriften umsetzen zu können“, sagt Reinecke. „In jederlei Hinsicht wird der Schießsport ein teureres Hobby werden, weil nur so sich die Sicherheit der Allgemeinheit steigern lässt.“ Der BDK fordert auch, dass die Waffenbehörde unmittelbar darüber in Kenntnis gesetzt werden muss, wenn bei einem Sportschützen eine psychische Krankheit diagnostiziert wird.

Gibt es Kritik an der Änderung des Waffenrechts?

Ja. Die FDP moniert, dass geplante Änderungen im Waffenrecht nicht im Koalitionsvertrag stünden. Die Partei finde es gut, dass das Waffenrecht schon heute „unmissverständlich“ regele, dass psychisch Kranke keine Schusswaffen besitzen dürften. Konstantin Kuhle, Chef der FDP-Bundestagfraktion, spricht sich eher für eine bessere Ausstattung der Waffenbehörden aus. Ohne eine präzise Aufarbeitung der Hintergründe seien „überhastete Forderungen nach gesetzgeberischen Konsequenzen nicht angezeigt”, sagt er.

Kann man so viel Munition horten, wie man will?

Dazu gibt es vonseiten der Sicherheitsbehörden am Sonntag keine klare Antwort. Dass Sportschützen, wie Philipp F. zum Beispiel, mehrere hundert Schuss Munition zu Hause lagern, sei nicht unüblich, heißt es aus Polizei-Kreisen.

Wie reagiert die Hamburger Politik?

Die Tat zeige auf „schmerzhafte Weise“, dass wir das Waffenrecht in Deutschland dringend reformieren müssen, so Dirk Kienscherf, Hamburgs SPD-Chef zur MOPO. Offensichtlich habe der rechtliche Rahmen nicht ausgereicht, um eine solche Tat zu verhindern oder wenigstens zu erschweren, sagt er. Er hält eine verbindliche und psychologische Eignungsprüfung vor Ausstellung einer Waffenbesitzkarte für sinnvoll. „Warum Privatleute, die nicht bei staatlichen Sicherheitsorganen beschäftigt sind, halbautomatische Waffen zuhause lagern dürfen, erschließt sich mir nicht.“ Es müsse gemeinsam mit Schützenvereinen eine Lösung erarbeitet werden, fordert er.

Man habe beim Thema Waffenbesitz kein Defizit bei den Regeln, sondern ein Problem beim Vollzug, so Sami Musa von der FDP. „Wir müssen unsere Sicherheitskräfte personell und technisch besser ausstatten, damit schreckliche Taten wie die in Alsterdorf verhindert werden können.“

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