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  • MOPO-Reporter Volker Schimkus mit seinem Schild vorm Blankeneser Bahnhof.
  • Foto: Florian Quandt

MOPO-Reporter macht den Test: Best of MOPO: Was man als Bettler in Blankenese erlebt

Blankenese –

Ich bin wieder auf der Straße, als Bettler und Obdachloser, genau wie vor sechs Jahren. Da habe ich, MOPO-Reporter Volker Schimkus, schon einmal getestet, wer Bettlern etwas gibt. Sei es Geld, ein Getränk oder auch etwas zu Essen. Was sofort klar wird: Es hat sich viel verändert. Es leben heute einfach mehr Menschen auf der Straße. Und das bedeutet: Die Konkurrenz ist groß – und die Menschen sind genervter.

Theoretisch denkt man: Ist doch ganz leicht. Ein paar Stunden auf dem Gehweg sitzen, dann mit gefülltem Geldbeutel wiederkommen. Doch die Realität ist härter, viel härter. Das Sitzen auf kalten Steinen, die Blicke – oder, noch schlimmer, das nicht beachtet werden.

MOPO-Reporter als Bettler am Bahnhof Blankenese

Aus dem zweiundzwanzig Grad warmen Auto kommend nehme ich einen Zettel, eine Dose für Geldspenden und eine Pappe zum Sitzen mit. Für eine Stunde „gehört“ mir ein Quadratmeter Bürgersteig des Erik-Blumfeld-Platzes vor dem S-Bahnhof Blankenese. Die zwei Grad plus fühlen sich eher wie minus vier Grad an, ein scharfer Wind tut sein Übriges, um mich innerhalb kürzester Zeit mürbe zu machen. Mein Zettel mit den Zeilen „Bitte helfen Sie mir mit einer kleinen Spende. Geld oder Essen! Vielen Dank“ halte ich in meinen Händen und hoffe, dass sich einige Hamburger meiner Erbarmen.

Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Das Leben auf der Straße ist hart, sehr hart, gerade in der kalten Jahreszeit. Ich sehe eigentlich nur Schuhe und Beine, da mein Kopf nach unten gebeugt ist, um dem eiskalten Ostwind zumindest ein bisschen zu entgehen. Nach zehn Minuten bleiben zwei Beine vor mir stehen und eine Frau hält mir eine Packung hin. Ich gucke verdutzt auf: Handwärmer hat sie mir mitgebracht! Ich nicke dankbar, packe sie aus, und merke, wie mich die Wärme glücklich macht.

Eine Frau schenkt dem „Bettler“ einen Handwärmer

Die Dame kommt aus Berlin, wirft mir noch ein liebes „vielleicht helfen die Ihnen ja“ zu und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Zehn Minuten, die mir länger vorkommen als eine Stunde, passiert dann gar nichts. Ich sehe manchmal auf, bemerke, wie ganz viele Leute nicht vor mir, sondern hinter mir vorbei zum Bahnhof gehen. Vielleicht, denke ich mir, wollen die Leute meinen Blick vermeiden, sei es aus Angst, dass ich sie anspreche, oder weil es Ihnen peinlich ist, einfach so an mir vorüber zu gehen.

Hamburg: MOPO-Reporter hört freundliche Worte

Auf einmal macht es „Ping“ in meiner Dose, der erste Euro landet darin, gespendet von einer mich freundlich anblickenden Frau. „Damit Sie sich auch mal etwas Warmes gönnen können“, sagt sie.

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„Gott sei Dank“, sagt meine innere Stimme, „vielleicht wird es doch ein guter Tag“. Und dann geht es im Fünf-Minuten-Takt weiter. Schülerinnen, ungefähr fünfzehn Jahre alt, schenken mir eine Pfandflasche, eine andere Frau, die zuerst an mir vorbei gegangen war, kommt fünf Minuten später zurück, in den Händen ein großer Kaffee und ein Roggenbrötchen mit Pute. „Sie sehen so verfroren aus, essen Sie mal etwas und trinken sie, damit Ihnen ein bisschen warm wird.“

Viele Blankeneser sind nett zu dem „Obdachlosen“ 

Eine andere Dame kommt ebenfalls auf mich zu, fragt mich tatsächlich: „Kann ich Ihnen was zu essen besorgen oder mögen Sie lieber etwas Geld?“. „Etwas Geld wäre schön, was zu essen habe ich gerade bekommen.“

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Dann spendet mir eine bezaubernde Dame, stolze 93 Jahre alt, zwei Euro. Just in dem Moment hält mir ein zehnjähriger Schüler ein Paket Kekse hin, „ich nehme mir diesen“, sage ich, doch der Junge besteht darauf, dass ich das ganze Paket nehme. Mir wird bei all diesen freundlich Hamburgern ganz warm ums Herz. Und da sage noch mal einer, Blankenese ist ein Pflaster, wo die Leute die Nase ganz oben haben!

Auf dem Kiez wurde ich beim Selbstversuch beklaut

Ganz anders auf dem Kiez: Vor sechs Jahren hat man mir hier bei meinem Bettel-Selbstversuch keinen Cent gegönnt, stattdessen sogar den Mantel geklaut, den ich nur für eine Minute aus den Augen hatte. Gestern saß ich eine Stunde vor der „Boutique Bizarre“ an der Reeperbahn, niemand, aber auch wirklich niemand hat mir überhaupt einen Blick gegönnt, geschweige denn mir auch nur einen Cent in die Dose geworfen. Das Sexspielzeug in den Schaufenstern war interessanter als der kleine Bettler davor.

Was ich gelernt habe: Es waren nur Frauen, die mir geholfen haben, kein einziger Mann war darunter. Und: Mehrere Damen, die mir halfen, berichteten von schlechten Erfahrungen mit Bettlern, die sich zum Beispiel über Essen beschwerten, Geld forderten und pöbelten. Aber am wichtigsten: Betteln ist extrem hart.

Der Artikel ist eine Geschichte aus unserem Archiv und erstmals am 20. November 2018 in der Hamburger Morgenpost erschienen. In unregelmäßigen Abständen kramen wir in unserem Archiv und suchen Stücke heraus, die auch heute noch lesenswert sind.

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