Selbstversuch: Zehn Minuten mit dem Rad durch Hamburg – und ich dreh‘ durch!
Vor zwei Wochen lösten zwei tödliche Fahrradunfälle in Hamburg tiefe Betroffenheit aus. In Rahlstedt kam ein 67-Jähriger ums Leben. Und auf St. Pauli starb ein 64-Jähriger, nachdem er mit einem Fußgänger kollidiert war. Diese Beispiele zeigen: Radfahren in Hamburg kann lebensgefährlich sein. MOPO-Reporterin Samira Debbeler hat den Selbsttest gewagt und sich auf Hamburgs Radwege getraut. So viel sei schon hier verraten: Nach zehn Minuten hatte sie die Nase eigentlich schon gestrichen voll.
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Vor zwei Wochen lösten zwei tödliche Fahrradunfälle in Hamburg tiefe Betroffenheit aus. In Rahlstedt kam ein 67-Jähriger ums Leben. Und auf St. Pauli starb ein 64-Jähriger, nachdem er mit einem Fußgänger kollidiert war. Diese Beispiele zeigen: Radfahren in Hamburg kann lebensgefährlich sein. MOPO-Reporterin Samira Debbeler hat den Selbsttest gewagt und sich auf Hamburgs Radwege getraut. So viel sei schon hier verraten: Nach zehn Minuten hatte sie die Nase eigentlich schon gestrichen voll. Das ist ihr Bericht:
Radfahren mitten in einer Großstadt wie Hamburg ist definitiv nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Manchmal benutze ich das Rad zwar, um Freunde zu besuchen. Aber so richtig wohl fühle ich mich im quirligen Straßenverkehr auf dem Bike nicht. Deshalb gehörte auch ein bisschen Überredungskunst dazu, bis ich diesen Test machte.
Am Ende habe ich zugestimmt. Aber sicherheitshalber sind meine Finger ganz nah bei der Klingel, um immer rechtzeitig auf mich aufmerksam machen zu können. Ich will schließlich wieder heil zu Hause ankommen.
Selbstversuch mit dem Fahrrad in Hamburg
Kaum hat der Selbstversuch begonnen, schon das erste Hindernis: Vier Jugendliche gehen nebeneinander, blockieren dabei Fuß- und Radweg. Mist. Ich bin auf der Schanzenstraße (Sternschanze) unterwegs, und der Radweg dort ist ziemlich unscheinbar und als solcher kaum zu identifizieren. Ein rot-gepflasterter dünner Streifen trennt Radfahrer:innen von Fußgänger:innen. Die vier haben deshalb nicht mal gemerkt, dass sie ein Hindernis sind.
Zweimal muss ich die Klingel betätigen, bevor mir endlich Platz gemacht wird. Ich werde von vier verwirrten Gesichtern angestarrt. „Radweg, Mann!“, pöbele ich die jungen Leute an – und muss schmunzeln, denn über die Sorte Radfahrer, die immer und überall auf ihr Recht pochen, ärgere ich mich selbst oft.
Mülltonnen, Autos: Hindernisse auf Hamburgs Radwegen
Schon wenig später treffe ich auf das nächste Hindernis: Eine große schwarze Mülltonne blockiert meine Fahrbahn. Geht’s noch? Eigentlich reicht es mir jetzt. Am liebsten würde ich auf der Straße weiterfahren. Aber da wäre dann ich diejenige, die im Wege ist.

Zugestellte Radwege – ein Problem, das die Verantwortlichen beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) kennen. Neben Mülltonnen sind es vor allem Autos, die den Radfahrer:innen den Weg versperren. Zwar sei das Blockieren von Radwegen durch Gegenstände oder Autos verboten und werde mit Bußgeldern geahndet, aber laut ADFC-Sprecher Dirk Lau wäre immer wieder zu beobachten, „dass diese Vorschrift selbst von den Kollegen der Stadtreinigung nicht wirklich beachtet wird.“
Autofahrer:innen, die den Radweg mit einem Parkstreifen verwechseln, begegnen mir auf meiner Tour noch häufiger. Ein Paketzusteller hat sein Auto halb auf der Straße, halb auf dem Radweg abgestellt – dass er sein Warnblinklicht eingeschaltet hat, tröstet mich wenig. Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. Als nächstes steht mir ein Taxi im Weg: Der Fahrer lässt gerade einen Fahrgast aussteigen – und zwingt mich zum Ausweichmanöver. Ich schäume vor Wut.
Unglaublich, was ich dann bei den Messehallen (Karolinenviertel) erlebe. Da steht nicht ein Auto auf dem Radweg, da stehen auch nicht zwei. Es sind sechs, die hintereinander auf dem Fahrradstreifen abgestellt sind, und das, obwohl der rot markiert und nicht zu übersehen ist. Ich habe gar keine andere Wahl: Ich muss auf den engen Fußgängerweg ausweichen und mich an einer mehrköpfigen Familie vorbei manövrieren. Plötzlich höre ich wütende Stimmen hinter mir: „Unerhört! Diese Radfahrer!“

Der ADFC ist der Meinung, dass dringend etwas geschehen muss, um die Situation der Radfahrer:innen in Hamburg zu verbessern. „Die Radwege müssen intuitiv, sicher und komfortabel zu befahren sein, und zwar für alle Menschen, für Kinder und Jugendliche genauso wie für ältere oder womöglich noch ungeübte Radfahrer:innen“, fordert Lau.
Was heißt das im Einzelnen? „Die Hamburger Velorouten sollten regelhaft als Fahrradstraßen gebaut werden, die allenfalls ausnahmsweise für Anwohner:innen oder für Lieferverkehr mit dem Auto befahren werden dürfen“, sagt er. „Mit den Pop-up-Bikelanes, die inzwischen erfolgreich evaluiert wurden, kennt die Hamburger Verkehrsbehörde zwar das Mittel, um schnell und kostengünstig sicheren Radverkehr zu ermöglichen, setzt es aber bisher einfach nicht großflächig ein.“
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Der ADFC-Sprecher spart nicht mit Kritik. Lau sagt, dass die Fahrradlobby vor einem Jahr der Behörde zehn für den Radverkehr wichtige Straßen benannt habe, die noch keine Radinfrastruktur haben und bei denen eine Lösung möglich wäre. Und? Nichts sei passiert. „Für keine der von uns benannten Straßen liegt bislang auch nur eine Planung vor“, so Lau. Die Bemühungen der neuen Behörde für Verkehr und Mobilitätswende seien zwar positiv zu beobachten, aber noch lange nicht ausreichend.
Was mich angeht? Ich habe genug für heute. Den Rückweg fahre ich auf dem Pop-up-Fahrradweg zwischen Bahnhof Schlump und Hoheluftchaussee, vorbei an Gustav-Falke-Straße, Bundesstraße und Bogenstraße – die angenehmste Strecke bisher. Radfahrer:innen düsen mit ihren Rennrädern an mir vorbei – der Fahrradstreifen ist breit genug, um zu überholen. Keine Fußgänger:innen, klare Trennung von Geh- und Radweg und keine parkenden Autos oder Gegenstände, denen ich ausweichen muss. So macht Radfahren Spaß.