Moia-Fahrer: Gefeuert, weil er ein Herz für eine gehörlose Frau und ihr Kind hatte?
Sie prägen inzwischen Hamburgs Stadtbild: die goldenen Kleinbusse von Moia. Immer mehr Leute nutzen sie, sind sie doch eine kostengünstige Alternative zum Taxi. Doch wie sagt der Volksmund: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das scheint auch auf Moia zuzutreffen. Im Unternehmen rumort es. Das Betriebsklima lässt zu wünschen übrig. Ein Fahrer hat nun die Kündigung bekommen, weil er eine gehörlose Frau und ihr Kind nicht nachts auf die Straße setzen wollte – und versteht die Welt nicht mehr.
Sie prägen inzwischen Hamburgs Stadtbild: die goldenen Kleinbusse von Moia. Immer mehr Leute nutzen sie, sind sie doch eine kostengünstige Alternative zum Taxi. Doch wie sagt der Volksmund: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das scheint auch auf Moia zuzutreffen. Im Unternehmen rumort es. Das Betriebsklima lässt zu wünschen übrig.
Davon kann der 30-jährige Devran Sarikaya ein Lied singen. Er hat gerade die Kündigung bekommen – wenige Tage vor Ende der Probezeit. Warum? „Weil ich mich geweigert habe, mitten in der Nacht einen Fahrgast aus dem Bus zu werfen. Es handelte sich um eine gehörlose Frau, die noch dazu mit einem behinderten Kind unterwegs war. So jemanden kann ich doch nicht auf die Straße setzen!“, findet er.
„Die Frau rauszuwerfen, habe ich für unverantwortlich gehalten“
Was ist geschehen? Die ganze Geschichte hat sich bereits im August ereignet. Es war gegen Mitternacht, als die gehörlose Frau mit ihrem kleinen Kind zustieg. Devran Sarikaya berichtet, die Frau habe das Kind im Kindersitz angeschnallt und er sei losgefahren. Nach einigen Minuten sei das Kind unruhig geworden. Die Mutter habe das Kind aus dem Kindersitz heraus- und auf den Schoß genommen.
„Da wir die Anweisung haben, nur Fahrgäste, die korrekt angeschnallt sind, zu befördern, habe ich mich bei der Zentrale gemeldet und gefragt, was ich jetzt tun soll“, so Sarikaya. Als Antwort habe er bekommen, er solle die Frau auffordern, das Fahrzeug zu verlassen, wenn das Kind nicht angeschnallt bleiben könne.
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Die Kommunikation mit der gehörlosen Frau sei schwierig gewesen, erzählt Sarikaya. Sie rauszuwerfen, habe er für unverantwortlich gehalten. Also sei er langsam und besonders vorsichtig weitergefahren und habe die Frau bis ans Ziel gebracht. Noch in derselben Nacht musste er sich daraufhin einer Anhörung durch Vorgesetzte stellen und wurde für sein Verhalten kritisiert.
Weil er mal aufs Klo musste: Moia spricht von Arbeitszeitbetrug
Devran Sarikaya berichtet, dass das Unternehmen ihn seither regelrecht auf dem Kieker habe. Unter anderem wurde ihm zur Last gelegt, dass er während der Dienstzeit dreimal bei Fast-Food-Restaurants angehalten habe. Arbeitszeitbetrug nennt Moia das. „Dabei musste ich einfach nur mal aufs Klo“, sagt er.

Der 30-Jährige ist wütend und traurig zugleich über die Kündigung. Er fühlt sich ungerechnet behandelt. „Ich bin ein exzellenter Fahrer“, sagt er und legt als Beweis seine Online-Kundenbewertungen vor. Tatsächlich steht da nur Vortreffliches über ihn: „Mega-Fahrt. Danke für die tollen Tipps.“ Oder: „Sehr angenehme Tour.“ Oder: „Super netter und hilfsbereiter Fahrer.“ Oder: „Netter Typ. Bleibt ruhig, trotz nerviger anderer Verkehrsteilnehmer.“
Der Moia-Betriebsratsvorsitzende Peter Alexander stellt sich auf die Seite Sarikayas. Er sagt, er halte es nicht für gerecht, wie der Fahrer behandelt worden sei. „Sowohl der Fahrer als auch die Kollegen in der Zentrale waren von der Situation mit der gehörlosen Frau und ihrem Kind völlig überfordert. Es ist richtig, dass Fahrgäste, die nicht angeschnallt sind, auch nicht befördert werden dürfen. Gut wäre es gewesen, das Unternehmen hätte in diesem besonderen Fall ein Auge zugedrückt und aus dem Ereignis die Konsequenz gezogen, die Mitarbeiter besser zu schulen.“ Den Fahrer zu feuern, sei falsch.
Moia sagt: „Es gilt Anschnallpflicht, auch für Babys und Kinder“
Innerhalb der Probezeit darf ein Arbeitgeber Beschäftigte ohne Angaben von Gründen kündigen. Davon hat Moia in diesem Fall Gebrauch gemacht. Das Unternehmen bestätigt aber indirekt, dass der Vorfall mit der gehörlosen Frau ausschlaggebend gewesen ist, denn eine Anfrage der MOPO zu Sarikayas Kündigung wurde unter anderem so beantwortet: „In der Personenbeförderung gilt eine Anschnallpflicht, auch für Babys und Kinder… Jede Zuwiderhandlung wäre eine Gefährdung der Sicherheit von Fahrgästen und damit unverantwortlich!“ Auf die Frage der MOPO, ob es nicht auf unverantwortlich gewesen wäre, eine gehörlose Frau mit Kind um halb eins in der Nacht auf die Straße zu setzen, gab es keine Antwort.
Erst kürzlich hatte die MOPO über ein anderes Konfliktthema berichtet, das bei Moia-Mitarbeitern gerade Wellen schlägt: die Pinkelpause. Die Fahrer müssen Sonderpausen beantragen, wenn unterwegs die Blase drückt. Die Fahrer beklagen, dass oft viel Zeit vergehe, bis der Antrag genehmigt sei. Viel zu viel Zeit. Wer es wage, ohne eine Sonderpause beantragt zu haben, irgendwo ranzufahren, um sich Erleichterung zu verschaffen, müsse mit Bestrafung rechnen. Die Folge: Inzwischen sind viele Mitarbeiter völlig verunsichert. So sehr, dass sich laut Betriebsrat vor drei Wochen ein Fahrer im Fahrersitz eingenässt hat, weil er nicht mehr anhalten konnte.
Verunsicherung wegen Pinkelpause: Ein Fahrer hat sich im Fahrersitz eingenässt
„Fahrerinnen und Fahrer können jederzeit eine Sonderpause machen. Jede andere Darstellung ist falsch“, sagt Moia-Pressesprecher David Gölnitz dazu. Betriebsratschef Peter Alexander gibt Gölnitz recht. Es gebe tatsächlich eine Dienstanweisung, die besagt, dass jeder Fahrer im Notfall selbst entscheiden kann, eine Sonderpause zu machen. Aber dieser Prozess sei bislang ganz offensichtlich nicht klar kommuniziert worden. Deshalb sei die Pinkelpause aktuell das Problemthema Nummer eins. Kaum einer wisse, wie er sich verhalten soll, so Alexander.
Den Vorwurf, das Betriebsklima bei Moia sei schlecht, weist Pressesprecher Gölnitz ebenfalls zurück: „Moia ist ein attraktiver Arbeitgeber mit stetig steigenden Bewerberzahlen. Laut Mitarbeiterbefragungen liegt die Arbeitszufriedenheit auf einem konstant hohen Niveau von 80 Prozent.” Das allerdings hält die IG Metall nicht davon ab, aktuell um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne für Moia-Beschäftigte zu kämpfen. Die Frauen und Männer am Moia-Steuer erhalten nämlich lediglich einen Stundenlohn von 13 Euro – das ist nur wenig mehr als der gesetzliche Mindestlohn.
Nach MOPO-Informationen hatte Moia in Hamburg seit der Einführung vor vier Jahren bislang 3000 Beschäftigte. Aktuell sind davon noch rund 1000 da. 2000 ist also gekündigt worden oder sie haben gekündigt. Eine bemerkenswerte Fluktuation für ein Unternehmen, in dem angeblich alles aus Gold ist.