Traditionsgeschäft kämpft um Personal: Letzter Ausweg Vier-Tage-Woche
Als ein „Novum im Einzelhandel“ beschreibt es der Chef: Herrenausstatter „Policke“ in St. Georg führt die 4-Tage-Woche ein – bei vollem Lohnausgleich. Während sich die Mitarbeiter über mehr Freizeit freuen, spricht Inhaber Claus Burchard (67) von einer notwendigen Veränderung. Der Hamburger Traditionsbetrieb ist damit nicht allein.
Als ein „Novum im Einzelhandel“ beschreibt es der Chef: Herrenausstatter „Policke“ an der Böckmannstraße (St. Georg) führt die Vier-Tage-Woche ein – bei vollem Lohnausgleich. Während sich die Mitarbeiter über mehr Freizeit freuen, spricht Inhaber Claus Burchard (67) von einer notwendigen Veränderung. Der Hamburger Traditionsbetrieb von 1931 ist damit nicht allein.
Bei „Policke“ musste man die frohe Botschaft erst einmal sacken lassen: „Ich habe ein bisschen Zeit gebraucht, um zu realisieren, was das bedeutet“, sagt Mitarbeiter Reiner von der Lieth (56). Die Ankündigung, ab Dezember für zwei Monate testweise auf eine Vier-Tage-Woche umzustellen, sei überraschend gekommen. „Ich bin sehr glücklich darüber“, so der Verkäufer. Wie wird er den zusätzlichen freien Tag nutzen? „Ich habe Familie, da wird sich schon etwas finden“, sagt er.
St. Georg: Herrenausstatter „Policke“ erprobt die Vier-Tage-Woche
Für Inhaber Claus Burchard ist das Projekt ein logischer Schritt: „Wir sehen uns mit einer schwierigen Personalsituation konfrontiert“, so der 67-Jährige. Um die eigenen Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen, seien solche Anreize erforderlich.
Jeder der 60 Mitarbeiter kann also zusätzlich einen freien Tag in Anspruch nehmen, muss es aber nicht. Die Wochenarbeitszeit reduziere sich so von 38,5 auf rund 30 Stunden. Dass Burchard, der das Geschäft bereits seit 23 Jahren führt, den Dezember als Startzeitpunkt auswählte, ist kein Zufall: „Die Weihnachtszeit ist bei uns traditionell ruhig, Anzüge werden kaum verschenkt.“

Ob die Vier-Tage-Woche über die zweimonatige Probezeit hinaus Bestand haben wird, hänge von einer Reihe Faktoren ab, sagt Filialleiter Oliver Haenel (54): „Entscheidend wird sein, ob der Umsatz stabil bleibt und wir trotz weniger Personal den regulären Geschäftsablauf gewährleisten können.“ Auch ein zu hoher Krankenstand könne das Projekt gefährden, im Notfall müssten Mitarbeiter einspringen.

Die Verkäuferin Anna-Maria Neese (25) arbeitet seit rund einem Jahr bei „Policke“: „Auch ich bin glücklich, dass es klappt“, sagt sie. Glaubt sie daran, dass sich die neue Regelung hält? „Ich habe ein gutes Gefühl“, so Neese.
„Wir glauben, dass die Fünf-Tage-Woche ein veraltetes Modell ist“
Was beim Herrenausstatter noch in Planung ist, haben andere Hamburger Betriebe bereits umgesetzt. Der Personalvermittler Advergy stellte im Oktober 2022 auf eine Vier-Tage-Woche um, freitags wird dort nicht mehr gearbeitet. Advergy zahlt seinen Mitarbeitern ebenfalls einen Lohnausgleich, und auch dort wurde die Regelung zunächst befristet. Offenbar mit Erfolg: „Wir werden weiterhin an der Vier-Tage-Woche festhalten“, sagt Standortleiter Hannes Moeckelmann zur MOPO.
Selbiges gilt für die Software-Firma „Knowhere“: Das Unternehmen erprobte das neue Arbeitszeitmodell ab August 2022 für ein Jahr – und hielt danach an der Neuerung fest. „Knowhere“ entwickelt einen digitalen Assistenten (auch Chatbot genannt), der im Kundenservice auf Firmen-Websites eingesetzt werden kann. „Wir glauben, dass die 40-Stunden-Woche bzw. Fünf-Tage-Woche ein veraltetes Modell ist“, so Geschäftsführer Patrick Zimmermann bei der Einführung.
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Auch in der Politik ist das Thema inzwischen angekommen. Auf ihrer Landesmitgliederversammlung beschlossen die Hamburger Grünen im Juli dieses Jahres einen Antrag. Darin fordern sie, die Vier-Tage-Woche in einem kleinen öffentlichen Unternehmen und im Amt einer Fachbehörde zu erproben. Zuspruch könnte die Partei dabei von den Linken erhalten. Für die nächste Plenarsitzung am kommenden Mittwoch hat die Fraktion ein Kurzdebatten-Thema angemeldet, mit dem Titel: „Den Einstieg in die Vier-Tage-Woche in Hamburg wagen!“